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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Truppen zwischen zwei Flüssen eingeschlossen wurde und sich dort jeder Nahrung beraubt sah. Nun machte der Hunger sein Werk, hauptsächlich unter den Frauen und Kindern, und seine Verheerungen waren jammervoller, als die, welche Kanonen- und Flintenkugeln angerichtet hatten.

Namentlich litt das Fußvolk unter Leiden und Entbehrungen aller Art, denn dieses konnte nicht, wie die Reiterei, im äußersten Nothfalle seine Zuflucht zum Pferdefleisch nehmen. Wenige Frauen und noch weniger Kinder kamen glücklich aus dem Walde heraus: die wenigen, welche dem Tode entgingen, wurden von den Reitern gerettet, die Mitleid mit den armen kleinen, von ihren Müttern verlassen und vor Hunger, Frost und Ermattung sterbenden Wesen empfanden.

Anita, die treue Gattin Garibaldi’s, zitterte bei dem Gedanken, ihren Menotti zu verlieren, der übrigens nur durch ein Wunder gerettet wurde. An den gefährlichsten Orten, oder wenn Flüsse zu passiren waren, trug Garibaldi sein armes drei Monate altes Kind, das er in einem Taschentuch an seinem Halse befestigt hatte und mit seinem Athem zu erwärmen suchte.[1] Von einem Dutzend Zugthieren, Pferden und Mauleseln, die Garibaldi beim Eintritt in den Wald sowohl für seinen eigenen Dienst, wie für sein Fuhrwerk besessen hatte, blieben ihm nur zwei Maulthiere und zwei Pferde; die übrigen waren verhungert oder vor Mattigkeit gestürzt. Zum größten Unglück hatten endlich noch die Führer den Weg verloren. So weit sie auch vorwärts drangen, so fanden sie doch das Ende dieses vermaledeiten Waldes nicht. Jetzt blieb Garibaldi mit zwei schrecklich ermatteten Maulthieren zurück, in der Absicht, sie vielleicht dadurch zu retten, daß er sie nur Schritt vor Schritt gehen ließ und mit den Blättern des Taquara, eines Schilfrohrs, von welchem der Taquari seinen Namen erhalten, zu ernähren suchte. Unterdessen sandte er Anita mit einem Dienstboten und dem Kinde voraus, um wo möglich einen Ausgang aus diesem endlosen Walde, so wie einige Nahrung aufzufinden. Die beiden Pferde, die er Anita gelassen, und die eins nach dem andern von dem muthvollen Weibe geritten wurden, retteten Alle. Sie gelangte endlich zum Ausgang des Waldes und traf glücklicherweise am äußersten Ende ein Piquet seiner braven Soldaten, die um ein angezündetes Feuer, etwas Seltenes in diesem allgemeinen Regen, sich gelagert hatten.

„Meine Cameraden hatten,“ so erzählt Garibaldi, „zum Glück einige wollene Kleidungsstücke erhalten, wickelten das Kind in dieselben, erwärmten es wieder und brachten es in’s Leben zurück, an welchem die arme Mutter bereits zu verzweifeln begonnen hatte. Dies war aber noch nicht Alles; mit zärtlicher Sorglichkeit machten sie sich auf den Weg, um einige Nahrungsmittel aufzusuchen, die sie nicht für sich selbst, sondern aus Liebe zu mir aufzufinden strebten, und mit denen sie die Mutter und das Kind ein wenig erquickten. – Ich selbst hatte mir eine unnütze Mühe genommen, meine beiden Maulthiere zu retten, endlich sah ich mich genöthigt, die armen keuchenden, verschlagenen und ganz abgefallenen Thiere zu verlassen; ich selbst legte den letzten Theil des Weges durch den Wald zu Fuß zurück. Denselben Tag noch fand ich mein Weib und mein Kind wieder und vernahm, was meine theuern Waffengefährten für sie gethan hatten. Neun Tage nach unserem Eintritt in den Wald verließen erst die letzten der Division ihn wieder; nur wenige Officiere hatten ihre Pferde glücklich durchgebracht; der Feind, der uns voranschritt, hatte bei seiner Flucht vor uns zwei Geschützstücke in der Pecada zurückgelassen; aber wir schenkten ihnen im Vorüberziehen kaum einen Blick, denn es fehlten uns alle Transportmittel, und wahrscheinlich befinden sie sich noch heute auf derselben Stelle, wo ich sie damals sah.

„Der Sturm und Regen schien auf den Wald beschränkt; kaum hatten wir ihn verlassen und näherten uns der Crima da Serra und der Vaccaria, als wir schönes Wetter bekamen. Dieses schöne Wetter und einige Ochsen, die in unsere Hände fielen und uns für die lange Fastenzeit entschädigten, ließen uns Ermattung, Hunger und Regen vergessen. Wir verweilten einige Tage im Departement von Vaccaria, um die Division von Bento Gonzales zu erwarten, die in Unordnung und auf ein Drittheil zusammengeschmolzen wieder zu uns stieß. – Während eines kurzen Aufenthalts, den wir uns am Saume einer dieser riesigen Waldungen gestatteten, sahen wir eine Frau aus ihm heraustreten, die in ihrer Jugend von den Wilden geraubt worden war und unsere Nachbarschaft benutzte, um zu entfliehen. Das arme Geschöpf befand sich in einem bejammernswerthen Zustande.

„Da wir jetzt keinen Feind mehr zu fliehen, noch in diesen hohen Gegenden zu verfolgen hatten, setzten wir unsern Marsch in kurzen Etappen fort, zumal da uns Pferde gänzlich mangelten und wir uns gezwungen sahen, Füllen einzufangen und unterwegs zu zähmen. Das Corps der republikanischen Lanciers war vollständig unberitten und konnte sich nur durch Füllen wieder aufhelfen. Es war übrigens ein prachtvolles und, obschon täglich wiederholtes, doch stets neues Schauspiel, diese jungen und kräftigen Schwarzen zu sehen, von denen Jeder den Beinamen des Pferdebändigers verdiente, welchen Virgil dem Peleps ertheilt. Man mußte sie sehen, wie sie auf diese wilden, des Gebisses, Sattels und Sporns unkundigen Kinder der Steppe sprangen, sich an die Mähne derselben anklammerten und mit ihnen durch die Ebene brausten, bis das Thier, dem Menschen nachgebend, sich für besiegt bekannte. Allein der Kampf währte lange; das Thier ergab sich nicht eher, als bis alle seine Kräfte, sich seines Tyrannen zu erwehren, erschöpft waren; der Mann war seinerseits bewunderungswürdig, was Gewandtheit, Kraft und Muth anlangt: an alle Bewegungen des Thieres gebunden, es zwischen die Kniee wie zwischen einen Schraubstock pressend, mit ihm aufspringend, sich mit ihm niederwälzend, wieder mit ihm sich erhebend und sich nicht von ihm trennend, als bis es in Schweiß gebadet, mit weißem Schaum bedeckt und mit zitternden Knieen gebändigt die Kraft des Mannes anerkannte. Ein tüchtiger Pferdebändiger brauchte drei Tage Zeit, um auch das wildeste Roß dahin zu bringen, daß es sich dem Gebiß unterwarf. Selten werden jedoch die Füllen von den Soldaten, namentlich auf dem Marsche, gut gebändigt, denn zu viele Beschäftigungen verhindern die Bändiger, ihnen die nöthige Sorgfalt zuzuwenden.

„Nachdem wir die „Mattos“ passirt, zogen wir durch die Provinz der Missionsgesellschaften, wendeten uns nach Cruz-Alta, dem Hauptort dieser kleinen Provinz, und von Cruz-Alta nach San Gabriel, wo das Hauptquartier errichtet und Baracken für das Lager der Armee aufgeschlagen wurden. Sechs Jahre dieses Gebens unter Gefahren und Abenteuern hatten mich nicht ermüdet, so lange ich allein geblieben war; allein jetzt, wo ich eine kleine Familie besaß, ließ diese Trennung von allen meinen ehemaligen Bekannten, diese Unkenntniß, was während so vieler Jahre aus meinen Eltern geworden, in mir das Verlangen aufsteigen, mich einem Punkte zu nähern, wo mir Nachrichten von meinem Vater und meiner Mutter zukommen konnten. Ich vermochte zwar für einen Augenblick all diese zärtlichen Gefühle in meinem Herzen zurückzudrängen; allein sie hatten sich daselbst angehäuft und gewannen wieder die Oberhand. – Setzen wir hinzu, daß ich auch nicht wußte, wie es meiner andern Mutter erging, die man Italien nennt! Die Familie ist mächtig, aber das Vaterland unwiderstehlich. Ich entschloß mich daher, wieder nach Montevideo zu reisen und daselbst wenigstens einige Zeit lang zu bleiben; deshalb bat ich den Präsidenten um meinen Abschied und die Erlaubniß, mir eine kleine Ochsenheerde anzuschaffen, deren stückweiser Verkauf mir während der Dauer der Reise meinen Unterhalt bestreiten helfen sollte.“

So finden wir denn Garibaldi als Truppiere, mit andern Worten als Ochsenführer wieder! In einer Estancia, el Corral de Pedras mit Namen, gelang es ihm, mit Ermächtigung des Finanzministers in einigen zwanzig Tagen und mit unsäglichen Mühen und Beschwerden gegen neunhundert Stück Vieh zusammenzubringen. Diese Thiere waren jedoch noch vollständig wild, und eine noch größere Mühe harrte seiner unterwegs, wo sich ihm fast unübersteigliche Hindernisse entgegenstellten. Lassen wir ihn selbst erzählen:

„Die größte Mühe,“ so berichtet er, „machte mir der Uebergang über den Rio Negro, wo ich mein ganzes Capital versinken sah. Ich hatte nicht allein die Schwierigkeiten des Uebergangs und meine Unerfahrenheit in meinem neuen Geschäft gegen mich, sondern hauptsächlich die Unredlichkeit einiger von mir als Führer gedungenen Leute. Dennoch rettete ich ungefähr fünfhundert Stück, aber in Folge schlechten Futters, der Länge der Reise und der Schwierigkeiten beim Flußübergang hielt man sie für unfähig, ihre Bestimmung zu erreichen. Ich beschloß daher sie todtzuschlagen, die Haut abzuziehen und nur ihre Felle zu verkaufen, ein Unternehmen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_553.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
  1. Das Kind, jetzt ein kräftiger Jüngling, kämpft augenblicklich an der Seite seines Vaters und hat bereits mehrere Male für die Errettung seines Vaterlandes geblutet.
    D. Red.