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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

als die Zurückbleibenden, denn das Leben draußen, die vielen materiellen Kleinigkeiten, auf die er zu denken hat, nehmen ihn zu sehr in Anspruch, den Schmerz des Abschieds noch lange nachher so tief fühlen zu können, wie die Zurückbleibenden. So lange er noch in einem civilisirten Lande ist, verfolgt er mit dem Geldbeutel, in einem wilden mit der Büchse in der Hand seine Bahn, und – wenn die Abendstunden am Feuer nicht wären. könnte er sogar leichten Herzens durch die Welt fliegen.

Die Abendstunden am Feuer – es ist etwas Wunderbares um so ein Lagerfeuer draußen im Wald, wenn nichts als die Finsterniß eine dichte enge Wand um uns zieht und durch diese hin grell beleuchtete phantastische Baumäste ihre zackigen rauschenden Zweige in diesen Zauberkreis stecken. Die Dämmerstunde daheim ist auch eine Art Lagerfeuer, aber doch nur ein sehr civilisirtes, mag der aufgehende Mond noch so phantastische Schatten durch die Scheiben werfen. Er wirft sie eben durch eine Glasscheibe, und draußen gehen Leute auf der Treppe, unten auf dem Straßenpflaster rollen Wagen, die Magd steckt auch wohl den Kopf in die Thür und fragt, ob man Licht haben will, kurz – wenn man wirklich nicht gestört wird, ist man doch stets in Gefahr gestört zu werden – Eins so schlimm wie das Andere.

Manche lange, lange Nacht hab’ ich so draußen im Wald gelegen, und alle Anzeichen sind jetzt da, daß ich noch manche andere draußen liegen werde. Da arbeitet dann der Geist des Menschen, da gährt’s und kocht’s, da wird’s lebendig in ihm, so still und ruhig Alles draußen ist, und die Erinnerung, des Menschen größter Schatz, die ihm kein Unglück, keine Entfernung rauben kann, führt ihm die liebsten Bilder vor. Wohl dem dann, dem nicht Alles, was ihm lieb und theuer war, nur in der Erinnerung liegt, wohl dem, der auch noch eine Zukunft hat; der er entgegenstreben kann; er wird das Alles leichter, viel leichter überdauern.

Das sind aber Alles eigentlich nur Betrachtungen, mit denen ich Dich nicht länger behelligen möchte. Die besprechen sich auch viel leichter und bequemer, als daß man sie mühsam zu Papier bringt. Eher möchte ich Dir etwas Reelles aus meinem jetzigen Leben bieten, wenn man überhaupt aus einem Zustande, in dem man als Passagier zwischen Himmel und Wasser schwimmt, etwas Reelles bieten kann. Daß wir uns aber in der Wirklichkeit befinden, davon überzeugt uns schon die Royal Steamship Company, die den Preis ihrer Passage nach Pfunden, ich möchte fast sagen Centnern rechnet. Reisen ist überall theuer, nirgends aber theurer als auf Seedampfern, die freilich auch ungeheure Unterhaltung kosten. Ich selber hatte bis dahin noch keinen rechten Begriff davon, denn ich war noch nie auf einem solchen Dampfer gefahren. Denke Dir aber vor Allem, daß der La Plata, mit dem ich von Southampton nach Westindien abfuhr, allein täglich 80–90 Tons Kohlen verbrennt, die Ton zu 2000 Pfd., also eine Masse von 160–180,000 Pfd. täglich, und Du wirft danach viel leichter auf das Uebrige schließen können.

Wer übrigens noch nie auf See war, wird auf einem solchen Dampfer kaum einen Begriff von einer wirklichen Seefahrt bekommen können. Man lebt mehr wie in einem Großen Hotel, um das der Ocean allerdings herumschwimmt, ohne daß Einen dieser aber etwas weiter anginge. Die Bewegung ist dabei sehr mäßig, und wird ja Einer seekrank, so verschwindet er in einer der zahlreichen Kammern und kommt nach einigen Tagen zwar etwas bleich, aber doch sonst wieder ganz menschenähnlich zum Vorschein. Das Schnauben der Maschine geht dabei ununterbrochen, eisern fort, die Räder peitschen die bäumenden Wogen des Oceans, und gegen Wind und Strömung bricht sich der Koloß seine Bahn, – aber das ist Alles nur äußerlich; im Innern bemerkt man nichts davon, und Alles, was sonst eine Seereise interessant macht, verschwindet in dem rasenden Fortgang des Schiffes. Kein Fisch kommt in die Nähe der rauschenden Räder, kein Delphin, kein Bonito, kein Hai, höchstens daß wir einmal ein paar fliegende Fische aus ihrer Ruhe aufscheuchen – keine schwimmende Muschel, keinen Nautilus kann man auffischen, denn der Bootrand ist zu hoch. Das Dampfschiff bietet auch in der That gegen das Segelschiff auf See denselben Unterschied, den auf dem festen Lande die Eisenbahn gegen die gemüthliche Postkutsche zeigt – vorwärts – nur immer vorwärts, und Station St. Thomas, Station Panama – es sind immer nur wenige Minuten Aufenthalt.

Als Antritt meiner Reise ist mir das freilich ganz recht – ich will ja eben rasch in eine fremde Welt, für die Heimkehr aber, wo ich das Erlebte zu verarbeiten habe, werde ich mir wahrscheinlich wieder ein Segelschiff aussuchen, denn in solchem Leben und Treiben kann man seine Gedanken nun und nimmer sammeln.

Auch mit dem Verkehr unter den Passagieren ist es genau so auf einem Dampfer, wie auf der Eisenbahn daheim. Man verkehrt mit dem größten Theil derselben gar nicht und geht Tag für Tag fremd an ihnen vorüber, weil man ja im Voraus weiß, daß man nur wenige Tage mit ihnen zusammen ist – und an der nächsten Station stiebt doch Alles auseinander. So war es auch, als wir in St. Thomas anlegten. Verschiedene Dampfboote legten augenblicklich langseit, die Briefsäcke und verschiedenen Passagiere an Bord zu nehmen. Ein Theil von diesen ging nach Jamaica, ein anderer nach Demerara an der Ostküste Amerikas, ein dritter, und ich mit ihnen, nach Colon, dem Isthmus von Panama, und wenige Stunden später schnaubten wir schon Alle wieder auf unseren verschiedenen Bahnen davon, einander vielleicht im Leben nicht wieder tu treffen.

Ein wunderbares Gefühl war es mir immer unterwegs, diese kleine, für sich abgeschlossene und von jedem europäischen Luxus erfüllte Welt zu sehen, die allem Anschein nach vollkommen sicher und vergnügt ihre Bahn durch die rollenden Wogen verfolgte. In dem prächtigen verzierten Salon bewegen sich die Leute gemüthlich durcheinander, lachen, singen, spielen Karten, erzählen, und ein einziger Stoß von außen, ein einziger Fels im Meer, oder nur der Ruf „Feuer“ durch das erleuchtete Schiff – und welche furchtbare Verwandlung würde der erschaffen! Wohl hängen zahlreiche Boote draußen an Bord, und alle Vorsichtsmaßregeln sind getroffen, auch einer solchen Calamität zu begegnen, wenn sie eben hereinbrechen sollte; aber, du lieber Gott, wie wenig Menschen behalten in einer plötzlich hereinbrechenden Gefahr auch die nöthtige Ruhe, ihr mit kaltem Blute zu begegnen, und mit einer Masse von Passagieren ist es oft nicht möglich, in einem solchen Fall die Ordnung aufrecht zu erhalten. So mag es auch auf der Austria gewesen sein, als der Feuerschrei durch das Schiff dröhnte, und die vor Furcht rasenden Passagiere nach den Booten stürzten. In der Angst, in dem brennenden Schiffe zurückgelassen zu werden, zerstörten sie selber die einzigen Mittel, auf denen sie sich hätten retten können, überfüllten die Boote oder warfen sie selber so unvorsichtig nieder, daß sie gleich von Anfang an Wasser schöpften, und weihten sich selbst dadurch dem Untergang.

Das Alles mag auch uns vielleicht bevorstehen, aber glücklicher Weise kennt der Mensch sein zukünftiges Schicksal nicht. Was auch die Zukunft in ihrem Schooße birgt, es ist für uns noch mit einem dichten Schleier bedeckt, und das leichte Herz des Menschen, die frohe Hoffnung eines glücklichen Gedeihens, die uns fast immer die Seele füllt, hilft uns, daß wir an mancher Klippe und Untiefe unseres Lebens ahnungslos vorüberschiffen. Um das bestätigt zu sehen, brauchen wir auch nicht einmal in See zu gehen, unser einfaches Leben daheim liefert uns hierzu Tausende von Beispielen. Hier aber wie daheim dürfen wir bei einer plötzlich hereinbrechenden Gefahr vor allen Dingen nicht den Kopf verlieren. Hier wie daheim müssen wir unsere Sinne beisammen behalten und ihr fest und kalt entgegentreten – sie hat in dem Falle schon die Hälfte ihrer Furchtbarkeit verloren. Und werde ich selber meine guten Rathschläge befolgen? Ich will es hoffen. Wieder liegt ein bewegtes Leben vor mir – wieder ein ganzer Welttheil, den ich die Kreuz und Quer zu durchwandern gedenke – gebe Gott, daß wir uns im nächsten Jahr so frisch und fröhlich wieder sehen, als wir in diesem von einander Abschied nahmen, und da der alte Gott noch lebt, dürfen wir das ja auch hoffen. Bis dahin aber grüßt Dich herzlich, mein lieber Freund,

Dein alter getreuer
Fr. Gerstäcker.


Schach.

Das Schach, nicht mit Unrecht das Spiel für Denker genannt, hat schon seit alter Zeit in unserem Vaterlande, dieser zweiten Heimath des Gedankens, sich hoher Anerkennung und warmer Verehrer, die Tüchtiges in ihm leisteten, zu erfreuen gehabt. Im dreizehnten Jahrhundert von einem Predigermönche, Jakob von Cessolis, zum Thema moralischer Reflexionen erkoren, wurde es später von einem deutschen Fürsten, dem Herzog August von Braunschweig-Lüneburg († 1666), in einem starken Foliowerke theoretisch behandelt und dann durch hervorragende Geister wie Lessing, Kant und A. mit Vorliebe geübt und empfohlen. Ausgezeichnete Meister erster Stärke sind jedoch erst in diesem Jahrhundert erstanden: in Wien Allgaier und in Berlin Mendheim waren die ersten Vorläufer der gegenwärtigen, auch an praktischer Tüchtigkeit in jeder Beziehung dem Auslande ebenbürtigen Generation. Vor Allen sind es die Gründer und Anhänger der sogenannten Berliner Schule, welche nicht nur durch ihre bewundernswerthen theoretischen Leistungen, sondern auch durch entsprechende praktische Stärke bis in’s fernste Ausland hohen Ruhm erworben haben. Zwar sollten mehrere Vorkämpfer, namentlich Bilguer, Bledow und Hanstein, schon frühzeitig auf immer von uns scheiden, und andere Meister, wie Mayet und Anderssen, in neuerer Zeit durch Mangel an genügender Uebung von ihrer früheren Stärke entschieden einbüßen, aber durch Namen wie v. d. Lasa, der Herausgeber des größten Schachwerkes (des Handbuches des Schachspiels) und M. Lange, der Redakteur der Schachzeitung, wird auch heutzutage auf theoretischem und praktischem Felde der deutsche Schachruf über der ganzen Erde in vollem Klange erhalten. Indem wir von Zeit zu Zeit Partien von allen genannten Meistern als Proben ihrer praktischen Tüchtigkeit mitzutheilen gedenken, wollen wir für heute zunächst noch das Interesse der Schachfreunde auf eine unlängst in Leipzig erschienene Schrift hinlenken, welche in höchst anziehender Schilderung ein treues Bild von der erwähnten Blüthezeit der deutschen Meisterschaft, insbesondere der Berliner Schachschule, entwirft. Es sind die „Berliner Schach-Erinnerungen“, herausgegeben von dem Autor des Handbuches, dem gegenwärtigen preußischen Gesandten und Ministerresidenten am Hofe zu Weimar, Herrn v. d. Lasa. Wir entnehmen aus diesem höchst interessanten Werke, das außer dem genannten Inhalt auch noch die originellen Spiele von Greco und Lucena in einer genauen kritischen Bearbeitung zusammenstellt, die nachfolgende Aufgabe und Partie.

Aufgabe Nr. 6.

Stellung: Weiß. K e 6. S a 6, b 5. B d 6, e 5, e 7, f 6. Schwarz. K e 8. T c 8, h 8. L b 2. Matt in fünf Zügen durch Bauer c 5. Von Greco.

Partie Nr. 2.
(Gespielt am 13. December 1841.)
Hanstein (Weiß) gegen v. d. Lasa (Schwarz).
Weiß. Schwarz.
1) e 4 e 5.
2) f 4 e f :
3) S f 3 g 5
4) L c 4 g 4
5) o–o g f
6) D f 3 : D f 6.
7) e 5 D e 5 :
8) d 3 L h 6
9) L d 2 S e 7.
10) S c 3 c 6
11) T a e 1 D c 5 †
12) K h 1 d 5.
13) D h 5 D h 6
14) L d 5 : o–o
15) T e 7 : c d
16) S d 5 : S c 6
17) L f 4 : L f 4 :
18) T f 4 : D e 7 :
19) S e 7 † S e 7 :
20) D g 5 † S g 6
21) T f 3 L d 7
22) h 4 T a e 8
23) T g 3 f 5
24) D h 6 f 4
25) T g 6 † h g
26) D g 6 † und gibt ewig Schach.
Antwort auf die eingegangenen Zuschriften in nächster Nummer.

Für „Vater Arndt“

gingen bei Unterzeichnetem wieder ein: 32 Thlr. 18 Ngr. Eine frohe Gesellschaft Deutscher in Karsum, Gouvernement Kief, auf dem Gute des Fürsten Lopuchin, durch F. Heinemann – 1 Thlr. H. v. T. in N. – 13 Thlr. 12 Ngr. Privatschützengesellschaft in Grimmen (Neupommern) – 1 Thlr. 4 Ngr. 4 Ngr. Sängerverein in Zeulenroda.

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
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