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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

im Café de la Concorde unter den Orangenbäumen und Acazien, trank Kaffee mit Milch und forderte sich die Augsburger Allgemeine. Nachdem er einige Minuten hineingesehen hatte, warf er sie fort und rief: „Nein, diese ewigen Lügen über Italien werden ordentlich ekelhaft, und man ärgert sich doch darüber!“ Da redete ich ihn an und hörte, daß er aus der nüchternen Stadt an der Spree komme, um sich für Garibaldi zu schlagen und statt des Berliner Weißbiers Syracuser zu trinken. Und am Abend ging ich mit ihm in ein Haus in der Nähe der Promenade del acqua sola, wo er Abschied nehmen wollte von einigen Cameraden, welche noch in der Nacht mit einem französischen Schiff nach Messina fuhren. Da lagen sie auf Stroh nebeneinander, einige zwanzig, und die Meisten schliefen fest. Und neben dem Einen, einem schönen jungen Mann mit einem prächtigen, schwarzen Schnurrbart, saß eine alte Frau mit grauem Haar, hielt seine Hand in der ihrigen und sah ihn unverwandt an. Er schlief fest. Und als ich die alte Frau fragte, sagte sie mir, sie sei seine Mutter und wolle ihren Sohn, den sie als einen Streiter Italiens dem Garibaldi sende, noch die letzten Stunden sehen und seine brave und tapfere Hand in der ihrigen halten, und dann mit ihm an den Hafen gehen und ihm ihren Segen geben.

Die meisten Einschiffungen der Garibaldi’schen Freiwilligen finden in Genua und Livorno statt. In Genua sind in den letzten vier Wochen durchschnittlich täglich dreihundert eingeschifft worden. Die Zahl derer, welche von Livorno abgegangen sind, habe ich dort nicht erfahren können. Doch finden auch in Marseille, Constantinopel und in englischen Häfen Einschiffungen statt. Aus Constantinopel sind kürzlich sechshundert Ungarn in Messina angekommen. Aus England und Frankreich treffen viele Matrosen in Genua ein, welche in der Garibaldi’schen Armee Dienste nehmen. Die bei weitem größere Zahl besteht, wie sich von selbst versteht, aus Italienern, aus Lombarden, Venetianern, Piemontesen und Toscanern, besonders aus Lombarden. Sie haben selbst zu lange unter dem Drucke fremder Despotie gelebt, um jetzt nicht ihren Brüdern in Neapel und Sicilien zu Hülfe zu eilen. Meist alle kommen als Reisende nach Sardinien, sind mit Pässen und Legitimationspapieren als solche vollständig versehen und reisen als Passagiere auf englischen und französischen Schiffen, welche im Hafen zu dem Zwecke bereit liegen und von ihnen selbst oder von Bevollmächtigten Garibaldi’s gemiethet werden, nach Sicilien hinüber. Equipirt und bewaffnet wird Niemand, weder in Genua, noch in Livorno. Es steht sonach selbstredend der sardinischen Regierung gar kein Recht zu, selbst wenn sie von auswärtigen Cabineten dazu gedrängt würde und einem solchen Ansinnen nachgäbe, gegen derartige Einschiffungen hindernd einzuschreiten. Es steht ja Jedem frei, als Passagier in einem italienischen, französischen oder englischen Schiffe nach Sicilien zu reisen und dort unter Garibaldi Kriegsdienste zu nehmen. In den Straßen Genua’s sieht man die Freiwilligen nicht mit Waffen umhergehen. Viele tragen die rothe Mütze, welche in der Garibaldi’schen Armee als Kopfbedeckung eingeführt ist, Manche den rothen, kurzen Waffenrock, Manche die rothe Blouse, viele, und die meisten, den einfachen Anzug von ungebleichtem Leinen, kurzen Rock und Hosen mit kurzen Ledergamaschen, der für die Infanterie bestimmt ist. Den bangen und ängstlichen Seelen will ich übrigens sagen, daß die rothe Farbe der Mützen, der Waffenröcke und der Blousen nicht die rothe Republik bedeutet. Die Mützen haben einen weißen und grünen Streif, die Röcke und die Blousen kleine Kragen und kleine Aufschläge von grünem Tuch, und das Lederzeug und die Degenkoppel ist weiß. Röcke, Blousen und Mützen repräsentiren also in ihrer Zusammenstellung die drei Farben Italiens. Die ganze Uniform, sogar der einfache Anzug der Infanterie, ist sehr kleidend, und hebt die jugendlichen und kräftigen Formen ihrer Träger recht hervor. Der größte Theil der Freiwilligen hat sich ihre Uniformirung auf eigene Kosten anfertigen lassen und schon selbst dafür gesorgt, daß sie kleidend und zierlich gemacht ist.

In Massen müssen die Soldaten in diesen Unisormen einen imposanten und prächtigen Eindruck machen. Die Schützen, die Bersaglieri, sollen grüne Uniformen tragen; von ihnen habe ich keine gesehen. Alle schwärmen im Voraus für ihren künftigen General, ohne ihn bis jetzt gesehen zu haben, und erzählen sich Wunderdinge von seiner heroischen Tapferkeit und von seiner Herzensgüte, mit der er für seine Armee sorge. Ueber die Stärke dieser Armee gehen die verschiedensten Gerüchte und kommen die sonderbarsten Nachrichten. Das Richtige ist wohl, daß sie zwischen dreißig- und vierzigtausend Mann beträgt. Jedenfalls ist sie eine tapfere Armee und eine Armee, die sich dessen bewußt ist, wofür sie sich schlägt, steht also schon deshalb, und weil sie nur aus Freiwilligen besteht, hoch über dem Söldnerheere des Königs von Neapel.

Am Abend, als ich aus dem Hafen von Genua nach Livorno abfuhr, verließ auch der englische Dampfer Orwell, ein Schiff von ungefähr dreihundert Pferdekraft, den Hafen. Das ganze Verdeck war mit den Streitern Garibaldi’s angefüllt. Ihre rothen Blousen, die rothen Mützen und die weißen und grünen Federn leuchteten in den Strahlen der untergehenden Abendsonne, welche die Berge und die Forts und die aufsteigenden weißen Häusermassen Genua’s, welches sich „la Superba“ nennt, in einen violettfarbenen Duft hüllte. Am Spiegel des Dampfers flatterte die italienische Tricolore, über ihr die rothe englische Fahne. Und weithin über die ultramarinblauen Wogen tönten die begeisterten Rufe aller der Hunderte, welche hingingen, um für das einige und freie Italien zu kämpfen: „Evviva l’Italia! Evviva Garibaldi!“




Blätter und Blüthen.

Ein Besuch in der Sylter Vogelkoje. Es ist nicht leicht, sich eine klare Vorstellung von der Einrichtung jener eigenthümlichen Vogelheerde zu machen, die man Vogelkojen nennt. Gewöhnlich lassen sich Reisende, denen es an hinreichender Zeit gebricht, mit einer oberflächlichen Beschreibung dieser Fanganstalten genügen und gehen in der Meinung von dannen, es sei kaum der Mühe werth, einer so unwichtigen Vorrichtung wegen sich einer nutzlosen Strapatze auszusetzen. Häufig schon hatte ich ähnliche Aeußerungen vernommen und war deshalb gar nicht gewillt, eine solche Vorrichtung in Augenschein zu nehmen, als sich mir vor einiger Zeit während eines längeren Aufenthaltes in Nordfriesland wieder Gelegenheit dazu darbot. Erst nachdem ein mir wohlwollender Mann mit der Bemerkung mir entgegentrat, die Besichtigung einer Vogelkoje gewähre vielfaches Interesse und werde mich gewiß befriedigen, entschloß ich mich, dem Rathe desselben zu folgen.

So viel ich weiß, gibt es nur auf den nordfriesischen Inseln Föhr und Sylt Vogelkojen. Bekanntlich dienen sie zum Fang wilder Enten, die Anfang August in großen Schwärmen über diese Inseln ziehen. Die größte aller Vogelkojen befindet sich auf Sylt und zwar im Norden der Insel, fern von jeder menschlichen Wohnung, von hohen, seltsam geformten Dünenkegeln im Westen begrenzt, während auf der Ostseite die Brandung der See an die sie umhegenden Deiche schlägt. Schon diese wilde Umgebung, in der man außer dem Meeresrauschen und dem oft entsetzlichen Geschrei zahlloser Mövenschwärme nichts vernimmt, als das Säuseln, Pfeifen und Stöhnen des Windes, verleiht der Vogelkoje auf Sylt einen höchst seltsamen Charakter. Es sind mancherlei Formalitäten zu erfüllen, ehe man die Erlaubniß zum Eintritt in das Gehege erhält. Erst die Einlösung eines schriftlichen Scheines, den man von einem der Mitbesitzer der Koje erhält, erschließt uns dasselbe. Daß möglichst schweigsames Verhalten sowohl in unmittelbarer Nähe der Koje, wie im Innern derselben streng vorgeschrieben ist, als beträte man einen geweihten Ort, erhöht noch die Erwartung und versetzt uns, wenn nicht in eine feierliche, so doch in eine ernste Stimmung, die ganz zu dem Charakter der wüsten, aber unbeschreiblich malerischen Dünenlandschaft paßt.

Ein breternes Thor führt durch die Umwallung, über welche verwitterte, vom Nordweststurm gespaltene Weiden, Erlen und Lärchenbaume, von silbergrauem Moos bis in die dünnsten Aestchen hinauf übersponnen, herübersehen. Ein Hund schlug an, der Kiebitz rief, Möven kreischten und eine Schaar langbeiniger Wassertreter ließ ununterbrochen ihre langgezogenen Klagetöne erschallen. Sonst war es so still, daß man seinen elgenen Tritt hörte. Kein Wärter oder Aufseher ließ sich blicken.

„Wissen Sie,“ flüsterte mir einer meiner Begleiter, Capitain D., leise zu, „von unsern Landsleuten behaupten Viele, es sei hier nicht geheuer. Ich selber habe einen Wächter gekannt, der es nur wenige Nächte in der Vogelkoje aushielt, und dann so bestimmt um seine Entlassung bat, daß man sie ihm geben mußte. Er ward tiefsinnig seitdem oder doch menschenscheu, und einige Jahre später fand man ihn eines Tages todt in den Lister Dünen. Er mochte in der traurigen Einöde jener Sandthäler in die Irre gerathen und verhungert sein. Wie er eigentlich zu Tode gekommen ist, hat Niemand erfahren.“

An der Fortsetzung unserer Unterhaltung verhinderte uns der jetzt sichtbar werdende Wächter. Es war eine gedrungene Gestalt, deren Gesichtszüge Gleichgültigkeit ausdrückten. Unsern Gruß erwiderte er ziemlich mürrisch, ließ sich den Schein zeigen und zählte nach, ob auch die auf demselben verzeichnete Personenzahl richtig sei. Als er sich davon überzeugt hatte, bedeutete er uns, daß wir uns nach Belieben umsehen dürften.

Der Leser denke sich in der Mitte eines dichten, nur von sehr schmalen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_591.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)