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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Die Excellenz schilt und flucht jetzt deutsch und französisch durcheinander. Da tritt unser Mann im Kittel und Slowakenhut zu einem der Stallmeister und sagt mit bescheidenem, fast demüthigem Tone:

„Würden Sie mir nicht von dem Herrn General die Erlaubniß erbitten, das Pferd zu reiten?“

„Ihm?“ versetzte der Angeredete verwundert, indem er den Fremden vom Kopf bis zu den Füßen maß.

„Ich würde schon damit fertig werden,“ antwortete der letztere, „lassen Sie mich nur darauf!“

Die Excellenz hatte ihn in’s Auge gefaßt. „Was will der Mensch?“ rief er dem Stallmeister zu, „– auf den Fuchs? Nun, so laßt ihn, vielleicht gibt der hannakische Bauer der kaiserlichen Manége eine Lection.“

Der Fremde hatte den großen Hut, den er in der Hand gehalten, schon weggeworfen; er strich jetzt das dunkle, dichte Haar aus der Stirn, und indem er sich dem Pferde näherte, ließ er es von den zwei Reitknechten, die es hielten, mehr abseits, von den Zuschauern möglichst entfernt, führen. Dann suchte er es durch Zureden und Streicheln zu beruhigen, und nachdem dies gelungen schien, machte er einen weiten Bogen, der ihn mehrere Schritte weit hinter das Pferd brachte, nahm einen kurzen Anlauf und mit einer bewundernswürdigen Turnergewandtheit schwang er sich mit einem mächtigen Satze über des Pferdes Croupe in den Sattel.

„Alle Wetter, wie springt der Kerl!“ rief die Excellenz verwundert aus.

Der Fuchs bäumte sich sofort, aber er ließ sich von dem Reiter beschwichtigen; er scheute wenigstens nicht und machte keine Seitensätze, um seine Last fortzuschleudern, er schien sich darein zu ergeben, in des Mannes Hand und Gewalt zu sein, der Besitz von ihm genommen; vielleicht auch war er durch den früher geleisteten Widerstand ermüdet. Jedenfalls hatte der Fremde richtig beobachtet, er hatte wahrgenommen, daß das Thier vor denen scheute, welche rasch und aufgeregt an seine Seite traten und ihm die Absicht verriethen, es zu besteigen; darum hatte er den kühnen Satz über die Croupe gemacht.

Der Fuchs ließ sich jetzt in die Bahn führen und ließ ahnen, daß nicht jeder gute Keim zu Gehorsam und Zucht in ihm erstickt sei. Wohl gab es von Zeit zu Zeit kleine Störungen in dem sich anbahnenden guten Einvernehmen zwischen Roß und Mann; jenes schien namentlich nicht ganz über den passendsten Gebrauch seiner vier Beine mit sich einig zu sein und von Zeit zu Zeit von der Idee befallen zu werden, die vorderen seien nur dazu da, mit ihnen in der Luft Entrechats zu schlagen; aber die Geduld und Ruhe des Reiters, verbunden mit einer unerschütterlichen Festigkeit im Sitz, brachte es immer wieder zu einem baldigen Friedensschluß.

Der General sah mit Vergnügen, das Stallpersonal nicht ganz angenehm überrascht dem Schauspiel zu.

Der Fremde führte endlich das bezwungene, schweißbedeckte Ungeheuer in die Mitte der Bahn, dem General gegenüber, sprang leicht aus dem Sattel und machte der Excellenz eine ruhige Verbeugung, mit dem Anstande eines wohlerzogenen Mannes. Der General winkte ihn heran.

„Brav, brav,“ sagte er in seinem gebrochenen Deutsch, „man sollte meinen, Er sei ein verkappter englischer Reiter, der sich einen Spaß mit der kaiserlichen Manége machen will! Nun, jedenfalls hat Er gezeigt, daß der Fuchs zu bändigen und zu schulen ist; ist mir sehr lieb; da nehm’ Er!“

Die Excellenz war mit der schmalen Hand in die Tasche der tief herabhängenden gestickten Weste gefahren und hatte wie eine Prise daraus vier oder fünf nagelneue, funkelnde Kremnitzer Dukaten herausgeholt, die er dem Fremden reichte.

Dieser trat bescheiden einen Schritt zurück.

„Halten zu Gnaden, Excellenz,“ sagte er, „ich bin, wie Sie sehen, ein armer Teufel, den die Noth und der Hunger zwingen, hier einen Herrendienst als Bereiter, oder was es irgend sein mag, zu suchen. Aber ich bin kaiserlicher Officier, und Ew. Excellenz werden mir deshalb vergönnen, ein Trinkgeld abzulehnen.“

„Officier? Er ist Officier?“ fragte der General überrascht aushorchend. „Wie ist das möglich? Expliquez-vous!

„Ich heiße,“ versetzte der Fremde, „Joseph von Frohn, bin Oberlieutenant bei Prohasca-Dragonern, habe die Feldzüge gegen die Preußen mitgemacht und wurde gefangen in der Schlacht von Liegnitz. Mit vielen Tausenden von andern Kriegsgefangenen wurde ich nach Magdeburg geschickt, das damals eine sehr schwache Besatzung hatte. Dort habe ich die Cameraden für einen Versuch gewonnen, die Festung in Besitz zu nehmen; das ist uns nicht ganz gelungen, obwohl wir die Stadt in unsre Gewalt gebracht haben. Aber wir haben das Gouvernement gezwungen, uns mit den Waffen, die wir genommen, und mit einem Zehrgelde, das uns ausbezahlt wurde, frei abziehen zu lassen. Ich bin zu meinem Regimente nach Böhmen zurückgekehrt und wegen meines Verhaltens in Magdeburg zum Rittmeister befördert worden, habe aber das Patent nie erhalten, denn ein unglückliches Gefecht bei Landshut ließ mich vorher wieder in preußische Gefangenschaft gerathen. Ich wurde nun nach Kosel gebracht, und da man zum Unglück in mir den Mann von Magdeburg erkannte, so bin ich dort auf das Abscheulichste behandelt worden. Ich wage jedoch nicht, Ew. Excellenz mit der Erzählung der Quälereien aufzuhalten, die man mir in diesem schrecklichen Kosels’chen Sumpfloch angethan hat. Der Hubertusburger Friede hat mich dann gerettet; ich wurde mit andern Cameraden nach Breslau abgeführt und dort nach Nachod instradirt, ohne einen Pfennig Wegzehrung ausbezahlt zu bekommen, und gekleidet wie ein Zuchthäusler.

„So habe ich mich,“ fuhr der unglückliche Officier zu erzählen fort, „als Bettler durchschlagen müssen. In Nachod habe ich wenigstens bei einem Bürgersmann so viel Barmherzigkeit gefunden, daß er mir die Kleider, die ich hier trage, schenkte, und dann habe ich mich weiter durch Böhmen und Mähren durchgeschlagen, hierher, weil ich hier mein Regiment finden mußte. Das Regiment steht auch hier, als ich mich aber auf der Adjutantur meldete, und die Stammrolle nachgeschlagen wurde, fand sich bei dem Namen Frohn der Zusatz: „Geblieben vor dem Feind.“ Man hat mir deshalb den Wiedereintritt verweigert; in meine Stelle war bereits ein Anderer eingerückt; die Regimenter sind sämmtlich wegen des Friedens reducirt, und weil ich der Stammrolle nach todt bin, will man mir auch keine Entlassung und keine Pension geben; beim Oberst-Inhaber bin ich gar nicht vorgelassen worden.“

Die Excellenz unterbrach hier die Erzählung mit einem französischen Fluche.

„Aber ist das ein Unglück!“ rief er aus, „pauvre diable que vous êtes … von Seiner Magdeburger Affaire hab’ ich gehört, ich entsinne mich dessen … ce sont des miserables qui vous traitent ainsi … mais,“ fuhr er fort, seine goldene Uhr hervorziehend, „es ist Mittagszeit. Ich bin der Feldmarschall und Arcieren-Hauptmann Graf von Aspremont-Linden. Venez me trouver demain matin, wir werden weiter davon reden, en attendant donnez votre nom à mon piqueur!“

Die Excellenz nickte mit dem Kopfe, und während Frohn einem der Diener des Feldmarschalls seinen Namen wiederholte, verließ die Gesellschaft die Bahn; der ungarische Fuchs, zwischen zwei Reitknechten geführt, schloß den Zug.

Die Herren Bereiter und Stallmeister hatten aus einer respektvollen Entfernung die Unterredung mit angehört, und Frohn’s Erzählung hatte bei Einigen von ihnen etwas von dem Groll und Aerger verscheucht, womit sie auf den Mann blickten, der sie beschämt und gedemüthigt hatte. Nichtsdestoweniger zerstreuten sie sich jetzt, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Nur ein junger, blaß und etwas verlebt aussehender Mensch mit schönen dunklen Augen und feinen Zügen, der die Scholaren-Uniform der kaiserlichen Reitschule trug, trat auf ihn zu.

„Jetzt läuft Alles auseinander,“ sagte er mit einem gewissen gutmüthigen Humor, „und schaut halt, was die Frau Eheliebste zum Mittagessen aufgesetzt hat – wo der Herr von Frohn was zu essen bekommt, darum kümmern’s sich nicht, und ’s hat doch keiner mehr a guten Bissen verdient … wissen’s was, essen’s mit mir, und nachher sorg’ ich auch schon für ein Unterkommen auf die Nacht!“

Der Officier im Zwillichkittel sah ihn überrascht an; aber er hatte keinen Grund, die Einladung abzulehnen, und sehr dringende Gründe, sie anzunehmen. So ging er mit dem gutmüthigen Scholaren, der ihn in ein Speisehaus der Nachbarschaft führte und hier mit Vergnügen zuschaute, wie gut seinem Gaste die aufgetragen Gerichte, der gebratene „Lammshase“ und die „Kolatschen mit Bowidl“ schmeckten. Der junge Mensch, der sich Franz Fellhamer nannte und der, nebenbei bemerkt, trotz seiner Jugend eine bedeutende Uebung in der Vertilgung der aufgetragenen Weinforten verrieth, unterhielt ihn dabei mit großer Zungengeläufigkeit. Nach

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