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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)


In diesem Augenblicke sprang die Hinterthür des Zimmers auf, und geräuschvoll trat ein junger Mensch von fünfzehn oder sechzehn Jahren ein, in dem breiten groben Strohhute, der ein gebräuntes Gesicht beschattete, dem dunkel gestreiften Hemde, um das sich die Beinkleider nur von einem Gurt gehalten schlossen, und den bloßen Füßen in den derben Schuhen, das rechte Abbild eines westlichen „Farmerboy’s“.

„Halloh, Vater, wieder da?“ rief er, den Alten erblickend; zugleich aber fiel sein Blick auf das Mädchen, welches das unverändert ernste Auge nach dem Eingetretenen gewandt hatte, und plötzlich inne haltend, starrte er mit halboffenem Munde die neue Erscheinung an.

„Komm nur her und reich’ ihr die Hand, ’s ist Deine neue Schwester Mary,“ rief Kreuzer, sichtlich seine gute Laune wiedergewinnend; „Mutter wird Euch ja wohl erzählt haben!“

Der Bursche warf einen Blick nach der Frau und dann wieder nach dem Mädchen. „So, das ist sie?“ sagte er endlich, „sie ist anders, als ich mir gedacht – ich glaube aber hübscher, wenn auch nicht so lustig!“ Ein Lächeln wie in halber Befangenheit ging über sein Gesicht; dann trat er heran und schüttelte der Angekommenen derb die Hand, den Blick auf ihre Züge geheftet, als müsse er sich erst damit vertraut machen.

„Well, Ihr werdet müde und hungrig sein,“ begann die Frau wieder; „Heinrich mag Euere Sachen mit dem Wagen vom „Point“ holen, und ich werde unter der Zeit sehen, daß ich ein Unterkommen zurecht mache. Bis dahin ist dann auch das Essen bereit. Jetzt, Mädchen, sage „Du“ zu mir, wie sich’s bei gemeinen Leuten für eine Tochter paßt, und mit der Zeit, denke ich, werden wir mit einander fertig werden. Heute Nacht schläfst Du mit der Magd, und morgen werden wir zusehen, wie sich anders Rath schaffen läßt!“

„Ich bin mit Allem zufrieden, Mutter,“ erwiderte Mary, das dunkle Auge zu ihr aufschlagend, „sage mir nur, was ich thun soll!“

„’s ist schon recht!“ nickte die Frau, „heute heißt’s ruhen, morgen werden wir dann weiter sehen!“

Der erste Strahl, welchen am andern Morgen die aufgehende Sonne über den Wald schoß, fiel in das Giebelzimmer von Kreuzer’s Hause, und zauberte Rosen auf das bleiche Gesicht des jungen Mädchens, das dort auf einer Maisstroh-Matratze unter einer der gebräuchlichen Steppdecken lag. Leicht sprang sie von ihrem Lager. Wer sie beobachtet, hätte durch die ganze Gestalt, von den kleinen zierlichen Füßen an, bis zu der biegsamen Taille und dem feinen Halse an die flüchtige Antilope erinnert werden müssen.

Geräuschlos vollbrachte sie ihr Reinigungswerk und ihren einfachen Anzug, öffnete dann leise die Thür und eilte mit leichten Schritten die Treppe hinab. Im Hause war noch nirgends ein Laut hörtbar; sie schob behutsam den Riegel von einer Hinterthür und trat hinaus in’s Freie.

Mary warf einen Rundblick über die Morgenlandschaft und folgte dem ersten Pfade, welcher dem Walde zuführte; sie horchte, ob sie nicht den Gesang einer Lerche oder den Schrei eines andern Vogels höre, aber Feld und Wald waren stumm, und nur ein dumpfes Brummen unter den umherlagernden Kühen unterbrach zeitweise die Morgenstille. Eine kurze Minute lang dachte das Mädchen daran, wie hier selbst die Natur so ganz anders, so viel weniger freundlich als in ihrer Heimath sei; dann aber stand wieder der gestrige Abend mit seinen Erlebnissen, der eine scharfe Grenze für ihre ganze Zukunft bilden sollte, ihr vor der Seele. Sie hatte sich jetzt so früh aufgemacht, um eine halbe Stunde mit sich allein zu sein, ehe sie der Frau, die sie Mutter nennen sollte, wieder entgegentreten mußte.

Nach dem Tode ihrer Mutter hatte sie mancherlei Arten von Druck mit ihrem Vater durchmachen und Selbstständigkeit lernen müssen; sie fühlte, daß sie Kraft habe, sich in die fremdeste Lebenslage hineinzufinden, und mit dem Betreten von Kreuzer’s Hause war ihr früherer Entschluß wieder hell vor ihre Seele getreten – aber das erste Begegnen mit der Farmersfrau hatte ihr das offene Herz fast wieder zugeschnürt. Bei dem ersten Blicke, welchen sie mit jener getauscht, war es ihr gewesen, als könne sie in diesem kalten, grauen Auge lesen, daß sie dort nie auf eine verwandte Empfindung treffen werde; selbst in dem Blicke des Sohnes war ihr nach dessen erstem Gruße ein Etwas eingegen gesprungen, das ihr Gefühl beleidigte, ohne daß sie sich eine rechte Ursache dafür hätte angeben können. Nur der zweite Sohn vom Hause, ein Bube von zehn Jahren, der den vollen treuherzigen Blick seines Vaters geerbt und ohne Scheu schnell mit ihr Freundschaft geschlossen, sowie der alte Kreuzer selbst, standen als freundliche Bilder vor ihr. Als ihr Koffer angekommen war, hatte die Frau sogleich eine Besichtigung des Inhalts vorgenommen, hatte die ganze Ausstattung, welche ihr Vater noch in Deutschland für sie hatte anfertigen lassen, Stück für Stück herausgelegt und endlich den Kopf geschüttelt. „Ja, was sollen alle die feinen Sachen hier im Hinterwalde, wo wir noch lange nicht daran denken dürfen, die Lady zu spielen?“ hatte sie gesagt; „mit weißen Strümpfen können wir nicht durch Morast und nasses Gras zu den Kühen gehen, und bei solchem Unterzeuge würden wir hier mit Waschen nicht fertig!“

„So wird Anderes angeschafft,“ hatte der Alte gebrummt, der, dicke Dampfwolken aus seiner Tabakspfeife blasend, seine Frau eine Weile beobachtet hatte.

Es war nicht die Schwäche eines kleinen Charakters, es war ein voller, bewußter Entschluß gewesen, der Mary’s Seele sich unter die herben Worte der Frau beugen hieß. „Es wird mir nichts sauer ankommen, Mutter,“ hatte sie gesagt, „wenn Du nur mit mir Geduld haben willst, bis ich weiß, was ich zu thun habe. Ich konnte nichts mitbringen als meinen guten Willen, über den aber sollst Du Dich nicht zu beklagen haben!“

Es mußte, der kaum sichtbar gewordenen Sonne nach, noch sehr früh sein; der Pfad hatte sie zu einem rohgearbeiteten Gatterthore geführt, hinter welchem ein Fahrweg am Saum des Waldes entlang lief, und eben überlegte sie, ob sie weitergehen oder schon zurückkehren solle, als ein Knall dicht vor ihr die Morgenstille unterbrach und ihr einen leichten Schrei entriß. Im nächsten Augenblicke sprang ein junger Mensch, eine kurze Büchse in der Hand, aus dem Gebüsche, ließ die Augen über den Boden gleiten und hob dann ein getödtetes Eichhörnchen aus dem Grase auf. Sein nächster Blick traf das Mädchen am Gatterthor, das mit einem Lächeln, als schäme sie sich ihres Schreckens, die neue Erscheinung betrachtete, und eine unverhohlene Verwunderung begann in seinem Gesichte aufzusteigen. Eine Secunde lang starrte er sie schweigend an, dann breitete sich ebenfalls ein Lächeln, wie widergespiegelt von dem ihrigen, über seine Züge, und mit einem leichten Roth im Gesichte trat er näher. Er mochte etwa achtzehn Jahre alt sein, aber die modische, städtische Kleidung, wie die Art seiner Haltung verriethen, daß er mehr als den Hinterwald gesehen. Er hatte sie angeredet, aber das Mädchen konnte nur mit einem neuen Lächeln den Kopf schütteln, sie verstand kein Wort des Gesagten.

„Nix inglisch sprecken?“ fragte er, ihr Kopfschütteln wiederholend, und eine gleiche Pantomime war Mary’s Antwort. Beide sahen sich eine Minute lang wie in halber Verlegenheit in die Augen, dann nickte sie einen leichten Gruß und wandte sich zum Rückwege. Sie konnte es aber nicht unterlassen, nach kaum zwanzig Schritten den Kopf noch einmal umzudrehen – da stand der junge Mensch noch auf derselben Stelle und sah ihr mit so hellen Augen nach, daß sie schnell den Blick abwandte, ohne sich doch eines rechten Grundes dafür bewußt zu sein; aber ein stilles Lächeln lag auf ihrem Gesichte, als sie rasch ihren Weg weiter verfolgte; und als sie dem Hause nahe kam, wo der große Hund soeben alle Glieder reckte und ihr dann mit einem leisen Schweifwedeln entgegenblickte, mußte sie sich niederbeugen und dem Thiere das zottige Fell klopfen, sie wußte ebenso wenig warum.

Aus der Vorderthür des Hauses war der alte Kreuzer, die kurze, dampfende Pfeife im Munde, getreten, einen behaglichen Blick über die Felder werfend. „Halloh! ist das Wiesel auch schon auf den Beinen?“ rief der Farmer, mit sichtlichem Gefallen ihre schmucke Erscheinung überblickend.

„Bin schon hinüber bis zum Walde gewesen,“ erwiderte sie, „– gehört der Wald auch mit zur Farm, Vater?“

„Gehört meinem Nachbar, dem amerikanischen Major,“ sagte er mit einem eigenthümlichen Stirnrunzeln, „– aber ich wollte etwas Anderes sagen, da Du gerade hier bist. – Weißt, Kind,“ fuhr er langsam vorwärts gehend fort, „meine Alte ist so gut, wie nur Eine, aber die Weiber haben alle ihre Eigenheiten, und Dir werden sie auch nicht fehlen, wenn Du erst älter bist. Also thue jetzt, was sie Dir sagt, und sei freundlich zu ihr, schicke Dich in sie, mir zu Liebe, und Du wirst sehen, daß schon in acht Tagen Alles geht, wie es nur soll.“

„Ich werde gewiß Alles thun, was ich kann, Vater,“ erwiderte sie, hell zu ihm aufsehend, und Kreuzer wandte sich kopfnickend nach dem Hause zurück.


(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_628.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2020)