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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und Kanonenkugeln ihn umdonnern, ohne zu fürchten, daß dieser Traum mit einem zerschmetterten Kopf oder einem zerquetschten Arm endigen kann – dann bin ich Dichter.“

„Ich erinnere mich,“ fährt er fort, „eines Tages im letzten Kriege gegen Oesterreich, wo ich von Müdigkeit erschöpft, da ich seit zwei Nächten kein Auge geschlossen hatte und seit zwei Tagen nicht vom Pferde gestiegen war, dem General Urban und seinen 12,000 Mann mit meinen 40 Bersaglieri, meinen 40 Reitern und einem Tausend wohl oder übel bewaffneter Mann auf einem kleinen Fußsteig zur Seite marschirte, während auf der andern Seite am Berg Orfano der Oberst Türr mit fünf oder sechs Mann vorrückte; plötzlich blieb ich stehen, vergaß Müdigkeit und Gefahr und hörte dem wunderbaren Sang einer Nachtigall zu. Es war Nachts, bei Mondschein, in einer prachtvollen Jahreszeit. Das Vögelchen ließ im leisen Säuseln des Windes seine harmonischen Töne wie einen Rosenkranz abperlen, und mir dünkte, als ich diesen kleinen Freund meiner Jugendjahre wiederhörte, als träufe ein wohlthätiger, neuschaffender Himmelsthau auf mich herab. Meine Umgebung glaubte, ich wisse nicht, welcher Weg einzuschlagen sei, und ich hörte vielleicht ein fernes Donnern der Kanonen oder den dröhnenden Hufschlag der Rosse auf der Heerstraße. Nein, ich hörte eine Nachtigall schlagen, deren Gesang ich fast seit zehn Jahren nicht vernommen hatte, und meine Entzückung währte, wenn auch nicht so lange, bis meine Umgebung mir zurief: „General, hier ist der Feind!“ sondern bis der Feind mir selbst durch Kanonenschüsse sein „hier bin ich!“ zu vernehmen gab und dadurch meinen nächtlichen Liebling verscheuchte.“

Wir haben diese kleine Episode absichtlich mitgetheilt, und überlassen dem Leser, zu beurtheilen, ob ein Mann mit einem solch’ zartfühlenden Herzen wohl die Ehrennamen eines Seeräubers und Flibustiers verdient, mit welchen ihn selbst ein Schönhals beehrt!

Kehren wir jetzt zur Geschichte zurück. In Rio Janeiro hatte Garibaldi das seltene Glück, einen wahren Freund zu finden, einen gewissen Rossetti, für welchen er das treueste und zärtlichste Angedenken bewahrt hat; er nennt ihn eine auserwählte Seele, seinen Freund, seinen Bruder, seinen Unzertrennlichen. Mit diesem errichtete er, zunächst um die Stunden der Muße auszufüllen, einen kleinen Handel; bald aber sahen Beide ein, daß sie für derartige Geschäfte nicht geboren waren. Der Zufall führte ihnen den Secretair des Präsidenten der Republik Rio-Grande, die sich damals im Kriege mit Brasilien befand, zu, und so beschlossen sie, die Waffen für die republikanische Partei in Rio-Grande zu ergreifen. Nachdem sie mit einer geringen Mannschaft eine feindliche Goëlette erobert, erhielt Garibaldi den Oberbefehl über dieselbe; sie warfen alsbald in Maldonado (Republik Uruguay) Anker, mußten dasselbe aber schon nach acht Tagen wieder verlassen, da Oribe, in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Republik von Montevideo, dem politischen Chef von Maldonado Befehl zuschickte, Garibaldi zu verhaften und sich der Goëlette zu bemächtigen. Die Anker wurden daher sofort gelichtet, und bald war die Höhe von Jesus Maria, gerade den Barrancas von San-Gregorio gegenüber gelegen, erreicht. Inzwischen nahte neue Gefahr von Montevideo. Zwei Barken griffen die Goëlette an; die erste Geschützladung, die sie empfing, tödtete den Untersteuermann, einen der besten Matrosen Garibaldi’s, und dieser selbst ward, als er kaum das verlassene Steuer ergriffen, von einer feindlichen Kugel getroffen, die in den Nacken eindrang und ihn bewußtlos auf das Verdeck schleuderte. Trotzdem kämpfte seine kleine Truppe wacker fort, und nach einem einstündigen Widerstand fand der Feind für gut, sich mit einem Verluste von ungefähr zehn Mann Todter oder Kampfunfähiger auf die Flucht zu begeben.

In Gualguay, das er nach einer neunzehntägigen Fahrt erreichte, wurde Garibaldi freundlich aufgenommen, namentlich gab ihm der Gouverneur der Provinz Entre-Rios, Don Pascale Echague, vielfache Beweise von Wohlwollen; dennoch erfuhr Garibaldi nur zu früh, daß er so gut wie Gefangener sei, indem die Entscheidung über seine Freiheit von dem Dictator von Buenos-Ayres, Rosas, abhängig gemacht wurde. Man erlaubte dem Reconvalescenten zwar kleine Promenaden zu Pferde, allein sie waren auf gewisse Grenzen beschränkt, und als nach Don Echague’s Abreise ein gewisser Leonardo Millan Commandant von Gualguay geworden, reifte in Garibaldi’s Kopfe der Entschluß, sich seiner mißlichen Lage durch die Flucht zu entziehen.

„Ich traf,“ so erzählt er, „meine Vorbereitungen, um bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit fertig zu sein. An einem stürmischen Abend eilte ich daher nach der Wohnung eines alten Biedermannes, den ich gewöhnlich besuchte und welcher drei Miglien landeinwärts wohnte; diesmal theilte ich ihm meinen Entschluß mit und bat ihn um einen Führer und um Pferde, mit denen ich eine von einem Engländer gehaltene Estancia (südamerikanische Farm), die am linken Ufer des Parana gelegen war, zu erreichen hoffte. Hier fand ich sicher Fahrzeuge, die mich incognito nach Buenos-Ayres oder Montevideo schaffen würden. Er gab mir das Gewünschte, und wir machten uns querfeldein auf den Weg, um nicht entdeckt zu werden. So hatten wir in einer halben Nacht, aber im steten Galopp, ungefähr 54 Miglien zurückgelegt.

„Mit Tagesanbruch befanden wir uns im Angesicht von Ibiqui, ungefähr eine halbe Miglie von dem Parana entfernt. Der Führer forderte mich auf, zu warten, während er Erkundigung einziehen wollte. Ich willigte ein, und er verließ mich. Jetzt setzte ich mich auf die Erde nieder, hing den Zaum meines Pferdes an einen Baumast, legte mich selbst unter diesen Baum nieder und wartete so zwei bis drei Stunden; da mein Führer jedoch nicht wieder erschien, stand ich auf und entschloß mich, den nahegelegenen Waldsaum zu gewinnen zu suchen; im Augenblick aber, wo ich ihn erreichte, hörte ich hinter mir einen Flintenschuß und das Einschlagen der Kugel in’s Gras. Ich kehrte um und erblickte ein Cavallerie-Detachement, das mich, den Säbel in der Faust, verfolgte. Dieses Detachement befand sich bereits zwischen mir und meinem Pferde. Bei der Unmöglichkeit zu fliehen und der Nutzlosigkeit mich zu vertheidigen ergab ich mich.“

An Händen und Füßen gebunden, ward hierauf Garibaldi nach Gualguay zurückgeführt, wo die härteste Behandlung seiner wartete.

„Man wird mich nicht beschuldigen,“ fährt er fort, „allzuzärtlich gegen mich zu sein. Dennoch, ich gestehe es, fühle ich stets ein Schaudern, wenn ich an dieses Ereigniß zurückdenke. Vor Leonardo Millan geführt, ward ich von ihm aufgefordert, ihm diejenigen zu nennen, die mir zur Flucht behülflich gewesen wären. Ich erklärte natürlich, daß ich die Vorbereitungen allein getroffen und auch allein die Flucht unternommen hätte. Da ich gebunden war und Don Leonardo Millan daher nichts von mir zu befürchten hatte, so trat er näher zu mir heran und schlug mich mit seiner Peitsche; hierauf wiederholte er sein Verlangen und ich mein Leugnen. Nun befahl er, mich in’s Gefängniß abzuführen und flüsterte dabei meinen Begleitern einige Worte in’s Ohr. Diese Worte enthielten die Weisung, mir die Tortur zu ertheilen. Als ich in dem mir bestimmten Zimmer anlangte, ließen meine Wächter mir die Hände auf den Rücken festgebunden, knebelten mir die Daumen mit einem neuen Strick, wanden das andere Ende um einen Balken, zogen mich hinauf und hingen mich vier bis fünf Fuß von der Erde auf.

„Jetzt trat Don Leonardo Millan in mein Gefängniß und fragte mich, ob ich gestehen wolle. Ich konnte ihm nur in’s Gesicht spucken, und er züchtigte mich dafür.

„Wohlan,“ sagte er beim Fortgehen, „wenn es ihm gefällig sein wird, dem Kerkermeister zu beichten, so ruft mich, und hat er gestanden, so laßt ihn wieder auf die Erde.“ Hierauf ging er hinaus.

„In dieser Lage blieb ich zwei Stunden aufgehängt. Das ganze Gewicht meines Körpers lastete auf meinen bluttriefenden Daumen und meinen verrenkten Schultern. Mein ganzer Körper brannte, als wäre ich in einem feurigen Ofen; aller Augenblicke bat ich um Wasser, und menschlicher als meine Henker brachten mir meine Wächter solches. Allein das in meinen Magen eindringende Wasser vertrocknete, als hätte man es auf ein rothglühendes Eisen geschüttet. Man kann sich von dem, was ich erduldete, nur eine Idee machen, wenn man die an den Gefangenen im Mittelalter verübten Folterqualen liest. Endlich, nach Verlauf von zwei Stunden, hatten meine Wächter Mitleid mit mir oder hielten mich für todt und ließen mich herab. Ich stürzte meiner ganzen Länge nach hin. Ich war nur noch eine todte Masse, ohne ein anderes Gefühl als das eines dumpfen und tiefen Schmerzes – ein Leichnam oder so etwas Aehnliches. Ich hatte unmittelbar vorher fünfzig Miglien über Moorgrund gehen und dann mit gefesselten Händen und Füßen dieselbe Strecke ein zweites Mal zurücklegen müssen. Die zahlreichen und in dieser Jahreszeit wüthenden Muskitos hatten

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