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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ueber Jean Paul schreibt er: „Seine Schriften sind wie Ananas, auswendig lauter Dornen und Disteln, bis man in das süße innere Leben hineingedrungen ist.“ Höchst charakteristisch ist: „Ich fühle noch immer ein einziges Uebel, das recht liebenswürdig wäre, wenn ich nur eine eigene Rente von zweitausend Gulden dazu hätte, nämlich die beständige Lust zu schlafen. Ich habe mir ein bescheidenes Einkommen gewünscht, denn zum Schlafen braucht man nicht viel.“

Obgleich er noch im Todesjahre unterzeichnet „mit Liebe unwandelbar Ihr Freund Hebel“, hat er sich auch bei auskömmlichem Gehalt doch nicht dazu entschlossen, die Jugendgeliebte zu heirathen, und das gehört zu den unerklärlichen Räthseln seines Lebens. Bei seinem ausschließlich häuslichen Sinne blieb er doch einer der wenigen unverheiratheten deutschen Dichter.

Noch bedeutsamer ist der Briefwechsel mit Pfarrer Hitzig, gen. Zenoides, während Hebel sich Parmenides nannte; es kommen darin mancherlei tiefere Einblicke in das eigene Leben, wie in das Leben der Zeit vor.

Einen Vorsatz, ganz seinem Charakter und seiner heiter wohlthätigen Weise gemäß, wollte Hebel ausführen. Er wollte in seinem letzten Willen bestimmen, daß von seiner Hinterlassenschaft den Greisen in Hausen, seinem Heimathsdorfe, an jedem Sonntag ein Schoppen Wein verabreicht werden sollte. Heiterkeit, Freude, Wohlbehagen zu verbreiten, das war sein innerster Herzenswunsch noch über das Leben hinaus.

Er starb, ohne ein Testament zu hinterlassen.

Nun aber haben Basler Freunde an seinem hundertjährigen Geburtstage eine Summe zusammengebracht, aus deren Ertrag, wie die Zeitungen im Allgemeinen berichten, alljährlich an Hebel’s Geburtstag der Hebel-Schoppen verabreicht werden soll. Das ist gewiß eine Art, das Andenken Hebel’s zu feiern und zu erneuern, die seinem ganzen Wesen am meisten entspricht. Wir sehen es vor uns, wie die alten Heimathsgenossen Hebel’s beisammen sitzen, sich von seinen Geschichten erzählen und die Erinnerung an ihn auffrischen. Das Anne Meili und Vreneli hören auch gern zu; sie haben nicht mehr die volle Tracht, wie sie Hebel in der „Wiese“ schildert, es gibt immer mehr Fabriken im Wiesenthal, aber noch ist hier ein kernhafter Volksstamm, der sich von keinen Kirchengemeinderäthen sein Lied wird rauben lassen; sie halten’s mit Hebel und singen dazwischen das Lied:

Ne G’sang in Ehre,
wer will’s verwehre?
Singt ’s Thierli nit in Hurst und Nast,
der Engel nit im Sterne-Glast?
E freie frohe Mueth,
e g’sund und fröhlich Bluet
goht über Geld und Guet.

Ne Trunk in Ehre,
wer will’s verwehre?
Trinkt ’s Blüemli nit si Morgenthau?
Trinkt nit der Vogt si Schöppli au?
Und wer am Werchtig schafft,
dem bringt der Rebesaft
am Suntig neui Chraft.

Und wenn sich das Herz erfreut und erfrischt hat, dann ziehen sie wohl heim und singen wiederum Hebel’s Wort und Gedanken:

Jetzt schwingen wir den Hut.
Der Wein, der Wein war gut.
Der Kaiser trinkt Burgunder Wein,
Sein schönster Junker schenkt ihm ein,
Und schmeckt ihm doch nicht besser,
  Nicht besser.

Der Wirth, der ist bezahlt,
Und keine Kreide malt
Den Namen an die Kammerthür
Und hintendran die Schuldgebühr.
Der Gast darf wiederkommen,
  Ja kommen.

Und wer sein Gläslein trinkt,
Ein lustig Liedlein singt
Im Frieden und mit Sittsamkeit,
Und geht nach Haus zu rechter Zeit,
Der Gast darf wiederkehren,
  Mit Ehren.

Des Wirths fein Töchterlein
Ist züchtig, schlank und fein,
Die Mutter hält’s in treuer Hut,
Und hat sie keins, das ist nicht gut,
Muß eins in Straßburg kaufen,
  Ja kaufen.

Jetzt, Brüder, gute Nacht!
Der Mond am Himmel wacht;
Und wacht er nicht, so schläft er noch.
Wir finden Weg und Hausthür doch
Und schlafen aus in Frieden,
  Ja Frieden.

Der Hebel-Schoppen ist eins der schönsten Denkmäler im ganzen Vaterlande, und es ist nur zu wünschen, daß sich noch viele Geschlechter bis in undenkbare Zeiten hinaus daran in Freude und Freiheit erquicken.




Die neapolitanischen Gefängnisse.
Von Carl Binz in Neapel.

Nicht mit Unrecht hat man die Behauptung aufgestellt, daß öffentliche Wohlthätigkeitspflege und Criminaljustiz die besten Gradmesser seien für die Höhe, worauf sich die Freiheit und Humanität irgend eines staatlichen Zustandes befänden. Je edler und großartiger ein Staat für seine Kranken und Verlassenen sorgt, um so mehr beweist er, daß sein innerstes Wesen durchdrungen ist von seinem eigentlichen Zwecke, dem Geiste der Liebe und Fürsorge für alle seine Mitglieder – je milder und menschlicher er in seiner Schattensphäre, der Strafe des Verbrechens, wirkt, um so klarer ist es ihm geworden, daß seinen Strafmethoden nicht mehr das Princip der thierischen Rache, sondern das der sittlichen Besserung und nothwendigen Gegenwehr zu Grunde liegt.

Legen wir jenen Maßstab an Neapel und seine Verwaltung an, wie wir sie vor den Ereignissen dieses Sommers lange und vielfach zu beobachten Gelegenheit hatten, so treffen wir auch hier wieder auf dieselben traurigen Resultate, wie wir sie überall finden, wo die Dynastien vor allem Andern daran dachten, ein starres System offener oder halbconstitutioneller Alleinherrschaft rücksichtslos durchzuführen, nur um den süßen Besitz von Thron und Großvaterstuhl durch kein Wünschen und Wollen seitens der getreuen Völker gestört und verbittert zu sehen. Die Wohlthätigkeitsanstalten Neapels befanden sich beim Sturze des früheren Systems genau auf der nämlichen Stufe, wie der ganze Staat. Auf demselben Punkte der Ausbildung und Entwickelung zurückgeblieben, wohin ihre Stifter sie mit vollen und freigebigen Händen gestellt hatten, waren auch sie der allgemeinen Stagnation anheimgefallen, und ihre Einrichtungen stachen von denen anderer Länder ebenso ab, wie umgekehrt der heitere Himmel Italiens von der grauen und nebeligen Atmosphäre des Nordens. Auch an ihnen nagte die Corruption und die Unterschlagung wie ein ewig fressendes Geschwür, und ihre Beamten verwalteten um kein Haar besser, als eben in allen Zweigen der Staatswirthschaft verwaltet wurde.

Trauriger noch und erschreckender ist das Bild, das wir von der Criminaljustiz des Königreiches beider Sicilien zu entwerfen haben. Man hat bei Gelegenheit der Eroberung Siciliens durch Garibaldi viel über die früher unter den Bourbonen dort angewandten Folterinstrumente gesprochen und geschrieben. Hoffen wir zur Ehre unsers Jahrhunderts, daß das Meiste davon übertrieben sei. Wir wissen es nicht. Neapel selbst hat uns nichts der Art aufgewiesen. Nur in einem Falle scheint es uns nach höchst glaubwürdigen Ohrenzeugen, welche das Jammergeschrei des Unglücklichen aus seinem Gefängnisse während der Nacht vor seiner Hinrichtung vernahmen, als ob auch selbst die Justiz der Hauptstadt nicht freigeblieben sei von dem Schandflecke der Tortur behufs der Erpressung passender Geständnisse. Es war dies bei Gelegenheit des Processes gegen den Calabresen Milano, der vor einigen Jahren den König Ferdinand aus politischer Privatrache zu tödten suchte. Man wollte ihn zwingen, seine Mitschuldigen zu nennen – bekanntlich wittert das böse Gewissen der Despoten deren ja immer und allenthalben – er leugnete standhaft jede

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