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weiter, wenn jene Festtage beging. Diesmal war es anders. Die Parteiunterschiede haben aufgehört; ganz Genf war national schweizerisch, eidgenössisch, antifranzösisch. Einzelne reiche Häuser ausgenommen, waren doch die populairen Straßen, die Rues Coutance und Cornavain am rechten, die Rues Basses und du Rhone am linken Rhoneufer am reichsten und schönsten geschmückt. Fahnen, Guirlanden, Kränze und Inschriften bedeckten daselbst die Häuser und bildeten Hallen, daß kaum der Himmel zu sehen war.

Auch die vielen Fremden aller Nationen, die in grosser Menge Genf bewohnen, wollten an diesem Feste, das so zu einem Nationalfeste wurde, Theil nehmen, und in Verbindung mit den Schweizer und Genfer Fahnen sah man überall Flaggen der entferntesten Nationen, amerikanische, englische, italienische, ungarische, russische, preußische. Auch die deutsche schwarzrothgoldne Flagge sahen wir zu unserer Freude aus vielen Fenstern wehen. Es war wie ein Vorspiel einer europäischen Coalition zu Gunsten der Schweiz, oder im Allgemeinen gegen übermüthige Eingriffe und Eroberungsgelüste. Die französische Fahne fehlte in diesem Congresse, obwohl es hier Franzosen gibt. Aber wo lebt ein Franzose, der nicht Chauvin genug wäre, um empört zu sein, daß man sich von seiner großen Nation nicht wolle erobern lassen? Selbst in Genf lebend, selbst in hiesiger Freiheit gedeihend und sie ausbeutend, wird er nicht begreifen, wie man vor französischem Despotismus und übertünchter französischer Bornirtheit einen Horror haben könne, und Keiner wird sich zu der Höhe erheben, einem Volke, das sich gegen französische Beglückung sträubt, gerecht zu werden oder gar in seinen Widerspruch mit einzustimmen. Aber vielleicht thue ich doch dem Einen oder dem Andern Unrecht: vielleicht lebt ein solcher Phönix hier, erzogen von der Genfer Freiheit, und hat er seine Sympathie für ein Volk, das Freiheit und Ehre wahren will, nur aus Furcht vor dem Consul und der Armee von Spähern, die in diesen Tagen Genf bevölkerten, nicht gezeigt. Das Factum ist, daß eine ganz kleine französische Fahne einen Moment lang in der Rue du Rhone geweht hat, und daß auch sie bald verschwunden ist, denn diejenigen, die, von diesem Wunder hörend, es lachend aufsuchen wollten, fanden sie nirgends mehr.

Die Officiere kamen Samstag, den 4. August, gegen sechs Uhr, in Folge eines kleinen Unfalls an der Dampfmaschine, um zwei Stunden später, als sie angekündigt waren, in Genf an. Die Quais der Rhone- und Seeufer waren von Menschen überfüllt, alle Fenster und alle Balcone mit jener weltberühmten Aussicht wie Theaterlogen und Gallerien besetzt. Im Augenblicke, da das Dampfschiff in den Hafen einbog, donnerten Kanonen und Böller von vielen Punkten des Ufers auf einmal; die Glocken fingen zu läuten an, zahlreiche Musikbanden, die auf der Bergues-Brücke, auf der Rousseauinsel, an den Ufern aufgestellt waren, spielten den Kuhreigen oder „Rufst Du, mein Vaterland,“ und Zehntausende von Stimmen riefen ihr „Willkommen“ und „Es lebe die Schweiz, es lebe die Eidgenossenschaft!“ darein. Hunderte von kleinen Booten umschwärmten das vielbeflaggte Dampfschiff, das die Eidgenossen brachte und die Grüße der Stadt mit seinen Kanonen beantwortete. Alle Dampf- und Segelschiffe im Hafen strichen die Flaggen. Es war in der That ein ebenso malerischer als erhebender Moment, ein Schauspiel zugleich für’s Auge, wie für das Herz. – Vom Landungsplatze begaben sich die Gäste in langem Zuge, immer vom Zuruf des Volkes begleitet, in die Nähe des botanischen Gartens, wo sie von den Behörden der Stadt und des Cantons bewillkommnet wurden, und wo James Fazy die Rede hielt, aus der wir oben einige Worte anführten. Abends war grosser Ball im Wahlhause, das mit grossem Geschmack geziert war und wo sich alle Classen der Bevölkerung versammelten.

Sonntag Morgens hielten die Comité’s für die Specialwaffen ihre Sitzungen. Gegen drei Uhr machten die Gäste auf zwei Dampfschiffen einen Ausflug auf den See. Bei ihrer Rückkehr gab man ihnen das Schauspiel einer Regatta oder eines Wettrennens in Kähnen. Dann landeten sie im Landhause des Herrn Eduard Favre, wo ihnen dieser Bürger in Zelten und auf Rasenplätzen ein prächtiges Mahl auftischte. Der Wein floß in marmornen Rinnen die verschiedenen Tafeln und Gruppen entlang. Herr Favre hatte das Glück, in seinen Armidagärten an jenem Nachmittage an fünfzehnhundert Gäste zu bewirthen. Aber die schönste Epoche des Festes kam erst mit der Nacht. Ist Genf immer schön, so war es in dieser Nacht in der That, wie Stämpfli in seiner Rede sagt, „zu schön, denn es weckt Verlangen und die Lüsternheit nach seiner Schönheit.“ Dies war der unbeschreibliche Moment. Nur wer Genf kennt, kann sich mit Hülfe einer reichen Phantasie eine Vorstellung von dem Genf machen, das mit seinen in Licht- und Flammenguirlanden getauchten Palästen, Ufern und Brücken sich in Rhone und See widerspiegelt, während auf dem See Hunderte von Booten mit ihren Fanalen und Fackeln wie Feuermücken umherfliegen, und auf den Höhen Freudenfeuersäulen aufsteigen. Der Schreiber dieser Zeilen hat viele derartige Beleuchtungen gesehen, wenige, die er mit dieser an Pracht, Reichthum und Geschmack vergleichen könnte. Es war eine Herrlichkeit, wie sie eben nur aus einem Consensus omnium hervorgehen kann. Den Höhepunkt erreichte die Illumination, als sich gegen zehn Uhr aus der Mitte des Sees, scheinbar aus der Tiefe des Wassers selbst, wie ein griechisches Feuer ein grosses Feuerwerk erhob, dem Raketen und Bouquete von den verschiedensten Seiten her Antwort gaben. Besonders erwähnenswerth ist die Trophäe, die, von einer elektrischen Sonne beleuchtet, sich auf dem neuen Platze befand; allerdings rührte ihre Zeichnung von einem großen Künstler, von Diday, dem Lehrer Calame’s, her. – Feuerwerk und Beleuchtung von den savoyischen Bergen her, welche einige Tage vorher in den Journalen anonym angekündigt waren, „als ein Zeichen der Sympathie Savovens für Genf und die Schweiz,“ fanden nicht statt. Französische Autoritäten wissen dergleichen zu verhindern, was die naiven Savoyarden noch nicht recht wissen, aber bald bis zum Ueberdruß wissen werden.

Der schönen Nacht folgte der ernste Morgen. Auf der Ebene von Plainpalais, dem Marsfelde Genfs, wo sich ein Triumphbogen erhob, wurde der Stadt Genf die Fahne übergeben. Der alte General Dufour nahm sie in Empfang und versicherte, daß sie die Söhne Genfs wohl zu verwahren und zu behüten wissen werden. Er empfahl den Officieren der Eidgenossenschaft, sich wohl zu erinnern, daß nun die Fahne der Schweiz auf Genfer Boden aufgepflanzt und daß die Vertheidigung dieses Theiles helvetischen Bodens eine heilige Pflicht des Schweizer Heerbannes sei. Hierauf folgte eine allgemeine Sitzung der société militaire in dem weiten Raume der alten Kathedrale von St. Pierre, welche die wichtigsten Vorgänge der ereignißreichen Geschichte Genfs gesehen.

Von den Reden, die am selben Tage am großen Banquet gehalten wurden, und zwar in allen Sprachen, welche die Eidgenossenschaft friedlich und brüderlich in ihrem Schooße vereinigt und mit gleicher Liebe und Freiheit herbergt, haben die Zeitungen gesprochen. In welcher Sprache immer gesprochen worden, aus welchem Theile des freien Landes immer der Redner stammen mochte, in der gegenseitigen Ermuthigung, sich gleich ausdauernd und kräftig gegen directe Angriffe sowohl wie gegen „verführerische, lügenhafte Versprechungen“ zu vertheidigen, stimmten Alle überein. Die hervorragendsten Redner waren General Dufour, James Fazy und Stämpfli.

Der Eindruck, den man als ruhiger und unparteiischer Zuschauer des ganzen dreitägigen Festes empfing, war der Art, daß man glaubte, der Erneuerung und Verjüngung der Eidgenossenschaft beizuwohnen und überhaupt einem Momente, der für gewisse Fälle, die Uebermuth, Habsucht, Gloirenpolitik herbeiführen könnten, dem ganzen Europa ein gesundes, vielleicht beschämendes Beispiel verspricht. Wir sind gewiß, daß es in Paris nicht ohne Eindruck vorübergegangen, vorausgesetzt, daß die unzähligen Correspondenten Louis Napoleons und Pretu’s, die sich jetzt hier herumtreiben, die Wahrheit berichten oder, heutige Franzosen wie sie sind, für solche Regungen und spontane Aeußerungen eines ganzen Volkes noch Aug’ und Ohren haben.

Die Officiere der Schweizer Armee sind wieder in ihre Heimath gezogen; die Fahnen und Kränze sind verschwunden, aber in den Gemüthern der Genfer ist eine Stimmung zurückgeblieben, als ob sie in einer uneinnehmbaren Festung säßen. Was die Gäste betrifft, so haben sie von Genf, seinem schweizerischen Patriotismus, seiner Opferbereitwilligkeit eine andere Meinung mit nach Hause genommen, als jene ist, welche die Zöpfe verrotteter Städte verbreiten, aus Angst vor dieser freien Stadt der Schweiz und vor der Ansteckung, die sie von daher befürchten – und eine andere Meinung, als jene, welche die Staatsmänner verbreiten, die mehr französisch sind als schweizerisch und Genf als französisch verleumden, um es mit einem Schein von Recht im Stiche lassen zu können. Die drei Augusttage waren ein großer Triumph Genfs und seines Vertreters, des viel verleumdeten Patrioten James Fazy.

X.


Aus meiner Pilgertasche. Ich war schon einige Wochen in Wien, ohne den Kaiser Franz gesehen zu haben. Eines Tages strichen F. Treitschke, Ochsenheimer und ich auf dem Glacis umher, um eine Raupenart zu suchen, welche die beiden Schmetterlingskundigen besonders interessirte. Ohne davon etwas entdeckt zu haben, kamen wir in den sogenannten Burggarten, an dem geordnet und gebaut wurde. Wir fanden einen jungen Mann auf einem Steinhaufen sitzend, mit Planzeichnungen beschäftigt. Beide begrüßten ihn freundlich als einen Bekannten und jungen Baukünstler. Wir betrachteten seine hübschen Planzeichnungen und kamen dabei an ein Blatt mit allerlei uns unverständlichen einzelnen Figuren. Auf unsere Frage um die Bedeutung dieser Figuren antwortete er, sich mißmuthig die Stirn reibend: „Dieses Blatt verursacht mir mehr Kopfzerbrechens, als alle übrigen. Die Idee, die Steine für Becken von Springbrunnen ohne irgend einen Kitt wasserfest verbinden zu können, fuhr mir durch den Kopf, und nun studire und zeichne ich fort und fort, um eine passende Verbindungsform zu finden, ohne bis jetzt damit in’s Reine kommen zu können.“

Ich antwortete: „Dieses Suchen einer Verbindungsform dürfte auch vergeblich sein.“

„Warum?“

„Weil ich der Ansicht bin, daß man Steine ohne irgend ein Medium nicht so fest zusammenfügen könne, daß nicht Wasser dazwischen treten und dadurch die ganze Vorrichtung nutzlos werden sollte, indem ich vermuthe, daß der Stein nicht, gleich dem Holz, im Wasser anschwelle.“

Im Begriff, mir zu entgegnen, sprang der Baumeister plötzlich auf und riß mit einer tiefsten Verbeugung den Hut bis an die Kniee herab. Beide Freunde thaten desgleichen, und ich folgte mechanisch ihrem Beispiele. Ganz nahe vor uns stand Kaiser Franz, den ich lediglich an dem habsburgischen Gesicht erkannte, indem der höchst einfache, nicht neue Oberrock und der abgetragene Hut auf alles Andere, als auf den Kaiser, hätte schließen lassen. Er zwang sein Gesicht zu einem Lächeln gegen Treitschke und Ochsenheimer, lüftete den Hut ein wenig und sprach: „Servus!“ trat dann einen Schritt näher auf mich zu, während seine Physiognomie sich in ernste Falten legte, und frug:

„Wer ist der Herr?“

Ich nannte meinen Namen. – Etwas leichter, als zuvor, den Hut lüftend, wiederholte der Kaiser:

„Servus! – Wo ist der Herr zu Hause?“

„Im Großherzogthum Baden.“

„Ein schönes Land, brave und gescheidte Leute, aber Alles wissen sie doch nicht. – Was treibt der Herr hier in Wien?“

„Ich arbeite für die Theater und für die Buchhändler.“

„Das mag passiren. Hat der Herr auch ’s Bauwesen studirt?“

„Nein, Majestät.“

„Versteht sich der Herr auf’s Planzeichnen?“

„Nein, Majestät.“

„Nun, da wäre es gescheidter, der Herr redete nicht über Dinge, von denen er nichts versteht. Servus!“ – Er lüftete wieder den Hut, zwang sich zu einem freundlichen Kopfnicken gegen die Anderen, drehte sich langsam um und wandelte phlegmatisch seiner Wege.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_559.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)