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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Julius Mosen.

fort in seinem Volke, dem die schönsten Werke eines seiner besten Dichter unbekannt und vorenthalten bleiben.

Julius Mosen ist am 8. Juli 1803 in Marieney, einem Dorfe des sächsischen Vogtlandes geboren, der zweite Sohn des dortigen Schullehrers. Sein Vater, ein geistig geweckter und gebildeter Mann, der seine kärglichen Verhältnisse mit glücklichem Humor sich zurechtzulegen verstand, unterrichtete den Knaben selbst, bis er ihn, gewiß mit schweren Opfern und banger Besorgniß, im Drangsals- und Hungerjahre 1817 auf das Gymnasium nach Plauen brachte. Von da aus bezog der angehende Student fünf Jahre später die Universität Jena, um die Rechte zu studiren. Unbeachtet lebte der bescheidene Jüngling hier still und zurückgezogen, bis er eines Tages im Freundeskreise seine erste Novelle: „Der Gang nach dem Luthersbrunnen“ vorlas, und sich dadurch mit einem Schlage die Achtung und Zuvorkommenheit aller seiner Genossen erwarb. Ein Festlied, welches er bald darauf zur Jubelfeier des Großherzogs von Weimar, Karl August, als Rector magnificus der Universität dichtete, ließ sein väterlicher Gönner, der Professor Hand, auf eigene Kosten drucken und überreichte es dem fürstlichen Jubilar. Goethe erkannte diesem Gedicht vor allen eingegangenen den Preis zu, und der jugendliche Sänger erhielt vom Hofe zwölf Dukaten nebst huldreichen Zusicherungen.

Als Mosen 1824 im Begriff war, nach Leipzig zu gehen, verlor er seinen Vater, die Mutter zog mit den übrigen Kindern nach ihrer Heimathstadt Oelsnitz. Er mußte schon damals thätig seiner Familie sich annehmen, die der Tod ihres Ernährers in arge Bedrängniß gebracht hatte; dessenungeachtet fand er aber gerade in dieser schweren Zeit den Muth und die Mittel, einen längst gehegten Lieblingswunsch auszuführen, und machte sich auf den Weg nach Italien. Von gewaltigstem, auf sein ganzes Leben und Schaffen nachwirkendem Einflusse waren die Eindrücke und Anregungen, die der in der Gährung begriffene Dichter auf dieser Wanderung empfing. Sein Form- und Schönheitssinn klärte sich an der antiken Ruhe classischer Schöpfung ab, sein Forschergeist, der stets mit eingehender Vorliebe und besonderem Verständnisse den Entwickelungsgängen der Geschichte gefolgt, stand auf der erinnerungsreichen Markscheide der alten und neuen Götter- und Völkerwelt, und entzifferte die Riesenschrift, deren Zeichen jedem Steine eingeprägt sind.

Als er im Winter 1826 in Oelsnitz an der Stadtmauer wieder heraufkam, erkannte ihn sein jüngster Bruder, der dort mit andern Knaben spielte, nicht, so mächtig war er auch im Aeußeren entwickelt. Hier in der Ruhe der mütterlichen Häuslichkeit schuf er das Epos „Ritter Wahn,“ dessen Stoff er zu Florenz gefunden hatte in einer alten, jedenfalls zur Zeit der Völkerwanderung von germanischen Stämmen auf italienischen Boden verpflanzten Sage, deren Grundzug echtdeutsches Heimweh ist. Er dachte jedoch viel zu edel von dem Schatze, den ein Gott in seine Brust gelegt, um handwerkermäßig die Scheidemünze des täglichen Unterhaltes daraus prägen zu wollen, und so ging er zur Beendigung seiner Fachstudien mit dem kommenden Frühling nach Leipzig.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_556.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)