Seite:Die Gartenlaube (1860) 529.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 34. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Brief aus Amerika.
Von Henriette von Bissing.

Das hohe Elbufer zwischen Hamburg, Altona und Blankenese bietet, vom Strome aus gesehen, eine der malerischsten Ansichten Deutschlands, ja der ganzen Welt dar. Von der Höhe bis zum Strande ist die zwei deutsche Meilen lange Strecke mit Landhäusern von allen Dimensionen und Geschmacksrichtungen buchstäblich wie übersät, und wir kennen keinen unter den vielen Genüssen, welche die große Handelsstadt uns bot, der das Herz mehr erweiterte und Phantasie und Gedanken mehr anregte, als den, uns bei schönem Wetter in einem Boote den Strom hinabschaukeln zu lassen, und mit den Augen der Seele wie des Körpers das reiche Panorama in uns aufzunehmen.

Auf den Höhen thronen die Paläste, bald in edelm griechischen Style, mit Säulenhallen und platten Dächern, bald als künstliche Ruinen oder Ritterburgen, einzelne auch als weitläufige ehrliche deutsche Häuser mehr solid und bequem im Innern, als schön von außen. Auch in den Parkanlagen, von denen alle umgeben sind, zeigt sich dieselbe Mannichfaltigkeit des Geschmacks. Hier der einfach edle der Engländer, dort der steife, schnörkelliebende aus der Zeit Ludwig XIV. wechseln ab mit dem überladenen bunten des Holländers, und selbst der des weit entfernten China ist hier vertreten. Auf den mittleren Abhängen finden wir meistentheils die bescheidneren Landhäuser mit zierlichen Blumengärten und schattigen Lauben, in denen man die Familien, beschäftigt oder sich geselligen Genüssen hingebend, erblickt. Saubere Dörfer mit Kirchen, Mühlen und Gasthäusern, Schiffswerften und Fischerhütten, Alles voll Leben und Bewegung, theilen und verbinden die einzelnen Niederlassungen von der Höhe bis zum Strande, an welchem zwischen den Hütten wir noch einzelne zierliche Häuser erblicken, die meist von Schiffscapitainen oder Handwerkern bewohnt sind. In dem ganzen großartigen Gemälde findet das Auge nichts, wodurch es getrübt oder beleidigt werden könnte. Kein Fleckchen Land ist unbenutzt geblieben oder unschön. Eine gewisse Wohlhabenheit bekundet selbst die kleinste Hütte; und auch an Obst- und Küchengärten fehlt es nicht, um dem Tadel derjenigen zu begegnen, die das Wort „Der Mensch lebt nicht vom Brod allein“ gern umkehren möchten.

Doch dies flüchtig skizzirte Landschaftsbild war es nicht, womit wir den Leser unterhalten wollten. Nur in einige dieser vielen Häuser führen wir ihn ein, und nur für das Schicksal zweier Familien unter den Tausenden, die hier wohnen, hoffen wir sein Interesse zu wecken.

Weder Palast noch Hütte, hat das Haus, in welches wir zunächst treten, sich auf einem Abhange zwischen den Parkanlagen des reichen Banquier Blenheim und einem Fischerdorfe auf das Lauschigste eingenistet. Im Süden ist es durch ein Tannenwäldchen von jenem getrennt und geschützt, durch ein von hohem Gebüsch überragtes Stacket von diesem geschieden. Liebliche Plätze im Garten, der es umgibt, gestatten den Blick auf den schiffbelebten Strom oder laden zu unbelauschtem Geplauder trauter Freunde ein. Nur drei Fenster hat das Haus in der Breite, von denen das mittlere die Thüre zu einem kleinen Salon bildet. Zur Linken desselben befinden sich zwei kleine Zimmer, die so ziemlich Alles enthalten, womit die Mode des Tages die Wohnung einer jungen gebildeten Frau, selbst schon des glücklichen Mittelstandes, zu schmücken pflegt. Rechts nimmt das Speisezimmer die ganze Tiefe des Hauses ein, und durch ein Fenster im Hintergrunde sieht man in einen kleinen Obst- und Gemüsegarten, dessen hohe Weinplanke sich an das Tannenwäldchen lehnt. Hinter dem Salon befinden sich die Treppen, die nach oben zu den Schlaf- und Fremdenzimmern, nach unten zu den Wirthschaftsräumen führen.

Der ganzen Einrichtung sieht man es an, daß sie mit Geschmack, von Wohlhabenheit unterstützt, ist beschafft worden, daß der Geist einer sorglichen Hausfrau darüber wacht, daß hier ein junges, Musik und Lectüre liebendes Paar wohnen muß, und daß diese stillen Räume ein Tempel häuslichen Glückes zu sein verdienen. Nur durch Etwas wird der harmonische Eindruck gestört. Die beiden einfachen, schlecht gemalten Portraits in schwarzem Rahmen, die zu beiden Seiten eines dritten über der Causeuse im Putzstübchen hängen, passen nicht hierher, und der Gesichtsausdruck einer jungen Frau von blendender Schönheit, die wir am späten Abend allein und in Betrachtung des mittleren Gemäldes versunken finden, fällt uns zu schmerzhaft auf.

Das Bild in der Mitte stellt einen jungen Mann von so glücklichem und gewinnendem Aeußeren dar, daß wir ihm den Vorzug vor den beiden andern gönnen, von der Hand eines Meisters gemalt zu sein und aus einem breiten Goldrahmen hervorzuschauen, den liebende Hände noch außerdem mit einem reichen Blumenkranze geschmückt haben. Ob die heitere Sorglosigkeit dieses blühenden Antlitzes auf Leichtsinn oder leichten Sinn deutet, wird unsere nähere Bekanntschaft mit dem Original des Bildes, dem jungen Schiffsmakler William Almis, lehren.

Allerdings läßt das in sorgenvolle und nachdenkliche Falten gezogene Gesicht des alten spießbürgerlichen Mannes zur Linken des Jünglings, in dem wir trotz dieser Verschiedenheit auf den ersten Blick den Vater des Letztern erkennen, uns Manches fürchten; allein schauen wir in das wohlbehäbige Antlitz der korpulenten Frau zur

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_529.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)