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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

curiren, wenn sie den Beweis in Händen hätten, daß sie kein „Unheil über das Haus“ gebracht habe. Und in der That, mein sehnlicher Wunsch erfüllte sich; es blieb während mehrerer Wochen Alles auf unserm Hofe und im Hause in bester Ordnung; kein Mensch, kein Thier erkrankte oder litt Schaden; Alles gedieh herrlich, und was unternommen wurde, hatte erfreulichen Fortgang.

Aber trotzdem und obgleich ich nicht ermangelte, diese Thatsache gelegentlich recht hervorzuheben, gelang es mir nicht, den Aberglauben zu entkräften.

„Ja, es ist wahr, bis jetzt ist noch Alles gut gegangen,“ hieß es als Entgegnung. „Aber wer weiß, wie es noch kommt!“

So viel Spielraum gestattet also der thörichte Mensch den zufälligen Möglichkeiten, um sich angstvoll an einen schrecklichen Gedanken seiner Einbildungskraft festzuklammern. Sollte uns in diesem Sommer noch der oder jener Unglücksfall, oder irgend ein Mißgeschick treffen, was bei einem großen Hausstande sehr möglich ist, ja worauf man sogar mit ziemlicher Sicherheit rechnen kann, so bin ich überzeugt, daß es heißen wird: „Das kommt von dem Blicke der Matschull!“ Sollte aber Alles so bleiben, wie es jetzt ist, und der Himmel uns gnädig vor jedem Unfall bewahren, dann – ja dann fürchte ich, wird man am Ende gar uns selbst für einen Genossen des Gott-sei-bei-uns halten.

Neulich war uns auf einer Ausfahrt nach dem nächsten Städtchen im Gewirr des Jahrmarktes ein kleiner Hund abhanden gekommen. Das Thierchen ist uns sehr lieb, und sein Verlust war uns recht schmerzlich. Heute plötzlich, nachdem er drei volle Tage fortgewesen, findet sich Jorrick wieder bei uns ein, abgemagert und verschüchtert, aber rührend in seiner Freude des Wiedersehens. Im ganzen Hause ist das kluge, wachsame und allerliebste Thierchen gern gesehen, und der Jubel bei seiner Heimkehr war allgemein. Was aber mußte ich bei dieser Veranlassung erfahren? Und zwar ganz durch Zufall, denn seit dem Besuch der Matschull und meinen ernstlichen Gegenvorstellungen hütet sich meine Umgebung, irgend eine Andeutung ähnlicher Art zu machen.

Ein alter Förster war heute Morgen kurz vor Jorrick’s Rückkehr auf dem Hofe gewesen und hatte das allgemeine Lamento über das Verschwinden des Hundes vernommen.

„Den wollen wir schon wieder bekommen!“ hatte der Alte mit großer Bestimmtheit gesagt, war an einen auf dem Hofe stehenden Wagen herangetreten und hatte dreimal durch die Speichen des rechten Vorderrades hindurch den Namen des Hundes gerufen. Dann aber fällte er den weisen Spruch: „Nun muß das Thier wiederkommen, – oder es ist bereits todt!“ Und Jorrick kam wieder! das Rufen durch das Wagenrad hatte ihn zurückgebracht!

Doch nun zu einem andern Falle, der, wie ich im Beginn dieser Zeilen schon erwähnte, traurige Folgen hatte.

Wenige Meilen von hier entfernt liegt mitten im Walde auf einer sogenannten Blöße das kleine Dorf Branditten. Ein Eigenkäthner daselbst, – d. h. ein Eigenthümer von etwa 6 bis 10 Morgen Landes, nebst Wohn- und Stallgebäude, – Grigat mit Namen, hatte vor Jahr und Tag ein hübsches junges Mädchen aus einer benachbarten Ortschaft geheirathet. Er war ein guter, braver Mann, hatte aber sehr wenig äußere Vorzüge und besaß vor allen Dingen eine gar wunderlich geformte, häßliche Nase, die oft zu Scherz und Neckerei Veranlassung gab. Der Frau war dies sehr verdrießlich, da sie ihren Gatten wirklich lieb hatte; wenngleich man behauptet, daß sie seiner Bewerbung lange Zeit ausgewichen sei, und zwar nur – der Nase wegen.

Vor einigen Wochen nun wurde jenen beiden Leutchen in Branditten ein Kind geboren, und die Freude der Eltern war um so größer, als das kleine Mädchen ungewöhnlich groß und kräftig war. Aber – o Entsetzen! bald zeigte es sich, daß das kleine Wesen die Anlage zu des Vaters ungestaltetem Gesichtserker mit auf die Welt gebracht hatte. Es war ganz unzweifelhaft, daß die kleine Nase das naturgetreue Abbild ihres großen Vorbildes zu werden versprach; derselbe Ansatz, dieselbe Biegung, dieselbe Richtung nach rechts – nur Alles ganz en miniature!

Die junge Frau war ganz außer sich. Sie galt für die größte Schönheit weit und breit, und nun sollte ihr Kind dem Vater, ja sie konnte sich’s nicht ableugnen, dem häßlichen Vater gleichen und, anstatt Verehrung und Bewunderung zu finden, verlacht und verspottet werden! Es heißt in einem allerliebsten Wiegenliede einer Mutter, das ich einstmals irgendwo singen hörte:

Hab’ seine Nase immerhin,
Doch habe auch sein Herz!

Doch konnte sich Frau Grigat zu dieser erhabenen Denkungsweise nicht aufschwingen. Sie grämte sich vielmehr Tag und Nacht über das „Unglück“, von dem sie betroffen worden, und äußerte sogar mehrmals zu einer Nachbarin, daß sie lieber gar kein Kind besitzen möchte, als ein so mißgestaltetes.

„Hm,“ sagte die Nachbarin einmal auf solche Aeußerung, „wenn Euch die Sache so zu Herzen geht, müßt Ihr doch nicht die Hände in den Schooß legen.“

„Wie meint Ihr das?“

„Nun, ich an Eurer Stelle wäre längst zur alten Szivat nach Misaneiken gegangen! Die weiß für Alles Rath, und es wäre nicht das erste Mal, daß sie häßliche Kinder hübsch gemacht hat.“

„Kann sie denn auch eine häßliche Nase gegen eine hübsche vertauschen?“ fragte die junge, Mutter mit sichtlicher Spannung.

„Der Fall mag bisher noch nicht dagewesen sein,“ entgegnete die weise Rathgeberin. „Aber es kommt doch auf einen Versuch an; was kann’s am Ende schaden, wenn’s auch nicht nützt?“

Das war der Frau Grigat einleuchtend, und unter dem Vorwande, eine kranke Verwandte zu besuchen, welche in der Nähe von Misaneiken wohnte, erbat sich Frau Grigat von ihrem Manne die Erlaubniß zu einer kleinen Fußreise. Das Kind nahm sie natürlich mit sich, da sie demselben noch die Brust reichte, und wanderte nun durch Hitze und Staub, Regen und Wind zwei volle Tage, bis sie endlich mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte Misaneiken erreichte.

Frau Szidat hörte mit der ruhigen Würde der Ueberlegenheit die Klagen und Bitten der jungen Mutter an, besichtigte das Kind und meinte dann mit anerkennungswerther Offenheit und Bescheidenheit, daß ihr ein solcher Fall noch nicht vorgekommen sei. „Indeß.“ fügte sie zuversichtlich hinzu, „es ist ja nichts in der Welt unmöglich, und wer nur die geheimen Kräfte der Natur kennt und richtig zu benutzen weiß, der kann mit ihnen Wirkungen hervorbringen, die dem gewöhnlichen Menschen Wunder zu sein scheinen.“

Diese schöne Floskel imponirte der Clientin nicht wenig und steigerte nur um so höher ihre Zuversicht, je unverständlicher und gelehrter ihr die Worte der Alten erschienen.

„Ihr wollt mir also helfen?“ fragte sie erfreut.

„Meinen Willen lenkt eine höhere Macht, – ich muß mich dem Wohle meiner Mitmenschen opfern!“ erwiderte die schlaue Alte.

„Ihr werdet also meinem armen Kinde zu einer andern Nase verhelfen?“

„Das kann ich nicht versprechen! Aber ich will den Versuch machen. Jedenfalls aber wird Eure Tochter nach dem Trank, den ich für sie bereiten werde, so liebenswürdig und klug werden, daß sie doch alle Herzen für sich gewinnen soll, selbst wenn sie ihre alte Nase behalten müßte.“

Frau Grigat seufzte; indeß war doch das Versprechen der hülfreichen Frau nicht zu verachten, und während sie einen blanken Thaler aus dem Schnupftuchszipfel ausband und vor der „klugen Frau“ auf den Tisch legte, bat sie dieselbe, doch ja mit der Mischung des Wundertrankes nicht zu zögern, da sie große Eile habe.

Frau Szidat versprach, noch in derselben Nacht – versteht sich zur Mitternachtszeit – die Kräuter aus dem Walde zu holen und sofort den erforderlichen Decoct zu brauen.

„Und dann,“ rief Frau Grigat, „geben wir ihn gleich morgen früh der Kleinen ein!“

„Bei Leibe nicht!“ warnte die Szidat. „Jetzt ist die Zeit nicht dazu. Hier bei mir darf das auch nicht geschehen, wie denn überhaupt Niemand wissen darf, daß ich Euch gefällig gewesen bin. So etwas wird leicht mißverstanden, und bringt dann beiden Theilen nur Verdruß und Unannehmlichkeiten. Ihr reist morgen früh ruhig zurück in die Heimath, und erst wenn der Mond im ersten Viertel steht, um ein Uhr des Nachts, gebt Ihr dem Kinde ganz heimlich den ersten Löffel von meinem Saft ein. Um zwei Uhr Mittags den zweiten, Nachts um die dritte Stunde den dritten Löffel und so fort, bis die Flasche leer ist.“

Frau Grigat ließ sich diese Vorschrift noch einige Male wiederholen, um sie ja recht genau befolgen zu können, und nachdem sie der Alten noch goldene Berge versprochen, wenn ihr Trank sich wirksam erzeigen sollte, verließ sie dieselbe und begab sich zu der

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