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wandeln. Wie alle reichen und malerischen Gegenden Deutschlands, waren auch in diesem Thale die schönsten Punkte mit Schlössern und Klöstern besetzt, die uns aus ihren Ruinen die Kunde geben von früherer Herrlichkeit (?), von einer längst versunkenen Zeit. Die deutschen Kaiser waren es, die die „güldne Aue“ vorzüglich liebten, und sich oft und lange hier aufzuhalten pflegten. Ganz in der Nähe Roßlebens liegt Kloster Memleben, ein Lieblingsort des Kaiser Heinrich I. des Finklers oder Vogelstellers. Er starb hier im Jahre 936. Doch ist er nicht in Memleben begraben, wie man dort irrig meint, sondern seine Leiche wurde nach Quedlinburg zur feierlichen Bestattung gebracht. Die Namen von vier Ortschaften sollen nach einem Ausspruch dieses vortrefflichen Kaisers benannt sein. „Wie wohl mir steht allhier mein Leben!“ rief der Kaiser aus, und taufte dadurch die Orte: Wiehe, Wohlmirstett, Allerstett, Memleben. Letzteres war ein großes und reiches Kloster, die Kirche ist erst im vorigen Jahrhundert verfallen, ihre Ruinen, sowie eine unterirdische Kirche, erregen noch unsere Bewunderung. Auf jeden Kirchenpfeiler ist in den Sandstein das Bild eines deutschen Kaisers eingegraben mit Krone und Scepter, ihm gegenüber seine Gemahlin. Macht man die Steine naß und tritt in einige Entfernung, so werden die Gestalten um so deutlicher.

Bei unserer Rückkehr nach Roßleben berühren wir noch die Ruinen von Wendelstein, die einen Felsen krönen, der unmittelbar am Ufer der Unstrut sich erhebt. Ihr Ursprung liegt in grauer Ferne, ihr Name deutet auf eine Wehr gegen die Wenden. Domänengebäude und die Oberforstmeisterei sind auf die alten Mauern gebaut – ein moderner Schornstein entsendet die Dämpfe einer Zuckerfabrik aus den alten Ruinen empor!

Sehr verschieden von diesen Betrachtungen des Alterthums wird die Aufmerksamkeit des Wanderers durch ein Werk der Gegenwart in Anspruch genommen. Die im Winter so befruchtenden Überschwemmungen der Unstrut thun den Wiesen und Feldern, wenn sie im Sommer nach heftigen Gewitterstürmen oder lang anhaltendem Regen eintreten, unendlichen Schaden. Um diesem Uebelstand abzuhelfen, wird jetzt ein großartiger Bau an den Ufern des genannten Flusses ausgeführt. Unter der Leitung eines Mannes, der schon durch bedeutende Wasserbauten von ähnlicher Art, die er mit Glück ausgeführt hat, sich einen berühmten Namen erworben – des Geheimrath Würfbein – sollen auch hier unendliche Schwierigkeiten überwunden werden. Bewährt sich dieser Bau, der seiner Vollendung, wie man hofft, bereits nahe ist, dann werden für den Landmann seine Felder und Wiesen von Neuem zur „güldenen Aue“.




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.
Von Claire von Glümer.
VII.

In London traf Wilhelmine Schröder-Devrient abermals mit ihrem Freunde und Kunstgenossen, Anton Haitzinger, zusammen, und wieder waren die Beiden berufen, die deutsche Musik in einigen ihrer besten Schöpfungen zur Geltung zu bringen. Besonders war es Fidelio, der Furore machte. Nur bei Paganini’s Concerten war der Zudrang des Publicums so groß, die Begeisterung so allgemein gewesen, wie bei Beethovens Oper und Wilhelminens Leonore. Außerdem gab sie Pamina, Rezia, Emmeline. Die Agathe wurde leider nicht von ihr, sondern von Madame de Meric gesungen.

In jeder ihrer Rollen wurde Wilhelmine mit Beifall überschüttet. Wer nur irgend auf Geschmack, Kunstsinn, Bildung Anspruch machen wollte, mußte die deutsche Künstlerin gehört haben. Eben so eifrig drängte sich die alte und junge Männerwelt um die schöne Frau. Die Aristokratie des Talentes, der Geburt und des Geldes war täglich in ihrem Salon vertreten; sie wurde mit Einladungen bestürmt – eine Soirée oder Matinée musicale ohne „Schröder-Devrient“, wie sie von den Engländern genannt wurde, war nicht mehr denkbar.

Aber diese Art von Erfolgen war es nicht, die Wilhelmine Schröder-Devrient befriedigen konnte. „Auf der Bühne fehlte mir das Bewußtsein, verstanden zu werden,“ schrieb sie; „ich wurde von dem größten Theile des Publicums doch nur angestaunt, wie eine fremdartige Erscheinung – und für die Gesellschaft war ich eben nur ein Spielzeug, für das sich zufällig die Mode entschieden hatte, das aber gewärtig sein mußte, im nächsten Moment bei Seite geschoben zu werden.“

Der Grund ihres Mißbehagens lag übrigens noch tiefer. Rahel Varnhagen beklagt sich einmal, „daß kein innerer, nur ein äußerer Charakter schützt vor angethaner Ehre.“ Auch Wilhelmine Schröder-Devrient gehörte zu den stolzen, selbstbewußten Naturen, die sich von solcher „angethanen Ehre“ in tiefster Seele verletzt fühlen. Wie selten sind aber die Vornehmen vornehm genug, um ihrem Verkehr mit denen, die sie sich untergeordnet glauben, den bitteren Beigeschmack der Herablassung zu nehmen!

Um die geselligen Zustände in England zu charakterisiren, erzählt Wilhelmine, die Pasta hätte sich eines Tages, als ihr die Ehre zu Theil wurde, bei der Herzogin von K..t zu singen, von den Damen der Gesellschaft durch eine dicke seidne Schnur getrennt gesehen, die in Tischhöhe quer durch den Musiksaal gezogen war. „Mir gegenüber hat man sich das nun zwar nie erlaubt,“ fügt Wilhelmine hinzu; „aber im Geist habe ich zwischen mir und den englischen Damen beständig eine solche Schranke gefühlt.“

„Man braucht übrigens nicht nach England zu gehen, um derartige Erfahrungen zu machen,“ fährt sie fort. „Ich habe in Deutschland in Hofconcerten gesungen, in denen die Kluft, die uns Künstler von dem hoch- und höchstgebornen Publicum trennt, eben so zart als sinnig dadurch angedeutet war, daß für uns einfache Rohrstühle dastanden, während unser erlauchtes Auditorium auf vergoldeten, weich gepolsterten Sesseln Platz nahm. Für uns Plebejer war das ja auch ganz in der Ordnung, aber unsere Atlas- und Sammet-Roben, die auf den harten Sitzen unbarmherzig zerdrückt wurden, hätten wohl einige Rücksichten verdient.“

Mit Ausnahme des häuslichen Comforts, nach dem sie sich häufig zurücksehnte, war Wilhelmine das englische Leben im Allgemeinen nicht zusagend. Das ganze Sein und Thun erschien ihr zu sehr in Formen eingezwängt, mit denen sie sich nicht befreunden konnte, mit denen sie sogar mehr als einmal in Conflict gerieth.

So z. B. hatte sie bald nach ihrer Ankunft eine Privatwohnung bezogen, in der sie sich sehr behaglich fühlte. Das Haus war still, die Einrichtung eben so geschmackvoll als bequem, und Alles bis ins kleinste Winkelchen von höchster Sauberkeit. Die Wirthin war eine sanfte, freundliche Frau, voll Aufmerksamkeit für ihre Hausbewohnerin; die Domestiken waren gut geschult – Wilhelmine wünschte sich Glück, dies hübsche, ruhige Daheim gefunden zu haben.

Alles ging gut bis zum Sonntage. Aber kaum hatte sich die Künstlerin, wie sie es gewöhnt war, nach dem Frühstück an den Flügel gesetzt, um ihre Uebungen zu singen, als das Stubenmädchen hereinkam und sie im Namen ihrer Wirthin ersuchte, „den Sabbath nicht durch Musik zu entheiligen.“

Zum Glück für das Mädchen war Wilhelmine so heiter gelaunt, daß sie die Sache von der humoristischen Seite nahm, Gehorsam versprach und auch sogleich den Flügel schloß. Aber was nun beginnen? Die Besuchstunde war noch nicht da; zu lesen hatte sie nichts; zum Ausgehn war das Wetter zu schlecht – sie nahm ihr Strickzeug zur Hand und setzte sich damit ans Fenster.

Ob an diesem heidnischen Beginnen eine fromme Nachbarin Aergerniß nahm und die Wirthin zum Einschreiten veranlaßte, oder ob die würdige Frau, von banger Ahnung getrieben, ihre Botin abermals sandte, hat nie ermittelt werden können. Gewiß ist, daß Wilhelmine kaum ein paar Nadeln abgestrickt hatte, als das Stubenmädchen wieder eintrat, die Stricknadeln einen Augenblick anstarrte, um stumm, wie sie gekommen war, wieder zu verschwinden. Wilhelmine wußte nicht, was sie aus der Scene machen sollte, aber die Erklärung kam nur zu bald. Die Wirthin erschien in feierlicher Haltung und eröffnete der erstaunten Künstlerin, sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_509.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)