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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 39. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Arcier.

Erzählung von Levin Schücking.
(Schluß.)

König Joseph hatte sehr gespannt, aber auch mit einer Miene großen Mißvergnügens der Erzählung Frohn’s zugehört. Dieser schloß mit folgenden Worten:

„Ich sehe nur zu wohl ein, daß es sich für mich nicht schicken würde, im Geheimen und ohne Ew. Majestät Wissen so etwas wie eine stille Vorsehung für dieselben zu spielen. Darum komme ich, Alles zu melden, wenn es auch den falschen Schein auf mich wirft, mir ein Verdienst daraus bei Ew. Majestät machen zu wollen. Dies ist in der That nicht der Fall. Ich habe auch ganz und gar kein Verdienst dabei. Hätte ich das, was ich gethan, unterlassen, so würde es entdeckt sein, daß ich meine Pflicht als Posten nicht erfüllt, und ich würde sehr strenge bestraft worden sein!“

„Das ist wahr,“ sagte König Joseph ernst und doch gnädig. Die freie Sprache Frohn’s erweckte augenscheinlich sein Wohlwollen.

„Ich habe aber noch mehr gethan,“ fuhr der Arcier fort, „und zwar etwas, was derartig kühn und vermessen ist, daß ich mein Gewissen als ehrlicher Mann belastet fühle, so lange ich nicht durch ein offenes Geständniß die Gnade erlangt habe, daß Ew. Majestät mir, so zu sagen, eine Absolution von meiner dreisten Verwegenheit ertheilen!“

„Und was wäre das?“ fragte der König lebhaft.

„Ich wußte, daß Ew. Majestät ein werthvolles Kleinod durch die Frechheit eines leichtsinnigen Burschen abhanden gekommen – ich wußte es durch den Zufall – ich wohne im Hause der Eltern jenes Burschen …“

Hatte König Joseph vorhin, bei Frohn’s erster Erzählung, hoch aufgehorcht, so that er es jetzt mit der Miene doppelten Betroffenseins.

„Das weiß Er?“

„Ja, und auch, daß der fragliche Gegenstand zu Händen der Polizei gekommen, und es Ew. Majestät unangenehm sein würde, in Ihrem Namen ihn dort reclamiren zu lassen. Deshalb habe ich mich unterstanden, eines der Blankete von Ew. Majestät Schreibtisch fortzunehmen, es in zweckdienlicher Weise auszufüllen und damit bewaffnet das Ordenskreuz in meinem eigenen Namen aus den Händen der Behörde zu befreien. Hier ist dasselbe und hier das Blanket zurück.“

Frohn zog beide Gegenstände aus seiner Uniform hervor und legte sie auf den Schreibtisch des römischen Königs nieder. Dieser griff mit einer gewissen Hast nach dem Kreuze.

„Wahrhaftig, es ist mein Kreuz!“ sagte er, es betrachtend und mit dem Tone einer sehr lebhaften Befriedigung. Dann sah er mit großen Augen Frohn an.

„Er ist ja ein merkwürdiger Mensch!“ sagte er halblaut und wie für sich.

„Wollen Ew. Majestät jetzt einen Blick auf das Schriftstück zu werfen geruhen, damit Sie sehen, welches Mittels ich mich bedient habe, und ich dann um die Gnade bitten darf, es zerreißen zu dürfen?“

König Joseph nahm das Papier auf und überlas es.

„Ich habe dem Polizei-Beamten, welcher mir die Ordensdecoration auslieferte, bedeutet, daß sein Schweigen gewünscht werde; ich glaube versichern zu können, daß er es halten wird.“

„Wie heißt der Mann?“

„Der Polizeirath Hinterhuber.“

König Joseph heftete seine Blicke wieder nachdenklich auf das Papier und ließ sie dann über den Rand fort und auf Frohn hinübergleiten, den er mit einem Ausdruck fixirte, in welchem weder Billigung noch Mißbilligung des Geschehenen zu erkennen war. Er schien mit sich selbst im Unklaren zu sein.

„Es ist mir sehr lieb, daß ich die Decoration wieder erhalten habe,“ sagte er nach einer Pause, „es ist mir ein großer Dienst damit erwiesen, ich danke Ihm dafür – aber,“ fuhr er plötzlich mit viel lebhafterer Stimme fort, „weiß Er, daß Er sich ein schweres Verbrechen hat zu Schulden kommen lassen, und daß Er ein gefährlicher Mensch ist?“

„Mehr als ein Verbrechen, Majestät,“ versetzte Frohn; „wenn ich für alles das, was ich in der vergangenen Nacht gethan, nach der Strenge des Gesetzes bestraft würde, so hätte ich für Lebenslang genug. Aber meine Verbrechen gegen die Dienstvorschriften belasten mein Gewissen nicht, ich werde mich darüber trösten. Ein Anderes ist es mit der Schrift dort; ich weiß nicht, ob es sich ganz mit der Ehre eines kaiserlichen Soldaten verträgt, so zu handeln, und darum habe ich mich gedrungen gefühlt, Ew. Majestät Alles zu berichten, um mich von dem Könige, der im Staate die höchste Quelle der Ehre ist, entweder lossprechen oder verdammen zu hören.“.

König Joseph fixirte wieder mit dem früheren Blicke den vor ihm stehenden Arcier, der ihm immer merkwürdiger vorkommen mochte.

„Also an mich wendet Er sich nur als den höchsten Quell der Ehre im Staate?“ sagte er nach einer Weile mit einem Tone,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_609.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2017)