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409,370 Thlr., auf Magazine, Kriegsgeräth etc. 94,392 Thlr. (darunter 60,064 Thlr. auf Anschaffung von Jägergewehren). Rechnet man hinzu, was die Cantone und die Wehrmänner für theilweise Selbstausrüstung jährlich ausgeben, so kommt man auf die Gesammtsumme von 1,200,000 Thlr. (für jede Familie im Lande 2 Thlr. 12 Sgr.), also ungefähr den fünften Theil sämmtlicher Staatsausgaben des Bundes und der Cantone (5,900,000 Thlr. oder für die Familie 11 Thlr. 22 Sgr., d. i. kaum mehr, als in andern Ländern für Militärzwecke allein aufzubringen ist). Alles, was Bund, Cantone und Einzelne jährlich auf das Heerwesen verwenden, beträgt nur den dritten oder vierten Theil dessen, was monarchische Staaten ausgeben, oder vielmehr nur den zehnten Theil, in Anbetracht, daß die Schweiz ein drei- bis viermal stärkeres Heer zur Verfügung hat.

Seit 1830, als die Schweiz mit Einschluß der Landwehr erst 100,000 Mann zählte, haben sich ihre Streitkräfte nahezu verdoppelt. Im Sonderbundskriege 1847 betrug die Gesammtmasse der aufgebotenen Milizen etwa 190,000 Mann, nämlich: aus den Mehrheitscantonen 147,600, aus den Sonderbundscantonen 39,750, aus den neutralen Cantonen Neuenburg und Appenzell I. Rh. 3000 Mann. Von jener Gesammtzahl erschienen im Felde ungefähr 140,000 Mann; ein Theil der aufgebotenen Landwehren war nur zu örtlichen Landsturmdiensten geeignet. Der unblutige Preußenfeldzug im Winter 1856–1857 bekundete sowohl rasche Mobilmachung als opferbereite Kraftanstrengung. Graubünden z. B. war bereit, außer seinem Contingent 2500 Scharfschützen zu stellen. Genf rüstete 14 Procent seiner 48,000 schweizerischen Einwohner aus, nämlich 6720 Mann aller Waffen mit 22 Geschützen. Waadt bot statt 9 Bataillone deren 25 an, ungerechnet die Specialwaffen.

Die gegenwärtige Stärke des eidgenössischen Heeres ist nach dem Geschäftsbericht[WS 1]des Militärdepartements für 1859 folgende. Der Auszug zählt 79,087 Mann (9418 mehr als vorgeschrieben), die Reserve 43,227 (darunter 8442 Ueberzählige), die organisirte Landwehr 57,416. Bei letzterer bleiben jedoch noch einige Lücken und Mängel zu beseitigen. Demnach besteht das feldtüchtige Heer aus etwa 180,000 Mann, welche vollkommen ausgerüstet und für den Beginn eines Feldzugs genügend eingeübt sind; Waffen und Geschütze sind als Reserve in hinreichender Zahl vorhanden.

Ueberblicken wir nun die Bestandtheile des eigentlichen Operationsheeres (Auszug und Reserve) nach ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Stärke, ohne die etwa 18,000 Ueberzähligen zu rechnen.

Die Infanterie (ohne Scharfschützen) besteht aus ungefähr 82.000 Mann in 105 ganzen, 20 halben Bataillonen und 24 einzelnen Compagnien. Sie hat das Bataillon (680 Mann) zur taktischen Einheit und theilt es ein in 6 Compagnien von 106 bis 117 Mann; vier derselben sind Füsiliere, zwei Jäger. Der Rekrutenunterricht für die Füsiliere muß wenigstens 28 Tage, für die Jäger 35 Tage dauern. Daran knüpft sich im Auszug ein jährlicher Wiederholungscurs von je 6 und 3 Tagen für die Cadres und die Masse, in der Reserve von je 2 und 1 Tag. Außerdem sind Uebungen im Zielschießen vorgeschrieben.

Wenn schon in den Bataillonen die Schußtüchtigkeit sehr verbreitet ist, so nimmt die Schweiz durch die Waffe der Scharfschützen unbedingt den ersten Rang unter allen Ländern ein, sowohl der Zahl als der Fertigkeit nach. In Auszug und Reserve stehen etwas über 7000 Scharfschützen, in 71 Compagnien von 100 Mann vertheilt. Außerdem können Landwehr und Landsturm noch eine große Zahl geübter Schützen liefern, besonders in den kleinen Cantonen. Der Rekrutenuntericht der Scharfschützen ist auf mindestens 28 Tage, der Wiederholungsunterricht für Cadres und Mannschaft auf je 6 und 4 Tage festgesetzt; bei der Reserve dauert die Wiederholung je 3 und 2 Tage. Die zahlreichen eidgenössischen, cantonalen und örtlichen Schützenfeste ergänzen den Unterricht in befriedigendster Weise. Entgegen dem Volksvorurtheil für das Standschützenwesen hat die Verwendbarkeit der Scharfschützen als leichter Infanterie beträchtlich zugenommen und kommt das Feldschützenwesen entschieden mehr in Aufnahme. Schon haben sich zahlreiche Vereine gebildet, um freiwillige Uebungen mit dem trefflichen neuen Jägergewehr vorzunehmen.

Die Artillerie ist etwa 11,000 Mann stark, mit Einschluß von 1500 Mann der Parkcompagnien und des Parktrains. Auszug und Reserve haben 79 Compagnien für 50 Batterien mit 274 bespannten Feldgeschützen, nämlich: 3 aus vierundzwanzigpfündigen langen Haubitzen bestehende Batterien, 6 Batterien von Zwölfpfünderkanonen, 29 aus Acht- oder Sechspfündern (4 Kanonen und 2 Haubitzen) bestehende Batterien, 4 Gebirgsbatterien und 8 Raketenbatterien. Außerdem sind für 12 Positionscompagnien mit 1000 Mann 202 Geschütze bereit. Rechnet man die in den schweizerischen Zeughäusern verfügbaren Geschütze hinzu, so kommt man auf eine Gesammtzahl von etwa 600 Stücken. Die Artilleriecompagnie beträgt zur Bedienung der schweren Batterien 138 Mann, der leichten 175 Mann; die Positionscompagnie zählt 80, die Parkcompagnie 60 Mann. Die Mannschaft sitzt bei Manövern auf Protzen und Caissons auf; die kostspielige reitende Artillerie kennt man nicht. Der Unterricht für die Rekruten der Artillerie erfordert 42 Tage, für die des Parktrains 35. Jeder Artillerist muß während eines Curses an der Kriegsschule zu Thun neben den praktischen Uebungen den Vorlesungen beiwohnen und sich über das Gehörte prüfen lassen. Der Wiederholungsunterricht findet alle zwei Jahre während durchschnittlich 12 Tagen statt. Zum Erstaunen mancher auswärtiger Fachleute ist trotz der kurzen Uebungszeit die schon im bürgerlichen Leben durch die schwierigen Bodenverhältnisse entwickelte Manövrirfähigkeit, sowie die Schußfertigkeit und Treffsicherheit der schweizerischen Artillerie derjenigen des Auslandes vollkommen ebenbürtig. In alle Specialwaffen werden auch nur solche Auszugspflichtige aufgenommen, welche sich wegen besonderer Neigung und Fähigkeit dazu melden. Aus diesem Grunde gelangt bekanntlich in allen Volkskriegen die Artillerie sehr rasch zu einem ausgezeichneten Grad der Tüchtigkeit.

Die Genietruppen, 1530 Mann, sind in 12 Sappeurcompagnien mit 1020 Mann und 6 Pontonniercompagnien mit 510 Mann eingetheilt. Ihre Uebungszeit ist wie bei der Artillerie. Die Cavallerie ist wegen des durchschnittenen Geländes und ihrer Kostspieligkeit unverhältnißmäßig gering, kann daher fast nur den Sicherheitsdienst besorgen und die Verbindungen zwischen den Heerestheilen unterhalten. Sie zählt ungefähr 3000 Mann, nämlich 2600 Dragoner, in Compagnien von 77 Mann eingetheilt, und 400 Guiden, in Züge von 32 Mann eingetheilt. Zwei Dragonercompagnien bilden eine Schwadron. Der Rekrutenunterricht dauert 42, der jährliche Wiederholungsunterricht 4 bis 7 Tage; die Remonte wird 10 Tage lang vor dem Wiederholungscurs eingeübt. Endlich sind noch etwa 300 Mann für den Gesundheitsdienst, Büchsenschmiede u. a. zu erwähnen.

In der Bekleidung hat das schweizerische Volksheer bisher leider gar zu sehr den stehenden Armeen nachgeahmt; die letzte Bundesversammlung hat auf Antrag des Bundesraths eine vollständige Umwälzung in Bekleidung und Ausrüstung beschlossen. Blauer Waffenrock, leichtes Tuchkäppi, leichtes Halstuch, bequeme graue Schlitzhosen, Schuhe, statt des weißen schwarzes Lederzeug als Leibgurt entsprechen den Anforderungen der Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Kleidsamkeit, auch die albernen Epauletten werden abgeschafft.

Die Bewaffnung ist gleichfalls auf dem Wege, alles zu leisten, was die neuesten militärischen Erfindungen verlangen. Fast zu lange hat man gezögert, die gesammte Infanterie mit gezogenen Handfeuerwaffen zu versehen. Gegenwärtig ist man damit beschäftigt. Die nach dem System Prélaz-Burnaud unternommene Umänderung der Rollgewehre in gezogene ist nur ein Uebergangsbehelf; dieselben sollen später der Landwehr zu Gute kommen. Das neue schweizerische Jägergewehr, mit dem bis jetzt eine Jägercompagnie jedes Bataillons ausgerüstet ist, erfreut sich allgemeinen Beifalls, auch außerhalb der Schweiz. Es wiegt mit Bajonnet nur 9 Pfund und gibt noch auf 800 Schritte sehr guten Erfolg. Gleichfalls eine herrliche Waffe ist der neue Ordonnanzstutzen der Scharfschützen. Er ist mit Bajonnet nicht schwerer als 10 Pfund, und noch auf 1000 Schritte schlägt das leichte Spitzgeschoß (32 aufs Pfund) durch drei zolldicke Breter; in der Scharfschützenschule zu Luzern 1853 hatte man damit auf 700 Schritte über 95 Procent Treffer.

Im Geschützwesen ist die Schweiz nie hinter andern Ländern zurückgeblieben; auch die Einführung gezogener Kanonen ist bereits auf die Bahn gebracht. Die schweizerischen Kriegsraketen leisten ungemein Befriedigendes, ebenso der Minenzündapparat, der elektrische Militärtelegraph u. a. Das Brückenmaterial ist größtentheils schon nach dem System Birago eingerichtet.

Die Verpflegung eidgenössischer Truppen, wenn sie auch in großer Masse aufgeboten werden, findet bei der sehr entwickelten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Geschäfsbericht
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_584.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)