Seite:Die Gartenlaube (1860) 531.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

träumen lassen, von Ihnen so freundlich begrüßt zu werden. Oder sollten Sie mich mit Ihrem Gemahl verwechselt haben?“

„Das bezweifeln Sie gewiß nicht, Herr Blenheim,“ entgegnete Hermine mit ruhiger Würde.

„Wenn Sie es befehlen, muß ich gehorchen,“ entgegnete er mit einer Verbeugung.

Auch Hermine verneigte sich und wollte gehen. Allein mit Williams Namen hielt er sie zurück.

„Almis,“ sagte er, „wird sobald nicht kommen. Vor einer halben Stunde sah ich ihn noch vor dem Alsterpavillon, umgeben von Sängern und Schauspielern, hinter einer Batterie von Weinflaschen, in der allerheitersten Laune. Herrschte nicht seit längerer Zeit eine Spannung zwischen uns, an der ich in keiner Weise schuld bin, so hätte ich mich gerne zu dieser fröhlichen Brüderschaft gesellt. William wird Ihnen vielleicht erzählt haben, daß er bis zu seiner Verlobung mit Ihnen, schönste Frau, ein oft und gern gesehener Gast in meines Vaters Hause war.“

„Er hat es mir erzählt,“ entgegnete Hermine einsylbig, und er fuhr fort: „Daß William nicht versuchte, auch Sie bei uns einzuführen, entschuldige ich mit den Verhältnissen. Aber daß er mich seitdem nicht mehr zu kennen scheint –“

„Hierin irren Sie sehr, Herr Blenheim,“ unterbrach ihn Hermine, es ihm überlassend, in welchem Sinne er ihre Versicherung aufnehmen möchte. Doch wollte sie den gefährlichen Mann auch nicht unnützer Weise gegen sich aufbringen, und so fügte sie freundlicher hinzu: „Mein Mann hat die heitern Stunden nicht vergessen, die er bei Ihnen verlebte. Aber sehr richtig deuteten Sie selbst auf die Verschiedenheit unserer Verhältnisse hin. Schon die Lage unserer kleinen Wohnung spricht für unsern beiderseitigen Wunsch, bürgerlich still zu leben. Sie schienen eilig zu sein, Herr Blenheim, und ich finde, daß es kühl wird. Gute Nacht!“

„Ich war eilig: Jenny Lind singt heute Abend bei uns, und ich hätte schon seit zwei Stunden zuhören sollen. Aber in unserm Hause gibt es nur zu viel Musik, und die Leidenschaft dafür ist hinlänglich durch meine Schwester Nancy vertreten. Ich verspare mir daher gern den Genuß, etwas Außerordentliches zu hören, auf die morgende Oper und leiste Ihnen, wenn Sie es gütigst erlauben, bis zu Almis’ Rückkehr Gesellschaft.“ Er faßte bei diesen Worten den Drücker der Thüre an, als sehe er voraus, Hermine würde nicht das Herz haben, seine Zudringlichkeit zurückzuweisen. Doch er irrte sich.

„Sie sehen, Herr Blenheim,“ sagte sie, „in unserm Hause werden zu dieser Tageszeit keine Besuche mehr erwartet. Auch nehme ich nur solche Herren an, die mein Mann eingeladen. Noch einmal gute Nacht.“

Sie verbeugte sich und ging. Er aber rüttelte noch an dem Schlosse der Thür, und gewohnt, William dieselbe überspringen zu sehen, fürchtete sie schon, der Zudringliche könnte dasselbe thun. Herzhaft kehrte sie sich daher nach ihm um und rief zornig: „Unterstehn Sie sich nicht, den Fuß in unser Eigenthum zu setzen.“ Er aber schlug ein helles Gelächter auf und verschwand in dem Tannenwäldchen.

Unterdessen war William auf seinem gewöhnlichen Wege die Höhe herabgekommen und hatte in der Entfernung die Stimmen gehört und erkannt, ohne die Worte zu verstehen. Er erschrak heftig darüber. Denn obgleich bis heute nicht der kleinste Zweifel weder an Herminens weiblichem Takt, noch an ihrer Liebe und Treue aufgestiegen, fürchtete er doch Alles für ihren Ruf, wenn Jemand sie zu solcher Tageszeit und ohne ihn in einem Gespräch mit Eugen Blenheim bemerkt hätte. Er vergaß darüber, was er zur Entschuldigung seines späten Kommens hatte sagen, was er hatte thun wollen, um Hermine, wie gewöhnlich, bald wieder versöhnt und heiter zu sehn. Mit weiten Schritten strebte er dem Garten zu, allein jetzt war Alles still darin. Schnell übersprang er das Gitter, und bei seinem raschen Eintreten in den Salon entdeckte er sogleich eine große Verlegenheit und Aufgeregtheit sowohl in Herminens Antlitz, als in ihrem ganzen Wesen, die sie noch niemals gezeigt.

Aber sie befand sich auch in einem Seelenzustande, den sie nie zuvor gekannt. Denn die Nachricht, daß William mit Sängern und mit Schauspielern die Stunden hinbrachte, die sogar ein Eidschwur ihn zwang, ihr zu schenken, bestätigte alle schlimmen Ahnungen, die sie seit einiger Zeit hegte. Oft schon wie heute war er nicht zu Tisch nach Hause gekommcn, was er dann mit Geschäften im Comptoir und an der Börse zu entschuldigen pflegte, und was auch bei Kaufleuten, deren Familien weit ab von der Stadt wohnten, leider häufig sich ereignete. Im ersten Jahre ihrer Verheirathung war das indessen sehr selten geschehen, und dann hatte er sie stets durch den Laufburschen davon benachrichtigen lassen. Jetzt unterblieb dies gänzlich; „es nahm zu viel Zeit weg,“ und William hatte mit Herminen verabredet, nicht auf ihn zu warten, wenn er nicht zur bestimmten Stunde da sei. Vergeblich waren seitdem nur allzuoft ihre Bemühungen gewesen, durch ein Leibgericht oder zierliches Serviren des Tisches, wie sonst, ihm eine Freude zu bereiten, und gar oft blieben jetzt auch von ihr die sorgfältig bereiteten Speisen unberührt. Denn trotz Allem, was William und sie selbst aufboten, sie zu überreden, „dies könne einmal nicht anders sein, und das Geschäft sei jetzt um Vieles bedeutender geworden,“ stiegen ihre Besorgnisse mit jedem Tage.

Gegen seine letztere Behauptung sprach überdies noch so Manches. Nicht, wie im ersten Jahre ihrer Verheirathung, verschaffte William die Vorräthe im Haushalte auf wahrhaft verschwenderische Weise. Vielmehr sprach er schon zuweilen seine Verwunderung aus, „daß es schon wieder an Diesem und Jenem fehle,“ obgleich er Herminens Wirthlichkeit kannte. Auch überhäufte er ihre Mutter nicht mehr, wie früher, mit Aufmerksamkeiten und Geschenken, ihr seine Liebe und seinen Dank zu beweisen für das Opfer, als das er es ihr bis dahin anrechnete, sich von dem einzigen Kinde getrennt zu haben, durch dessen Fleiß und Geschicklichkeit die sehr kleine Pension vergrößert ward, von der die Wittwe lebte, die sich die größten Entbehrungen auferlegt hatte, während sie nichts an der Erziehung dieses Kindes sparte. Herminens Mutter war dies freilich sehr lieb, denn sie war zu stolz und zu genügsam. Dennoch war es dieser Punkt, der ihr den Mund verschloß, wenn sie der Tochter ihre Befürchtungen über Williams Lebensweise mittheilen wollte.

So hatte die arme Hermine Niemand, von dem sie Aufklärung hätte fordern oder anhören mögen. Denn ihr Schwiegervater würde der Allerletzte gewesen sein, dem sie Mißtrauen gegen den Sohn hätte einflößen mögen, und im heißen Gebete flehte sie oft zu Gott, daß er ihr in’s Herz geben möchte, auf welche Weise sie mit ihrem Manne selbst darüber reden könnte. Denn das Gefühl, ihm keine Mitgift zugebracht zu haben, welches sie bis dahin nur beglückt hatte, da sie seiner Liebe so gerne Alles, was sie besaß, verdankte, machte sie nun plötzlich verlegen und bange. Aber es handelte sich ja nicht nur um Güter der Erde, sondern um viel höhere, wenn ihr Gatte sich leichtsinnig in den Strudel von Vergnügungen und Verschwendung zurückstürzte, aus welchem, wie ihr Schwiegervater ihr einst gestanden hatte, die Liebe zu ihr ihn emporgezogen.

In diesen Betrachtungen unterbrach sie William, welcher nicht, wie sonst, mit einer heitern Entschuldigung und zärtlichen Liebkosungen, sondern mit einer kalten und strengen Miene eintrat und sich noch sehr zusammenzunehmen schien, als er gleichgültig fragte: „warst Du eben im Garten?“ Aus mehr als einem Grunde wollte Hermine ihm das Zusammentreffen mit Eugen Blenheim gern verschweigen, und indem sie einsylbig „ja“ antwortete, bedachte sie nicht, daß William sich während desselben schon mußte auf dem Wege befunden haben und leicht ihr Gespräch mit angehört haben konnte. Er schwieg eine Minute lang, indem er Hut und Handschuhe ablegte, um ihr Zeit zu lassen, ihm aus freien Stücken eine weitere Mittheilung zu machen. Allein ihre Gedanken weilten schon wieder bei dem Eingange zu ihrer kleinen Rede, mit der sie noch immer nicht auf’s Reine gekommen war. Er ging unterdessen in das Bilderzimmer und kehrte mit der halb verwundert, halb unmuthig klingenden Frage zurück: „Weshalb brennt die Lampe da noch ganz unnützer Weise? oder hast Du Besuch gehabt?“

„Nein, William, eben weil ich allein war, zündete ich sie an,“ entgegnetc sie sanft. „Du tadeltest früher oft meine „lächerliche“ Sparsamkeit, wenn ich es nicht that; aber ich hätte sie auslöschen sollen, als ich in den Garten ging.“

„Du bist also den ganzen Abend allein gewesen?“

„Gottlob nicht den ganzen Abend,“ entgegnete Hermine bewegt. „Sonst hättest Du einen Eid gebrochen.“ Sie sah dann zärtlich zu ihm auf und fügte scherzend hinzu: „Bis Mitternacht dürfen wir wohl noch „Abend“ sagen, und überdem war es neun Uhr Morgens, als Du ohne mich ausgingst.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_531.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)