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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Rauch theilte sich auseinander, und ich erblickte zu meiner unsäglichen Freude den schlanken Hug-ha, der mit der Büchse auf der Schulter herbeisprang und sein störrisch gewordenes Pferd an der langen Leine auf die leergebrannte Fläche zu zerren trachtete. Wir eilten zu Hülfe, und unsern vereinten Anstrengungen gelang es, das arme Thier in dem Augenblicke zu retten, als die Flammen an ihm hinaufleckten und den schönen, wohlgepflegten Schweif mit Gedankenschnelligkeit kahl sengten.

Während ich nun die Ausdrücke der Freude über Hug-ha’s Eintreffen und unsere Rettung nicht zurückzuhalten vermochte, benahmen sich die beiden Brüder, als ob durchaus nichts Ungewöhnliches vorgefallen sei, und schienen den Verlust des Pferdeschweifes und der Jagdbeute höher anzuschlagen, als unser glückliches Entkommen. Auch verstand ich ihre Zeichen und ihre Sprache genugsam, um zu erkennen, daß sie darüber berathschlagten, in welcher Richtung wir ziehen müßten, um das vor dem Feuer geflüchtete erschöpfte Wild zu finden und eine Verheerung unter demselben anzurichten.

Die Flammen, als sie die von allem Brennbaren gesäuberte Stelle erreichten, hatten sich unterdessen getheilt, und vom wüthenden Sturm gepeitscht, brausten sie zu beiden Seiten an uns vorüber, wie um den jüngst erzeugten Feuerstreifen einzuholen, der, sich schnell ausdehnend, lustig vorauf eilte und Millionen von Funken und verkohlten Grastheilchen emporwirbelte. Die Pferde zitterten und bebten, und in der That war es ein Anblick, der sogar das stärkste Männerherz ergreifen mußte. – Da, wo wenige Minuten vorher üppiges Gras, wenn auch herbstlich gefärbt, die weite Niederung schmückte, und wo samenschwere Halme sich feierlich wiegten, da erblickte man jetzt ein ödes, dampfendes Aschenfeld; und wie um das Bild des Todes zu vervollständigen, ragten hin und wieder geschwärzte Büffelschädel und Hirschgeweihe hervor, welche jetzt, nachdem das bergende Gras verschwunden, von frühern erfolgreichen Jagden zeugten.

Auf der andern Seite dagegen tobte der wilde Brand in seiner ganzen Pracht unaufhaltsa1n dahin; dumpfes Sausen und Knattern begleitete den endlosen Feuerstreifen. Blutroth beleuchtet erschienen die rollenden Rauchmassen, die, von dem heftigen Winde niederwärts gedrückt, den Verderben bringenden Flammen voraufzogen, gleichsam warnend die Geschöpfe, welchen die Mittel fehlten, das entfesselte Element durch sich selbst siegreich zu bekämpfen.

Lange stand ich und blickte mit innigster Bewunderung auf das erhabene Schauspiel; selbst meine indianischen Gefährten schienen nicht unempfindlich gegen dergleichen Eindrücke zu bleiben, denn auf geheimnißvolle Weise flüsterte Hug-ha, indem er auf den Feuerstrom wies: „Das ist der rächende Manitou.“

Die Pferde am Zügel führend, folgten wir langsam einer Regenschlucht nach, wo kleine Rasenflächen, welche der Brand übersprungen und verschont hatte, zum Lagern einluden. Die Dämmerung stellte sich ein, der Wind erstarb, und, nicht mehr abhängig von den Luftströmungen, stiegen die mächtigen Rauchsäulen bis in die Wolken hinein. Als aber nächtliches Dunkel sich auf die Ebene senkte, da prangte der östliche Horizont in stets wechselnder magischer Beleuchtung. Bald hoch auflodernd, bald wie Irrlichter flackernd und hüpfend, je nachdem das Feuer auf üppigere oder kärglichere Nahrung stieß, schlich der Brand langsam über die fernen Bodenanschwellungen; über der noch unberührten Steppe aber wie über den Flammen und dem schwarzen Aschenfelde glänzten mit mildem Lichte die ewigen Sterne.




Berliner Bilder.
Von E. Kossak.
Nr. 10. Seine Badesaison.

„Mein Urlaubsgesuch ist bewilligt!“ rief der Kanzleirath Tiphonius und hielt seiner Frau Gemahlin ein officiell zusammengefaltetes Papier entgegen. „Ich kann reisen, wenn ich will, und sechs Wochen fortbleiben.“

„Gott sei Dank!“ antwortete die Kanzleiräthin, eine kugelrunde, gutmüthig aussehende Dame, „Du hast lange genug am Actentisch gesessen, es ist die höchste Zeit, daß Du endlich etwas für Deine Gesundheit thust. Innerhalb acht Jahren hast Du keinen Urlaub gehabt. Jetzt muß etwas Ordentliches geschehen, entweder warme Bäder oder regelmäßige Abreibungen in einer Kaltwasserheilanstalt!“

Der Kanzleirath runzelte die Stirn, streckte pathetisch den rechten Arm aus, machte demnächst mit dem rechten Beine die Stellung eines Tänzers, der eine gehässige Leidenschaft auszudrücken hat, und sagte mit Bitterkeit: „Ich möchte wohl wissen, was daran noch warm zu baden, was daran noch kalt abzureiben wäre!“ Der arme Mann hatte Recht, an ihm war nichts mehr abzureiben, er trug nur noch das trockne Gerüst seiner Persönlichkeit, das fertige Präparat für das anatomische Museum, sein zu Schanden geschriebenes Skelett, mit sich herum.

„Nun, Du wirst doch eine Erholungsreise machen, während ich zu Evelinen nach Pankow ziehe und nach dem Rechten sehe?“ fragte verwundert die Kanzleiräthin, die ihren Mann nur darum so lebhaft von Berlin fortzuwünschen schien, um ein scharfes Augenmerk auf „das Rechte“ zu haben, worunter der nächstens zu erwartende Erstling ihrer an einen wohlhabenden Materialisten verheiratheten und auf der Sommerfrische befindlichen Tochter Eveline zu verstehen war.

„Gewiß werde ich eine Erholungsreise machen, aber nicht, um zu baden, sondern um zu trinken! Ich gehe nach Marienbad,“ sagte Kanzleirath Tiphonius, „ich habe die triftigsten Gründe dazu.“

„Recht so, recht so,“ rief hinter ihm eine süß schmeichelnde Stimme, in der die Klangfarbe eines geübten Supplicantenregisters nicht zu verkennen war, „recht so, das ist im Geheimen auch längst mein Wunsch gewesen. Ich schwieg nur, so lange keine bestimmte Aussicht auf Urlaub vorhanden war. Marienbad, das ist Ihr Brunnen, mein lieber Kanzleirath!“ Die Stimme gehörte dem Hausarzte, einem jener Doctoren, die nach Umständen in Allopathie oder in Homöopathie machen, heute für warmes, morgen für kaltes Wasser enthusiasmirt sind, ihre meisten Curen aber, um wenigstens den Patienten generaliter zu reinigen, mit einem energischen Brechmittel anheben.

„Aber, lieber Sanitätsrath, erbarmen Sie sich,“ rief die Kanzleiräthin, die offenbar ihren abgearbeiteten Mann so lange als möglich am Leben erhalten wollte, „was soll dieser Mann in Marienbad? was soll ihm der scharfe abführende Brunnen? In acht Tagen ist er ja so weit, daß Sonne und Mond ihm durch die Rippen scheinen! Ich bitte Sie um Gotteswillen, schicken Sie ihn nicht nach Marienbad, bei der dortigen Fastenkost geht er mir ganz zu Grunde; ich habe hier ohnehin schon meine liebe Noth, ihn zusammen zu flicken!“

„Wie die Frau wieder spricht –“ sagte Tiphonius sehr verdrossen.

„Bitte, bitte –“ unterbrach ihn der Sanitätsrath, „es handelt sich hier nicht, meine verehrte gnädige Frau, um einen Ueberfluß an Säften, wohl aber um einen Ueberfluß an schädlichen Ablagerungen, sogenannten Anschoppungen im Unterleibe; deshalb Marienbad. Wenn wir Ihren Herrn Gemahl davon befreien, werden alle Functionen wieder ungehindert vor sich gehen, und er wird von Neuem ein starker, gesunder Mann werden; deshalb Marienbad, sage ich noch einmal und werde es immer sagen.“ Und da der Sanitätsrath dieses Gutachten mit hohem medicinischen Pathos abgegeben hatte, imponirte es beiden Ehegatten, ihm, als wissenschaftliche Bejahung seiner eigenen Meinung, ihr, als glücklicher Fingerzeig auf die wahrscheinliche Wiederherstellung aller Funktionen im Organismus des armen Kanzleirathes. Der Sanitätsrath bemerkte mit Vergnügen die gute Wirkung seiner Erklärung und fügte als Epilog hinzu, daß er gegen Abend nach Pankow hinausfahren werde, um nach dem Befinden der jungen Frau zu sehen. Nach diesem schönen gemüthlichen Schlußeffect empfahl er sich, da er eine wichtige Consultation wegen des russischen Fürsten Oposoffski nicht versäumen dürfe.

Die Kanzleiräthin blickte ihm, zufrieden mit einem solchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_573.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)