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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

entgegen gekommen, hatte ihm zuerst die kleine schmale Hand gereicht und gesagt, wenn er sie als Tochter annehmen und für eine kurze Zeit mit ihr Geduld haben wolle, bis sie sich in das amerikanische Leben gefunden, so wolle sie mit ihm gehen, und er möge glauben, daß sie Alles für seine und der künftigen Mutter Zufriedenheit thun werde. Kreuzer hatte ihr derb die Hand geschüttelt und erwidert, sie solle nur guten Muth haben, das Amerikanische lerne sich ganz geschwind, und wenn sie erst einmal vier Wochen bei ihnen auf dem Lande zugebracht, werde sie gar nirgends andermehr hin wollen; sei sie aber bereit, mit ihm zu gehen, so möge sie hier kurzen Abschied machen, er werde, was etwa noch für sie berichtigt werden müsse, mit dem Wirthe ordnen. Der Wirth aber schien nur auf so etwas gewartet zu haben, war jetzt herangetreten und hatte gemeint, das sei wohl das Beste, dann könne das ganze Gepäck des Verstorbenen gleich mit fortgenommen werden, es sei noch nichts davon angerührt – hatte dann hinter dem Schenktische ein großes Buch hervorgeholt und darin angefangen zu rechnen, bis er endlich mit einem halben Kopfwiegen gesagt, Alles zusammen möge etwas über dreißig Dollars betragen, er wolle aber mit dreißig zufrieden sein. Kreuzer war schon mit der Hand nach seinem Geldbeutel gefahren, als das Mädchen plötzlich seinen Arm gefaßt. „Das ist wohl nicht ganz recht so, Herr Schwarz,“ hatte sie begonnen, während ihr Gesicht sich zu beleben anfing. „Vater hat genau aufgeschrieben, was wir schuldig waren und was bezahlt worden ist, und als er es nicht mehr konnte, hab’ ich es gethan. – Noch den Tag, ehe Vater starb,“ hatte sie hinzugesetzt, während es in ihren Augen und um ihren Mund spielte, als zwinge sie die aufsteigende Weichheit hinab, „bezahlte ich die Rechnung des Doctors, weil er es so verlangte, wie die Arznei, und der Frau Schwarz gab ich ein Zehn-Dollar-Goldstück für andere Ausgaben – vorgestern aber habe ich Ihnen erst unser Kostgeld für die letzte Woche bezahlt, ich kann Ihnen das Buch holen –!“

„Wird ja wohl nicht nothwendig sein, und der Fehler sich hier schon finden!“ hatte Kreuzer genickt, indem ein sichtliches Vergnügen durch sein Gesicht zuckte, und der Gedanke, welcher ihn im Eisenbahnwagen bei der Erinnerung an diese Scene lächeln machte: „Die läßt sich in Amerika einmal nicht die Butter vom Brode nehmen,“ war damals durch seine Seele geschossen, „’s ist ein bischen viel, Alter, dreißig Dollars für das Begräbniß, was ich mit angesehen habe, wenn das nicht etwa schon mit ein oder zwei Zehn-Dollar-Goldstücken bezahlt ist – wollt Ihr nicht lieber noch einmal nachrechnen?“ Er hatte gleichzeitig zwei Goldstücke auf den Schenktisch gelegt, der Wirth, der erst auffahren wollte, hatte sie brummend in den Geldkasten geworfen und dann mit ärgerlichem Gesichte das Zimmer verlassen.

Zwei Stunden darauf war das Mädchen mit drei großen Kisten in dem Hotel des Farmers einquartiert, und dieser hatte sich auf den Weg gemacht, um das Grab des Verstorbenen zu erkunden. Die Tochter hatte den Wunsch, vor ihrer Abreise Abschied davon zu nehmen, so dringend ausgesprochen, daß der Alte kein Wort dagegen hatte sagen mögen.

Sie frug nicht, sie zweifelte nicht, als er, nach einer langen stillen Fahrt mit ihr angekommen, auf das Merkmal, welches er errichtet, deutete; sie ging langsam auf den niedern Hügel los, brach dort in die Kniee und fiel mit der Stirn in den aufgeworfenen Boden. So lag sie lange, und nur das krampfhafte Zucken ihres ganzen Körpers gab Zeugniß von dem Ausbruche ihres Schmerzes. Kreuzer hatte sich, von einem weichen Gefühle übermannt, weggedreht; als er sich aber wieder zurückwandte, kam sie ihm mit gefaßtem Gesichte entgegen und reichte ihm mit großen vertrauenden Augen, an deren Wimpern noch die Tropfen hingen, schweigend die Hand. –

Kreuzer’s Lächeln, mit welchem er im Eisenbahnwagen die einzelnen Scenen an sich hatte vorübergehen lassen, war schon längst gewichen; er drehte sich jetzt nach dem neben ihm sitzenden Mädchen herum und legte die breite, schwielige Hand auf die ihrige. „Bist Du jetzt zufrieden und ruhig, Mary?“ sagte er mit einem Tone, der fast an Zärtlichkeit streifte.

„Ja, Vater!“ erwiderte sie, den klaren Blick zu ihm aufschlagend.




Es war ein stiller, lauer Abend, als die Postkutsche nach einer halben Tagereise voll Rütteln und Stößen die Reisenden an einem riesigen Blockhause absetzte. Sie hatten am Vormittag das Ufer des obern Mississippi verlassen.

„Jetzt haben wir nur noch zwei kleine Meilen,“ sagte Kreuzer, „und sind in kaum einer Stunde zu Hause, machen uns bis dahin einen Spaziergang und lassen das Gepäck so lange hier!“

Er wandte sich nach dem Hause, in dessen Thür eben der Besitzer getreten war und ihm die Hand entgegenstreckte.

Das Gepäck, von welchem der alte Farmer gesprochen, war indessen von den drei Kisten, die Mary als Erbtheil ihres Vaters erhalten, bis zu einem der eigenthümlichen amerikanischen Koffer zusammengeschmolzen. Als Kreuzer die wohlgefügten und an allen Seiten mit Eisen beschlagenen Breter aufgebrochen, hatte sich neben einer großen Sammlung deutscher Bücher so viel deutscher, für Amerika kaum brauchbarer Kram vorgefunden, daß sich der Alte nach oberflächlicher Uebersicht nicht lange mit Betrachtung der einzelnen Gegenstände aufgehalten, die Bibliothek seinem Advocaten zum möglichst besten Verkauf übergeben und den Rest nach einem Auctionslocale gesandt hatte. Was in Mary’s Koffer jetzt geborgen war, bestand nur aus deren reichlichem Vorrathe an Wäsche und Bekleidungsstücken und ihres Vaters goldener Uhr. In des Farmers Taschenbuche aber ruhte ein auf „Mary Kreuzer“ ausgestellter Depositenschein einer New-Yorker Bank über verzinsliche 763 Dollars, den Betrag dessen, was mit dem Erlös der verkauften Gegenstände zusammengenommen der Verstorbene hinterlassen.

Das Mädchen sah mit sinnendem Auge auf die Gegend, die ihre Heimath werden sollte, und erst als der Wald sie längst wieder aufgenommen, als der Farmer nach Ersteigung einer Anhöhe in eine sich öffnende Klärung hinab zeigte, wo zwischen weit ausgedehnten Feldeinzäunnugen ein neues, sauberes Holzhaus sich erhob, und als er mit einem Blicke, welcher die ganze Befriedigung des heimkehrenden Besitzers aussprach, sagte: „Da sind wir, Mary!“ erst da überkam das Mädchen ein leichtes Gefühl von Beengung, wenn sie an die Personen dachte, unter die sie jetzt treten sollte, und von denen sie noch Niemand kannte. Sie wußte, daß der Alte von ihrem Mitkommen schon im Voraus geschrieben und ihr dadurch die Pein aller Erklärungen bei ihrem ersten Eintritte erspart hatte; trotzdem konnte sie eine Art ängstlicher Scheu, je näher sie dem Hause kam, je weniger los werden.

Sie bogen in eine von den Feldeinzäunungen begrenzte Straße ein, die gerade auf das Haus zuführte, und hatten bald den freien Platz vor demselben erreicht. Nichts regte sich darum her, und es war dem Mädchen, als lege sich diese Stille jetzt noch zu größerer Beengung auf ihr Herz; der Farmer aber ließ ihre Hand los und ging mit großen Schritten ihr voran nach der von einem breiten Dache überschatteten Hausthür, öffnete diese rasch und steckte den Kopf in die Lücke. „Komm nur her, Kind,“ rief er dann zurück, „Mutter ist gerade da!“

In einem freundlichen, weißgetünchten Zimmer, das zum Theil von einem großen zweischläferigen Bett eingenommen ward, erhob sich eine ältliche Frau aus dem hölzernen Schaukelstuhle und ließ schweigend einen musternden Blick über die ganze Gestalt der Eingetretenen laufen. Mary war stehen geblieben und hielt das große Auge ernst auf das Gesicht der Farmersfrau geheftet, bis diese ihren Blick traf und Beider Augen eine Secunde lang in einander hingen.

„Geh heran, Kind, scheu’ Dich nicht und gib der Mutter die Hand,“ sagte Kreuzer aufmunternd – „weißt Du,“ wandte er sich an seine Frau, „sie ist noch traurig, aber das gibt sich, und Verstand hat sie auch genug – ich könnte selbst ein Stückchen davon erzählen!“ setzte er mit einem halben Lachen hinzu.

Mary trat, ohne ihren Blick zu ändern, langsam auf die Frau zu und streckte ihre schmale, weiße Hand aus. „Herr Kreuzer hat mir gesagt, ich solle ihn Vater nennen, und Sie würden auch gern eine Tochter in Ihr Haus aufnehmen, die Alles thun will, damit Sie mit ihr zufrieden sind,“ begann sie mit tiefer, bewegter Stimme.

„’s ist Alles recht, Mädchen, und ich habe gar nichts dawider,“ unterbrach sie die Frau, eine kalte, steife Hand in die ihre legend, „wenn Du nur nicht zu vornehm für unser Leben hier sein wirst. Es ist kein Zuckerlecken, die Farmarbeit; es sieht noch wild aus um uns herum, und da muß Alles mit anfassen, was im Hause ist – Du nimmst Dich mehr wie ein Fräulein aus, als eine Farmersdirne, und um Grobes scheinen sich die weichen Hände auch noch nicht bekümmert zu haben!“

„Ei was! mach’ mir dem Kinde das Herz nicht gleich zu Anfange schwer!“ rief Kreuzer mit einem Anfluge von Verdrießlichkeit, „sie hat das rechte Zeug in sich, und das Andere findet sich von selber!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_627.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)