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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Es war noch nicht Alles! Das Einzige, woran die ganze deutsche Nation, im Norden, wie im Süden, wie an einer letzten Hoffnung hing, wie an dem letzten Anker der Ehre, wurde auch noch preisgegeben. Am 2. Juli 1850 schloß Preußen mit Dänemark Frieden, Schleswig-Holstein wurde sich selbst überlassen. Das war das Ende des großen Reichskrieges Deutschlands gegen dänischen Uebermuth, daß es nach Schlachten und nach Siegen, nach Opfern aller Art, elendiglich seine Soldaten zurückrief, ohne dem Recht zu Recht verholfen zu haben – mit den Siegesfahnen von Schleswig und Düppel floh es vor russischem Schnauzbartdrohen und englischem Geknurr, und eine Million deutscher Soldaten, Gewehr beim Fuß, sah dem Henkerspiel in Schleswig-Holstein zu, damit die Schande Deutschlands voll werde.

Ein Schrei des Unwillens und der Klage ging durch ganz Deutschland, als man von diesem Verrath der deutschen Ehre hörte. Das Volk fühlte, daß die Sache Schleswig-Holsteins seine eigene war. Deshalb auch diese Freude, als die provisorische Regierung von Schleswig-Holstein erklärte, sie werde den Freiheitskampf gegen Dänemark allein und mit eigenen Kräften fortführen; stand sie doch, die Regierung eines kleinen Landes, jetzt allein da als Wächter deutscher Ehre, für welche die gottesgnädiglichen „Paladine“ keine Hand mehr rühren wollten.[1] Deshalb diese Begeisterung weit und breit, der Sache da oben am nordischen Meer zu helfen, so viel man konnte, durch Wirken, durch Geld- und Effectensendungen, endlich mit der schwachen Kraft des eigenen Armes. Die ganze deutsche Nation stand mit ihren Wünschen und Sympathien hinter dem kleinen schleswig-holsteinischen Heer, hoffend daß das Glück es zum Siege führe.

Mitte Juli reiste ich nach den Herzogthümern. Auf der Eisenbahn hörte man nur über Schleswig-Holstein reden, und verschiedene Gerüchte über bereits errungene Siege der schleswig-holsteinischen Armee sprachen für die Empfindungen und die Erregung des Volks. Altona, die Schwester des nordischen Venedig, war wie ausgestorben; nur am Bahnhofe herrschte ein reges Leben. Jung und Alt drängte sich dort zusammen, um den von Rendsburg kommenden Zug zu erwarten, der Nachrichten von der Armee bringen mußte – hatte doch wohl Jeder einen lieben Verwandten, einen Freund, wenn nicht den Gatten oder den Sohn im Felde! Tags zuvor war von der Tann aus Baiern gekommen, um in die Armee einzutreten. Er war mit Jubel empfangen worden, und Alle versicherten, die Zuversicht der Armee und des ganzen Landes sei auf’s Höchste gestiegen, nun sie Tann bei sich wüßten. Ueber Willisen, der den Oberbefehl führte, brach kein rechtes Urtheil durch; über Bonin, welcher der eigentliche Schöpfer der schleswig-holsteinischen Armee war und ihr das vortreffliche Instructionsbuch verfaßt hatte, sprach man mit großer Anerkennung und bedauerte, daß der preußisch-dänische Friedensvertrag ihn nöthigte, jeder activen Mitwirkung während des bevorstehenden Krieges zu entsagen. In der Armee selbst fand ich später noch eine viel innigere Anhänglichkeit an den braven General.

In Kiel wimmelte es von Rekruten. Die Erbitterung gegen die Dänen, die ein paar Tage zuvor und im Angesicht einer russischen Flotte von acht Schiffen, die noch in Sicht war, die vor dem Hafen liegende Insel Fehmarn besetzt hatten, war außerordentlich, eine stille Wuth hatte sich aller Gemüther bemächtigt. Es that Einem wohl, dies und dann der Anblick der deutschen Fahnen und Farben, denen man überall begegnete. Stand doch diese Fahne, auf welche der reactionaire Wahnsinn bereits den Fluch geschleudert, jetzt nirgends an einem würdigeren Platze, als hier am Meeresstrand von Holstein.

Meine Absicht war, hier in Kiel meinen Eintritt in die Armee zu bewerkstelligen, und ich besaß dazu wirksame Empfehlungen. Man war damals gegen Freiwillige noch viel strenger, als nach der Idstedter Schlacht; ohne ordnungsmäßige Legitimation wurde Niemand, und dann nur Officiere und Unterofficiere angenommen.

Nichtgediente Leute von außerhalb fanden keine oder nur ausnahmsweise Berücksichtigung. Dank meinen Empfehlungen und der Vermittlung des Generallieutenants Baudissin, der eine der vier Brigaden commandirte, gestattete man mir den Eintritt in’s Heer und ließ mich auch, meinem Wunsche gemäß, in’s Cantonnement des achten Bataillons abreisen. Bei diesem stand ein Freund unserer Familie, der Premier-Lieutenant St. Paul; das achte Bataillon lag in der Gegend von Wedenspang bei Schleswig auf dem rechten Flügel der Armee im Felde. Denn bereits erwartete man in allernächster Zeit eine entscheidende Schlacht, und die Positionen waren bezogen. Das Hauptquartier war in Gottorf, unsere Vorposten streiften bereits bis Süderbrarup und Kleinboren, nur noch drei Viertelstunden von der langsam seit vierzehn Tagen sich nach Schleswig vorschiebenden dänischen Kette entfernt.

Der Weg von Kiel nach Schleswig über Eckernförde, den ich nehmen mußte, da Rendsburg vollständig gesperrt war, ist einer der schönsten im ganzen Lande, dessen wundervolle Reize und nordische Romantik ich noch näher kennen lernte, als unser Bataillon später hier vornehmlich cantonnirte. In Eckernförde lag die Gefion ganz aufgetakelt und bemannt. Am Horizonte sah man die blockirenden Fregatten. In der Stadt selbst lag noch preußisches Militär, das letzte wohl ziemlich, da die bisher in Schleswig gestandene preußische Armee nach dem Frieden das Land räumte. Einige Bataillone blieben in der Gegend von Friedrichstadt längere Zeit liegen – sie hörten noch den Kanonendonner von Idstedt!

In Schleswig war die äußerste Aufregung, denn man erwartete täglich die Schlacht. Noch war eigentlich kein Schuß auf der Linie gefallen, aber da Nachrichten gekommen waren, daß die Dänen bis Sieverstedt und dem Poppholz vorgerückt, so sah man auf jeden Fall binnen wenigen Stunden ihrem Angriff entgegen. In der That begannen auch vom andern Morgen an die mehr oder minder bedeutenden Vorpostengefechte, welche die Schlacht bei Idstedt einleiten sollten. Auch kam am nächsten Tage schon eine Proclamation Willisen’s aus dem Hauptquartier Falkenberg, welche zu dem erwarteten Kampfe „für deutsche Ehre und Schleswig-Holsteins altes gutes Recht“ anfeuerte.

In all dem Wirrwar, Tumult und allgemeinen Zustand höchster Aufregung und Spannung ward es mir schwer, über die momentane Stellung des achten Bataillons, dem ich zugewiesen war, Auskunft zu erhalten. Glücklicher Weise fand sich in Schleswig zufällig der Marketenderwagen des Bataillons ein, und mit diesem gelangte ich demnächst in’s Lager in der Gegend von Fährenstedt.

Noch am selben Abend suchte und fand ich St. Paul, der mich auf’s Herzlichste empfing und alles Nöthige veranlaßte, daß ich seiner Compagnie zugetheilt wurde. Bereits am andern Morgen um fünf Uhr gab mir ein liebenswürdiger Unterofficier Unterricht im Gebrauch der Waffe, in den Griffen, Commandos, Märschen und sonstigen absoluten Erfordernissen. St. Paul und der Hauptmann wohnten am nächsten Tage diesen Exercitien bei und sie zeigten sich ganz befriedigt, sodaß der Eintritt in Reih’ und Glied bei den zu erwartenden Actionen mir gestattet wurde. Ich muß auch gestehen, daß ich niemals in bedeutendere Verlegenheiten gekommen

  1. Gegenüber der allgemeinen Entrüstung, welche die an einem Bruderstamme verübte Missethat in ganz Deutschland hervorgerufen, wagt es ein deutscher Schriftsteller, die schleswig-holsteinische Erhebung mit dem Schmutz elender Verdächtigung zu besudeln. Ungewitter, in seiner in Dresden erschienenen „Erdbeschreibung und Staatenkunde“, 3. Aufl., hat sich nicht geschämt, folgende Worte zu schreiben:
    „Die Thatsache, daß Holstein, ebenso wie Schleswig, zu den wohlhabendsten Ländern Europa’s gehört, spricht offenbar zu Gunsten der dänischen Regierung und deren Fürsorge für das Land. Denn unter einer tyrannischen Regierung möchte das holsteinische Volk vielleicht zu Bettlern geworden, würde aber jedenfalls nie zu gediegenem Wohlstand gelangt sein. Dem Volke selbst wäre es daher auch ebenso wenig, wie dem schleswigschen Volke, je in den Sinn gekommen, sich von Dänemark losreißen zu wollen, mit dem es ohnehin schon, vermöge der geographischen Lage, der Gleichheit der Nahrungszweige, der Schifffahrt etc. in einer natürlichen Verbindung steht. Allein seit der französischen Julirevolution von 1830 ward von der Umsturzpartei in Deutschland der Plan entworfen, Holstein und Schleswig, unter dem Vorwande des bevorstehenden Heimfalles an die dänische Seitenlinie (?), von Dänemark loszureißen, um jene Länder dann zu einem norddeutschen Centralpunkte der Revolution zu machen (!). Nachdem schleswig-holsteinische Advocaten und deren politische Freunde in diesem Sinne ihre Instructionen bekommen hatten, erhielten die in das Geheimniß eingeweihten deutschen Zeitungsschreiber die Weisung, die Losreißung der Herzogthümer von Dänemark und die Selbstständigkeit derselben als deutsche Bundesstaaten in das gehörige Licht und als lebhaften Wunsch der Schleswig-Holsteiner darzustellen. Es geschah; und dem deutschen Publicum, welches sich Schleswig und Holstein als seit Jahrhunderten mit Dänemark identificirt oder doch in genauer politischer Verbindung mit diesem Königreiche stehend gedacht hatte, ward das Verhältniß von der ganz entgegengesetzten Seite aus dargestellt und auf diese Weise nach und nach die Idee von der Nothwendigkeit einer Lostrennung beigebracht. Später wurden dem süddeutschen Publicum, welches über die holsteinische Butter und die schleswigschen Mastochsen hinaus im Ganzen wenig von Holstein und Schleswig wußte, unter der Maske von Liedertafeln Eingeweihte (?) zugesendet, um bei Gesang und Becherklang gleichzeitig im Interesse der projectirten schleswig-holsteinischen Revolution bei dem dortigen Publicum zu wirken und es für dieselbe zu begeistern zu
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_617.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)