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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

besitzen. Wenn man durch die Straßen von Neapel schlendert, so begegnen einem sehr oft ganze Gruppen von gelb oder roth gekleideten Menschen, die von einigen Soldaten escortirt werden. Die Erscheinung ist zu auffallend, als daß der Fremde nicht stehen bleiben sollte, um zu fragen, wer das sei, und da erzählt man ihm denn, daß es die Criminalsträflinge sind, und daß die Gelben sich gegen das Eigenthum, die Rothen sich gegen die Person versündigt haben. Ihr äußeres Auftreten läßt es wenig vermuthen. Nur die Kette, welche von den Rothen an dem einen Beine und um die Lenden befestigt getragen wird, berechtigt zu dieser Annahme. Sonst gehen diese Menschen mit einer solchen Gemüthsruhe durch die dichtbelebten Straßen einher, plaudern hier und da mit den sie bewachenden Soldaten, halten dort an einem Cigarrenladen still, um sich eine Cigarre für den Weg anzuzünden, daß man eher glauben sollte, sie wären von einer Ehren-, als von einer Aufsichtswache begleitet. Und wer einmal die Verbrecher am Leben ihrer Mitbürger in der schönen Bucht von Bajä in den dort am Wege liegenden Steinbrüchen oder in den Räumen des Arsenals von Neapel hat arbeiten sehen, der muß unbedingt der Ueberzeugung werden, daß hier nur ein etwas gemäßigtes dolce far niente ist, was wir bei uns mit „Zuchthausstrafe“ und „schwerem Kerker“ bezeichnen. Aber freilich, jene rothen und gelben Gauner und Raubmörder sind ja keine Demokraten und Hochverräther und wie die sonstigen Polizeiausdrücke für „politische Verbrecher“ alle heißen mögen. Die Kerker der Präfectur gehörten nur diesen an. Und auch sonst überall im Königreiche beider Sicilien konnte man es gewahren, daß für die Verbrecher aller Art besser gesorgt war, als für sie. Beinahe alle Gefängnißhäuser liegen an der offenen Straße. Den ganzen Tag hocken ihre Bewohner an den vergitterten Fenstern, unterhalten sich mit den Vorübergehenden und betteln sie mit einem „un povero prigioniere, Signor“ an, während die „Schlechtgesinnten“ in Forts und Casematten untergebracht waren, wo kein menschliches Antlitz ihnen begegnete, mit Ausnahme dessen ihres Kerkermeisters. Von Zeit zu Zeit erließ man dann eine sogenannte Amnestie, um der Bevölkerung und Europa Sand in die Augen zu streuen. Europa ließ sich zuweilen täuschen und schien wenigstens da und dort an eine bessere Zukunft des süditalienischen Volkes glauben zu wollen, aber Neapel selbst glaubte es nie, denn man wußte es ja zu genau, obgleich man es nicht sagen durfte: – jene Amnestie existirte nur auf dem Papier, und die darin Einbegriffenen blieben nach wie vor im Kerker oder in der Verbannung. Erst als das Grollen des Aetna den Bourbonen zeigte, daß sie auf einem gefährlichen Boden ständen, erst als Garibaldi am Pfingstsonntagmorgen in feurigen Zungen zu ihnen geredet, erst da öffneten sich alle Thore und öffneten sich alle Kerker, einstweilen in Palermo und bald darauf auch in Neapel. Das absolute Königthum fiel, und mit ihm die Consequenzen seiner Staatslehre. Garibaldi war stärker als sie.

Es ist traurig, noch in unserm Jahrhundert und in Europa solchen Zuständen zu begegnen, von denen man gern annehmen möchte, daß sie nicht der Geschichte, sondern nur der Gefängnißromantik angehörten, und mancher unserer Leser und Leserinnen wird einen tiefen Seufzer in das Land jenseits der Alpen schicken, aus zartem Mitleid für die Menschen, die dort noch zu dulden haben, und aus Wohlbehagen über das süße Bewußtsein, an den freien Ufern des Rheins oder der Elbe zu wohnen und geschützt zu sein vor solchen und ähnlichen Dingen, „soweit die deutsche Zunge klingt“. Schöner Traum des vaterländischen Gemüthes, der du dich so warm und wonnig über die schwarze Wirklichkeit gelagert, möchtest du bald zur Wirklichkeit werden! Deine Schwingen werden getragen von dem Hauche der Freiheit, der belebend aus Süditalien gen Norden zieht. Aber gebt Acht, daß ihr nicht immer träumt, und daß ihr nicht immer für fremdes Weh weint und für fremdes Glück jubelt, während ihr die Wunde vergeßt, die ihr am eigenen Leibe tragt. Neapel hatte seine geheimen Kerker, und Rom hat sie noch, und auch Venedig dürfte nicht viel besser damit daran sein, – aber auch bei uns, in dem Lande der Denker und Reformatoren, herrscht ja noch das Princip der politischen Rache, existirt noch das Zuchthaus und der „schwere Kerker mit Eisen“ für den „politischen Verbrecher“, oder wartet noch die Geist und Körper vergiftende pennsylvanische Zelle dessen, der sich das Recht herausnimmt, anderer Meinung als seine landesväterliche Regierung zu sein. Unsere Gefangenen aus den Jahren 1848 und 1849 erzählen ja davon, und könnten die Gräber sprechen, sie würden uns manches Seitenstück liefern zu den „neapolitanischen Gefängnissen“.




Blätter und Blüthen.


Wallfische und deren Fang. Seit etwa drei Jahrhunderten, als Spanier zuerst Leviathan’s des Meeres, Wallfische, angriffen und erlegten, hat sich eine ungeheuere Armee von Jägern des Oceans gebildet, die im tollkühnsten und härtesten Kampfe mit den furchtbarsten Feinden ihres Lebens – immer im Angesichte des Todes – Fischthran und Fischbein zu Millionen von Centnern jährlich aus den grimmigen Wogen der Oceane schöpfen und dabei oft zu Hunderten umkommen, ohne Andere davon abzuschrecken. Die Menge der Wallfischjäger zählt nach Tausenden und rühmt sich ganzer Flotten.

Nach den Spaniern und zwar Biscayern und Basken (so unwahrscheinlich sie auch als erste Wallfisch-Jäger erscheinen) nahmen die Engländer und Holländer diese großartigste aller Jagd-Industrieen auf. Erstere drangen bis Spitzbergen, etablirten dort eine Wallfisch-Station und octroyirten Gesetze für den Wallfischfang, die größtentheils noch jetzt gelten. In praktischer Beziehung wurden sie aber hier eben so bedeutend von den Holländern überflügelt, wie in der Heringsfischerei. Die Amerikaner, welche keine Millionen für Soldaten und müßige, drohende Kriegsschiffe zu vergeuden brauchen, besitzen jetzt die größte Wallfisch-Flotte.

Wallfisch ist ein sehr allgemeiner Name, mit dem man sehr verschiedene Arten von oceanischen Thieren, aber keinen einzigen Fisch bezeichnet. Die besten Naturforscher wissen noch nicht genau, wie viel Arten und Species es eigentlich geben mag. Die wilden Männer der Praxis unterscheiden in ihrer Weise „Schwefelboden“, „Breitnasen“, „Rasirmesser-Rücken“, „große Spunde“ und was sie sonst für verzweifelt unwissenschaftliche Namen erfunden haben, um profitablere von weniger ergiebigen Arten zu unterscheiden. Ein Amerikaner, Herman Melville, sehr gelehrt in Sachen der Wallfische, theilte sie in „Folio-“, „Octav-“ und „Duodez-Wale“ ein. Diese Classification ist nicht so dumm, wie sie aussieht: sie bezeichnet wenigstens die bekannten Arten mit unterscheidenden Namen. Folio-Ausgaben sind die eigentlichen Sperm-, Oel-, Fischthran-, Grönland- oder Haupt-Wale für die Jäger. Es sind die beiden Arten, auf die allein officiell und im Großen Jagd gemacht wird. Die Octav-Arten, Grampus und Narwal oder Nasenwal oder Einhorn, kommen nur gelegentlich zu der Ehre, harpunirt zu werden, und die Duodez-Ausgaben, Meerschweine oder Braunfische, werden von den praktischen Helden gar nicht beachtet, da sie nie so viel Oel liefern, um das bei ihrem Fang verbrauchte Oel der Lebenslampe zu ersetzen.

Es ist hier nicht die Absicht, die große, eigenthümliche Familie der Cetaceen oder Wallthiere zu schildern. Deutsche Gründlichkeit aber fordert wenigstens, daß man sage, wo der Wallfisch, dessen Jäger uns hier interessiren, hingehöre. Bekannt ist, daß er zunächst nicht zu den Fischen gehört, und die Wallthiere eine immer im Meere lebende große Familie von Säugethieren bilden, die eigentlich vier Füße haben sollten. Diese sind allerdings auch richtig da, nur zurecht gemacht für ihr Element. Die vorderen stecken in einer Art von Sack und sind so gewachsen, daß sie gut als Flossen und Ruder- oder Locomotiv-Organe gebraucht werden können. Hinterfüße gibt’s gar nicht, d. h. sie sind mit dem mächtigen Hintertheile, das man fälschlich Schwanz nennt, so vereinigt, daß sie die gewaltigste Dampfschraube bilden, einen halbmondförmig auslaufenden organischen Propeller von viel hundert Pferdekraft. Die Naturgeschichte spricht von drei Ordnungen der Wallthiere, pflanzenfressenden Sirenen (Borkenthieren, Seekühen etc.), Delphinien oder Zahnwalen (Narwal, Pottwal) und Balänoiden oder Bartenwalen, den eigentlichen Wall- und Finnfischen.

Allen Wallthieren gemein ist das horizontale Hintertheil mit mächtigem Propeller und der Spund zum Athmen. Sie haben Lungen und müssen Luft aus- und einathmen, nicht Wasser, wie es oft scheint und Viele glauben. Der in arktischer Temperatur warm ausgestoßene Athem steigt wie starke Tabakspuffe 3–4 Ellen in die Luft empor, und nur wenn das Thier unter dem Wasser eine Lunge voll ausstößt, zwingt es einen Theil des Wassers zu einem Fontainenstrahl über die Oberfläche.

Oft hat der Wächter des Wallfischfahrers oben im Mastbaume, von Schnee, Sturm, stechender Kälte, Nebel, Eisbergen und furchtbarer Einsamkeit umgeben, Wochen, ja Monate lang gespäht und gewartet, einen Fontainenstrahl zu entdecken. Endlich jauchzt er auf: „There she blows!“ „Da bläst einer!“ und die dumpfen Gestalten unten, die bisher mürrisch, schläfrig, verdrießlich umherwankten, springen wie wahnsinnig vor elektrischen Zuckungen der Freude und Erwartung in die bereit gehaltenen Boote, das entdeckte Wild, sechshundert bis tausend Mal größer und mächtiger als sie, aufzusuchen und zu erlegen. Ihr Jagdgefild ist der hungrige, grimmige Ocean mit wandernden Eisgebirgen, eisigen, unabsehbaren Wogen, jeder Zoll zehnfache Todesgefahr. Ein Schwanzschlag ihres Wildes schleudert oft Boot und Mannschaften hoch in die Luft und in die eisigen Wasser, in denen die Glieder oft binnen wenig Minuten erstarren.

Wir nehmen an, daß es einen Grönland-Wal gelte, die ergiebigste und kolossalste Thrantonne, die Hauptleidenschaft der europäischen Waler. Bruder Jonathan drüben hat für seine beinahe 700 Wal-Schiffe sich den Sperm-Wal wärmerer Gewässer erkoren, der, obgleich oft ein Drittel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_655.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)