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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Aufwandes seiner Geliebten machte, wurde auf ihre Veranlassung wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder zur Untersuchung gezogen, auf die Bergveste Königstein gebracht und seine Güter wurden confiscirt. Dieser entschiedene Schritt war ein Wink für die andern Umgebungen des Königs, sich der Gräfin Cosel in Allem gefällig zu erweisen, und so wagten selbst die sonst Alles vermögenden Günstlinge, der Fürst von Fürstenberg, der General Flemming und Herr von Vitzthum, es nicht, Etwas gegen sie zu unternehmen.

Während der ganze Hof sich vor ihr beugte, erlaubte sich ein lutherischer Prediger in der Kreuzkirche zu Dresden eine ziemlich deutliche Anspielung zu machen, indem er sie mit „Bathseba“ verglich. Als sie es erfuhr, verlangte sie von dem Könige Genugthuung und Bestrafung des Geistlichen; allein Friedrich August sagte ihr, daß die Prediger alle Wochen einmal eine Stunde und einen Ort frei hätten, wo sie Alles, was ihnen beliebte, sagen könnten. Sollte sich ein Prediger einmal außer der Kirche ein ungeziemendes Wort gegen sie verlauten, würde er ihn sogleich festnehmen lassen; „allein die lutherische Kanzel,“ fügte er scherzend hinzu, „ist schon zu hoch für den Papst, um wie viel mehr also für mich, der ich nur ein Weltkind bin!“

Als der schwedische Krieg den König wieder nach Polen rief, war er fest entschlossen, die Gräfin Cosel in Dresden zu lassen und allein nach Warschau zu gehen; diese aber fürchtete, die Fürstin Teschen möchte sich dort des Königs wieder bemächtigen, und eilte ihm nach. Da die Fürstin eine nahe Verwandte des Cardinal-Primas von Polen war, durfte der König sie nicht vernachlässigen. Es gelang ihm auch bald, sich wieder mit ihr zu versöhnen; allein welche Mühe sie sich auch gab, ihren Oheim günstig für den König zu stimmen, sie konnte ihn dennoch nicht zurückhalten, sich mit Carl XII. zur Entthronung August’s zu verbinden.

Mit großer Geschicklichkeit wußte der König beiden Damen die Standhaftigkeit seiner Liebe zu versichern, während er sie beide betrog und mit der Tochter eines französischen Weinhändlers, Namens Renard, in Warschau lebte, welche ihm später eine Tochter gebar, die er zur Gräfin „Orzelska“ [1] erhob. Sobald der Krieg sich der Hauptstadt näherte, fand der König es doch für gut, die Gräfin Cosel, welche ihre Niederkunft erwartete, wiederum nach Dresden zurückzuschicken. Aus seinem Königreiche verjagt, kehrte August bald nachher auf einige Zeit nach Dresden zurück; anstatt aber mit dem Degen in seiner berühmten starken Faust die Schweden zurückzuschlagen, die von Polen aus durch Schlesien nach Sachsen vorgedrungen waren, saß er gelassen an dem Wochenbette der Gräfin Cosel, die ihn mit einer Tochter beschenkt hatte.

Unsägliches Elend wurde über das ohnehin schon ruinirte Sachsen gebracht; der Friede, welchen der stolze Sieger zu Altranstädt (1706) vorschrieb, war nicht geeignet, die tief geschlagenen Wunden zu heilen. Unter solchen Umständen hielt es der leichtsinnige und entthronte König für das Beste, sich auf einige Zeit aus seinem Kurfürstenthum zu entfernen, um das Elend seiner Unterthanen nicht täglich vor Augen zu haben. Er ging nach den Niederlanden, um unter Prinz Eugen und Marlborough gegen die Franzosen zu kämpfen. Allein bald wurde ihm das Leben hinter den Schanzkörben und in den Laufgräben zu lästig, er zog es vor, nach Brüssel zu gehen und leichtern Kaufs die Herzen der Opernsängerinnen und Tänzerinnen zu erobern. Dennoch wußte die Gräfin Cosel ihre Stellung zu behaupten; sie ward von einer zweiten Tochter entbunden, und der König behandelte sie, trotz ihres leidenschaftlichen und herrischen Benehmens, immer mit gleicher Auszeichnung. „Keine andere Geliebte,“ bemerkt Pöllnitz, „wurde jemals von dem Könige so ausgezeichnet.“ Endlich aber gelang es doch den vereinten Anstrengungen der Herren v. Flemming und v. Vitzthum, die ihnen Verhaßte zu stürzen. Die Gräfin Dönhoff wurde, als würdiger Ersatz, dem König fast aufgedrungen, und die Cosel erhielt den Befehl, Dresden zu verlassen. Diesen Befehl zu vollstrecken, kostete indessen dem damit Betrauten nicht geringe Mühe, und er brachte es nicht weiter, als daß die Verabschiedete vorläufig ihr Quartier in Pillnitz nahm.

Der König versuchte es nun mit List und durch Drohungen, von der Gräfin Cosel das ihr schriftlich ertheilte Eheversprechen zurückzuerhalten; allein sie verweigerte es hartnäckig und entfloh, um einer Verhaftung zu entgehen, heimlich nach Berlin, wo man ihr jedoch sehr bald andeutete, daß sie sich nach Halle begeben möchte. Hier lebte sie sehr zurückgezogen. Herr von Loen erzählt: „Die Gräfin Cosel sah ich als Student in Halle, wo sie als eine vom Hofe verwiesene Liebhaberin des Königs sich hingeflüchtet hatte; sie hielt sich daselbst ganz verborgen in einer abgelegenen Straße bei einem Bürger unweit dem Ballhause auf. Ich ging fast täglich zu einem guten Freunde, der gleich nebenbei wohnte. Das Gerücht breitete sich aus, daß sich daselbst eine fremde Schönheit aufhalte, die ganz geheim lebte. Das Studentenvolk ist vorwitzig. Ich sah sie mehrmals mit gen Himmel aufgeschlagenen Augen in tiefen Gedanken hinter dem Fenster stehen; sobald sie aber gewahr wurde, daß man sie belauschte, trat sie erschrocken zurück. Außer den Leuten, die ihr das Essen über die Straße brachten, sah man Niemand als einen wohlgekleideten Menschen bei ihr aus. und eingehen, den man für ihren Liebhaber hielt. Man konnte keine schönere und erhabenere Bildung sehen. Der Kummer, der sie verzehrte, hatte ihr Angesicht blaß gemacht; sie gehörte unter die schmachtenden braunen Schönen, sie hatte große, schwarze, lebhafte Augen, eine weiße Haut, einen schönen Mund und eine fein gespitzte Nase. Ihre ganze Gestalt war einnehmend und zeigte etwas Großes und Erhabenes.“ Später wurde sie auch von hier wieder fortgewiesen. Ein Officier von dem Regimente Anhalt meldete sich bei ihr mit der Ordre des Königs von Preußen, sie über die sächsische Grenze zurückzubringen. Bald darauf wurde sie nach Pillnitz abgeführt und hätte hier ruhig und unangefochten leben können, wäre sie zu dem Entschlusse zu bringen gewesen, dem Könige jenes „Eheversprechen“ zurückzugeben. Sie weigerte sich aber standhaft, sie leugnete sogar, ein solches noch zu besitzen, und entschloß sich endlich, lieber das Gefängniß zu betreten, als ein Document aus den Händen zu geben, das ihren Verfolger erzittern machte und für sie als ständiges Rachewerkzeug dienen sollte. Sie bezog demnach am 25. December 1716 den St. Johannisthurm (später und bis auf heute der „Coselthurm“ genannt), den sie nach 45jähriger Gefangenschaft nur mit der letzten Wohnung, dem Grabe, vertauschte, obgleich sie der Nachfolger August’s in Freiheit setzen wollte. Noch einmal (1727) sollte sie, wenn auch nur flüchtig, ihren einstigen Geliebten sehen, als dieser Stolpen besuchte, um die Festigkeit des dortigen Basalts durch Abfeuerung einiger Kugeln aus halben Carthaunen zu probiren. Mit schmerzerstickter Stimme rief sie von ihrem Fenster einige Worte in französischer Sprache herunter – der König aber lüftete schweigend den Hut – und galoppirte vorüber.

Der St. Johannisthurm, der noch ziemlich gut erhalten, ist drei Stockwerke hoch und jedes derselben enthält nur ein Gemach mit bombenfester gewölbter Decke. Die vier engen Fenster, die nach den Himmelsgegenden gerichtet, sind tief in die Mauern eingelassen, so daß das Licht nur spärlich einfällt. Die Spitzbogen-Thüren sind so niedrig, daß man fast gebückt durchgehen muß. Der Thurm ward von Johann VI., Bischof von Meißen, erbaut und 1628 vom Kurfürst Johann Georg restaurirt. „Als aber 1742,“ fährt Gercken, ein Zeitgenosse der Gräfin Cosel, fort, „ein heftiges Gewitter die Spitze dieses hohen Thurmes anzündete und die ganze Haube abbrannte, so ist er bei erfolgter Reparatur, gleich denen übrigen Thürmen, mit Schiefer gedecket, auch ein kupferner und vergüteter Knopf aufgesetzet worden. Auch in diesem Thurme sind drei Gefängnisse, wovon das mittelste des Thurmes Namen hat. Das oberste heißet „der Richter Gehorsam“. In allen dreien wohnet voritzo Ihro Excellenz die Frau Gräfin von Cosel und hat im ersten Stockwerk ihr Wohngemach und im zweiten ihre Bibliothek.“

Trotzdem der Fluch des Volks die Gestürzte bis in das Gefängniß verfolgte, wegen ihrer unbezwinglichen Herrschsucht und namenlosen Verschwendung, erhielt sie sich noch im Unglück eine Art Nimbus, der, wenn auch nicht ihren Charakter, so doch ihre Person verklärte. „Niemand,“ sagt ein anderer Zeitgenosse, „hätte den Muth gehabt, dieser stolzen Frau mit ihrer unvergänglichen Schönheit und Anmuth, die sie bis zu ihrem spätesten Alter kaum verließen, verächtlich entgegen zu treten, zumal wenn man in Erwägung zieht, daß es für keine Schande gilt, die Maitresse eines Fürsten gewesen zu sein.“ Und in der That ereignete es sich zu Leipzig, wo der König während der Messe die Bekanntschaft eines Fräuleins von Dieskau machte, daß die Mutter derselben ein förmliches Brautfest anordnete und dem Könige ihre Tochter übergab. Sie war mit einem Myrtenkranze geschmückt,

  1. Dieselbe, die später den Kronprinzen von Preußen, nachmals Friedrich den Großen, entflammte, als er in Dresden war.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_637.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)