Seite:Die Gartenlaube (1860) 530.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Rechten, so beruhigen wir uns schnell. Sie scheint den alten Hypochonder auszulachen, und während seine strenggeschlossenen Lippen, ja selbst seine hagern, hochgezogenen Schultern zu fragen scheinen: „wie soll es nur werden?“ lächeln die ihrigen: „es wird schon noch Alles gut gehn.“

Die junge Dame scheint noch ebenso ungewiß über jenen Punkt zu sein, wie wir, wenngleich ihr rosiges, nur zu Glück und Freude geschaffenes Gesicht augenblicklich den Stempel des Schmerzes und der Verstimmung trägt. „Wenn ich nur wüßte, worüber ich mich ängstige und betrübt bin!“ rief sie endlich laut und unmuthig über sich selbst aus. „Ist William nicht der beste Mann unter der Sonne und der Liebenswürdigste? – Liebt er mich nicht noch ebenso heiß, als damals, als er mir Herz und Hand schenkte? – Und verlange ich mehr vom Schicksal, als seine Liebe und sein Glück? – O Gott, verzeihe mir! – Besitze ich denn nicht außerdem auch noch Alles, was meine kühnsten Mädchenphantasien sich jemals von irdischer Glückseligkeit träumen ließen? – Selbst die Einwilligung seines Vaters, der Segen meiner Mutter fehlen unserem Glücke nicht, und doch – – – –“ Sie schwieg einige Augenblicke, trocknete die feuchten Augen und schlug diese dann zu dem Bilde der alten Dame auf. Ihre Mienen erheiterten sich allmählich, und wehmüthig lächelnd sagte sie: „O du beste aller Tanten und Pflegemütter! daß du noch auf Erden weiltest! Dir würde ich meine kindischen Befürchtungen gern mitgetheilt, du würdest mich beruhigt haben. Denn schon vor deinem Bilde finde ich stets Muth und Trost, ja meinen Frohsinn wieder. Meiner Mutter kann ich meine Sorgen nicht anvertrauen, ich würde ihr damit nur Stoff zu tausend traurigen Vermuthungen geben und durch sie nur noch mehr entmuthigt werden. – –“

„Du guter, wunderlicher Vater,“ wendete sie sich zu dem Bilde des alten Griesgrams, „welche Liebe birgt sich hinter diesen finstern Zügen, die gewiß noch finsterer blickten, als dein einziger Sohn, der Stolz deines Lebens, eines Tages vor dich trat, und dir seine Neigung, nicht zur Tochter des reichen Blenheim, die schon alle Welt seine Braut nannte, weil alle Welt ihre Neigung zu William und ihre Macht auf das Herz ihres Vaters kannte, sondern zur armen Hermine gestand, der Waise eines Landpfarrers, die im kleinen Häuschen am Strande mit Handarbeiten sich und ihre Mutter ernährte. – O William! mein heißgeliebter William! Welch ein Jubel, als du am Abend zu uns hereinstürmtest, mir um den Hals fielst und jubelnd ausriefst: „Er hat eingewilligt!“ Selbst meine stets noch zweifelnde Mutter verjüngte sich mit uns, und als sie uns dann allein ließ, um statt meiner Anstalten zum Thee zu treffen: o Himmel, gebehrdeten wir uns da nicht wie zwei Kinder? und erhoben wir uns dann nicht wieder wie zwei selige Geister des Paradieses weit über die Erde hinweg?“

Hermine versank in Erinnerung an jene Zeit, bis sie plötzlich laut auflachte. „Nein, wie natürlich dem Schelme die Miene feierlichen Ernstes stand, als er nun von dem Gelübde anfing, mit dem er die Einwilligung seines Vaters hatte erkaufen müssen! „Ein Gelübde?“ rief ich erschreckt, und Gott weiß, was ich als die echte Tochter meiner ängstlichen Mutter mir davon vorstellte. „„Ja, denke nur, ich mußte sogar schwören.““ „Schwören? William, bester William! Ach sprich es doch mit einem Male aus, was verlangt Dein Vater von Dir? Ich sterbe vor Angst.“ „„Ja, umsonst kann mein Vater einmal Nichts weggeben, das wäre ganz gegen seine Natur. Bevor er also Ja sagte, mußte ich ihm eidlich, sage eidlich versprechen, zum Ersten –““ „Nun, William, was?“ „„Die drei Bilder, die in seiner Stube über dem Sopha hängen – ich erzählte Dir schon davon – als Geschenk von ihm anzunehmen und ihnen für alle Zeiten, so wie sie sind, im ersten Zimmer unseres künftigen Hauses denselben Ehrenplatz anzuweisen.““ „O, der gute, liebe Vater!“ unterbrach ich voll dankbaren Entzückens den Schelm, dessen Miene noch Nichts von ihrer Feierlichkeit verlor.“ „„Höre nur erst die zweite Clausel,““ sagte er ernst. „„Die erste sollte ein Recept gegen Eitelkeit und zu allerlei moralischen Betrachtungen sein. Aber die zweite! die furchtbare zweite!““ „O William, spanne mich nicht auf die Folter!“ „„Nun, also zum Zweiten habe ich geschworen, in den drei ersten Jahren, von diesem Tage an gerechnet, niemals des Abends ohne Deine Begleitung auszugehen.““ „Ha! dies furchtbare Gelübde auszusprechen, ist Dir gewiß recht schwer geworden?“ Er schloß mir den Mund mit Küssen, und es währte geraume Zeit, bis ich neugierig rief: „Nun, William, zum Dritten und Letzten?“ „„Ja, Hermine, ich habe auch die dritte Clausel beschworen. Der Preis war zu lockend,““ antwortete William, und sein liebes Gesicht nahm nun eine wirklich betrübte Miene an. „„Aber erst jetzt fühle ich, daß in dieser dritten Bedingung etwas sehr Beleidigendes für Deine Mutter und Betrübendes für uns Beide liegt.““ „Was kann Dein Vater gegen meine Mutter Beleidigendes haben?“ fragte ich bestürzt, während mir das Blut in das Gesicht schoß. „„Gegen sie persönlich gar Nichts; nur gegen Schwiegermütter überhaupt ist er aus Erfahrung eingenommen, und … nun ja, es muß heraus! Ich habe eidlich geloben müssen, Deine Mutter niemals als Hausgenossin bei uns aufzunehmen.““

„Laß Dich das nicht betrüben,“ sagte ich nach einer Pause. „Meine Mutter hat oft geäußert, daß, so lange sie lebte, sie das Häuschen nie verlassen würde, das das einzige Erbgut von ihrem Vater, dem Schiffscapitain ist. Sie fühlt sich in dessen Besitz so stolz und glücklich, wie der reiche Blenheim sich nur im Besitz seines Schlosses fuhlen mag.“ „„Aber,““ sagte William, schon wieder den Schelm im Gesichte, „„die beiden Leute, die, so Gott will, nächstens das hübsche Haus, das zwischen beiden liegt, beziehen werden, die nehmen es an Glück mit der ganzen Welt auf.““ „Wer sind sie, William?“ fragte ich, und mein Herz stand still vor freudiger Hoffnung und Spannung. „„Du und ich, mein Herz! Mein Vater hat es gekauft, und mit dem Gelde, das seine Schwester mir vermachte, wollen wir’s einrichten, so schön, daß eine Prinzessin drin wohnen könnte.““ „Ach ja, mein William! unser Glück nimmt es noch immer mit dem der ganzen Welt auf; wenn nur – –“ doch wo bleibt er heute wieder, der böse Mann, so weit hat er noch niemals in den ganzen zwei Jahren, die seit jenem Tage verflossen sind, die zweite Clausel umgangen. Der Abend ist fast zu Ende,“ rief sie erschreckt mit einem Blick auf die Pendule, deren Zeiger die zehnte Stunde wies, und rasch entschlossen eilte sie durch den Salon, wo der runde Tisch vergebens alle Anordnungen zum Thee zeigte, in den Garten hinaus, auf welchen eine milde, sternenhelle Juninacht herniederschaute. Auf und ab wandelnd, lenkte sie ihre Schritte immer wieder unwillkürlich zu einer Gitterthüre hin, durch die man auf einen breiten Kiesweg gelangte, der aus dem Tannenwäldchen kommend nach dem Strande führte, und der von dem schmäleren durchkreuzt ward, auf welchem Hermine ihren Gatten zurück erwartete.

Eine halbe Stunde mochte abermals verflossen sein, schon herrschte ringsum tiefes Schweigen, nur unterbrochen von dem fernen Plätschern der Wellen und dem leisen Säuseln der Bäume. Die Sehnsucht und Spannung, von denen Herminens Herz bewegt ward, hatten allmählich den Charakter der Angst angenommen. Konnte ihm nicht ein Unglück begegnet sein? Erst kürzlich war ein Mann, der in der Nacht den Arzt zu seinem kranken Kinde holen wollte, und der den Richtweg nach Altona über die Bleiche einschlug, von Hunden zerrissen worden. Gräßliches Bild! entsetzenvoller Gedanke! Wenn nun William, um schneller zu ihr zu gelangen, tollkühn denselben Weg einschlug?

Schon wollte Hermine die Pforte öffnen, allein ihre gewissenhafte Dienerin hatte dieselbe schon verschlossen. Noch stand sie überlegend, ob sie den Schlüssel holen und William entgegen gehen sollte, als leichte eilige Schritte nahten. Zwar kamen sie nicht von oben, sondern vom Strande her, allein Hermine überredete sich, William sei bei ihrer Mutter gewesen. Ihr Herz glaubte so leicht, was es hoffte, und bevor sie ihn sah, rief sie ihm freudig entgegen: „Nun endlich, endlich bist Du da!“

Sie lehnte sich dabei, so weit sie konnte, über das niedrige Gitter und glaubte wirklich den Ersehnten zu erblicken, als ein schlank gewachsener Mann mit anmuthiger Eile aus dem Gebüsch zu ihr herantrat. Allein kaum hatte derselbe ihr mit freudiger Ueberraschung und ebenso großer Ehrerbietung „Guten Abend, Madame Almis,“ zugerufen, als sie zu ihrem nicht geringen Schrecken den ihr vom Gerücht ebenso sittenlos als boshaft geschilderten Sohn des Banquiers erkannte, dessen Tochter einst ihre Nebenbuhlerin gewesen war. Im ersten Augenblicke wußte sie nicht, ob sie davon eilen oder bleiben sollte, um ihre so unvorsichtig in die Nacht hinausgerufene Begrüßung zu erklären, da Blenheims Bosheit sonst vielleicht gar eine Geschichte daraus schmiedete. Sein zweites Wort bewog sie zu dem letzteren.

„Ha, allerschönste Frau! niemals hätte ich mir das Glück

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_530.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)