Seite:Die Gartenlaube (1860) 668.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

war es ein wirkliches Aufgeben aller Selbstbestimmung, alles Urtheils. Trotz ihrer Größe blieb Wilhelmine immer ein echtes Weib, das sich in Liebe unterordnen muß, und maßlos wie ihr ganzes Wesen war auch ihre Hingebung, ihr Vertrauen. Mehr als einmal hat sie am Rande eines Abgrundes erwachen müssen, und sie bedurfte dann aller ihrer Kraft, sich wieder zurecht zu finden. Ein solcher Moment des vollständigen Sichselbstaufgebens war ihre zweite Ehe (mit Herrn von Döring) und die Zeit, welche derselben voranging – ich werde später darauf zurückkommen müssen.




Schloß Stolpen und die Gräfin von Cosel.
(Schluß.)

Schloß Stolpen hat namentlich durch die gefangene Gräfin Cosel eine traurige Berühmtheit erlangt, wenn auch seine frühere Geschichte fast nur Bilder der Grausamkeit und des Vandalismus aufzuweisen hat. Denn hier, wie in jeder respectablen Veste des so gepriesenen Mittelalters, gab es eine Folterkammer und unterirdische Kerker mit schlammigem Wasser gefüllt, worein die Gefangenen vermittelst eines Klobens gelassen wurden; hier rangen tausend ohnmächtige Seufzer der Gemarterten sich an den Mauern empor, um ungehört sich in den Felsspalten zu verlieren. Hier unten büßten calvinistische Prediger ihren Glaubenseifer unter den entsetzlichsten Qualen, während oben ihre Peiniger, die frommen Bischöfe Meißens, geistliche Lieder sangen oder „kühlen Klosterwein“ schlürften.

Die Ueberreste des Schlosses Stolpen,[1] einer ehemaligen bischöflichen Residenz und zu seiner Zeit berühmten Bergfestung, gehören sicher zu den bemerkenswerthesten Denkmälern der letztvergangenen Jahrhunderte. Auf einem 1150 Pariser Fuß über der Meeresfläche erhabenen, sanft aufsteigenden Basaltberge, an dessen Abhänge das Städtchen Stolpen gelegen, ungefähr sechs Stunden von Sachsens Hauptstadt entfernt, erblicken wir dieselben, die noch jetzt, außer in beträchtlichen Ruinen, in vier Thürmen bestehen.

Die Zeit der Eroberung des Schlosses ist unbekannt; seine Gründung jedoch wird den Sorben zugeschrieben, indem man seinen Namen von dem wendischen Worte „Stolp“, auf deutsch Stufe oder Säule, ableitet. Die erste bestimmte Nachricht, welche vorhanden ist, geht dahin, daß im Jahre 1218 der Ritter von Mocco, aus einem adligen wendischen Geschlechte stammend, das Schloß und die Stadt, die übrigens bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts „Jockeym“ genannt wurde, besaß, jedoch dieselben wahrscheinlich schon in dem gedachten Jahre an den Bischof Bruno II. von Meißen für 168 Mark verkaufte. Es blieb nun das Eigenthum und die zeitweilige Residenz der fünf letzten Bischöfe von Meißen, welche daselbst einen glänzenden Hofstaat unterhielten. Die bekannte „Carlowitzer“ Fehde, die sich wegen einer Testamentsforderung seitens des Stallmeisters Hans von Carlowitz an den Bischof Johann IX. entspann, wurde jedoch die Veranlassung, daß diese Besitzung im Jahre 1559 abermals ihren Herrn wechselte, und an den damaligen sächsischen Kurfürsten August kam. Seitdem blieben Schloß und Stadt Eigenthum des sächsischen Regentenhauses.

Basalt-Bildungen an der Abendseite des Schlosses.

Zur Zeit ihrer ersten Besitzer mag die Befestigung des Schlosses Stolpen ohne große Bedeutung gewesen sein, da dieselbe nach alten Nachrichten nur aus einem Bollwerke von Holzstämmen (Gercke sagt: von „geschrotenem“ Holze) bestand, und sie ihre Verstärkung und Verschönerung erst unter der bischöflichen und kurfürstlichen Regierung erhielt. – Das Schloß bestand früher, wie sich an den Ueberresten auch theilweise noch erkennen läßt, aus drei Höfen, die durch Zugbrücken mit einander verbunden waren, in die man aber erst durch die mit starken Brustwehren, gewölbten Thoren und tiefen Gräben versehene „Klengelsburg“ gelangte, die Johann Georg II. 1675 durch den Oberlandbaumeister von Klengel anlegen ließ. Der erste Hof enthielt außer dem St. Donatsthurm (nach Donatus, Bischof von Arezzo genannt, der nächst Johann VI., Bischof von Meißen, Schutzpatron des Schlosses war), dessen Spuren gänzlich verschwunden, die Marterkammer, den Kornboden, den Marstall und eine große Cisterne. Der zweite Hof hingegen enthielt die Hauptveste, rechts einen dicken Thurm, die „alte Schösserei“ genannt, und links den „St Johannisthurm“, in welchem (wie sich der Volksmund ausdrückte) die Cosel wegen rachsüchtiger Drohungen gegen August den Starken gefangen saß. Der gleichfalls mit starken Mauern und tiefen Gräben umgebene dritte Hof enthielt die ehemaligen herrschaftlichen Gebäude, die später der Platzcommandant bewohnte. Diese Gebäude bestanden aus dem Seiger- oder Uhrthurm, der von Kurfürst August erbaut und 1714 zum letzten Male reparirt wurde; neben demselben stand das Destillirhaus, in dem die Kurfürstin Anna Aquavit abgezogen haben soll; sodann dem Siebenspitzen-Thurm, dem Brunnenhaus mit dem über 200 Ellen tiefen, in den Jahren 1608–1630 in Basalt gebrochenen Brunnen, dann dem Kunstthürmchen, genannt nach der darin befindlichen Wasserkunst, durch die aus dem Dorfe Lauterbach das Wasser in doppelten eisernen Röhren auf den Berg getrieben wurde, und endlich aus der Schloßkapelle. Diese war durch den Bischof Thimo zu Ehren der heiligen Barbara erbaut und enthielt sieben Altäre. Die Anzahl der genannten Gebäude wird im Stande sein, einen kleinen Begriff von dem Umfange der Festung zu geben.

Erst zur Zeit des Hussitenkrieges werden die Nachrichten über die Geschichte des Schlosses Stolpen zuverlässig, und vom Jahre 1429 bis zu den sechzig Friedensjahren, die dem dreißigjährigen Kriege vorausgingen, wütheten fast ununterbrochen Feuer und Schwert in seinen Räumen. Da, wo zwei Jahrhunderte früher die Hussiten gehauset, erschienen jetzt, 1632, die Kroaten unter dem Befehle des Rittmeisters Romhof, plünderten die Stadt und ermordeten Jeden, der sich ihnen widersetzte. Der Veste jedoch konnten sie

  1. Alle historischen Notizen über Stolpen, wie die Gräfin Cosel, sind entlehnt aus Gercken’s „Historie von Stolpen“, einem Schriftchen vom Premier-Lieutenant von Scharlach, „die Geschichte der Stadt und des Schlosses Stolpen“, und aus Förster’s „die Höfe und Cabinete Europa’s im 18. Jahrhundert.“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_668.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)