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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Du wirst aber auch sehr liebenswürdige Menschen darunter finden.“

„Ich glaube es, Schwester.“

„Namentlich einen jungen Grafen Hochstadt.“

„Er ist noch jung, Charlotte?“

„Und der liebenswürdigste Mensch von der Welt. Und – ach, Henriette, ich muß es Dir sagen – er liebt mich, und ich –“

„Du liebst ihn wieder?“

„Ich liebe ihn.“

Den Worten folgte wieder ein Seufzer. Diesmal achtete Henriette darauf.

„Und Du bist dennoch nicht glücklich, Charlotte?“

„Es gibt so viele Verhältnisse in der Welt!“

„Der vornehme, stolze Graf kann sich wohl nicht entschließen, Dir seine Hand zu reichen?“

„O, er wohl. Aber –“

„Seine stolzen Eltern wollen ihm die Einwilligung nicht geben?“

„Er hat keine Eltern mehr, er ist unabhängig.“

„So begreife ich in der That nicht.“

„Er hat kein Vermögen.“

„Du bist desto reicher, Schwester.“

„Er ist viel zu stolz, ohne eigenes Vermögen eine reiche Frau zu heirathen.“

„Höre, Schwester, das gefällt mir an dem jungen Grafen Hochstadt.“

„Er hat freilich ein bedeutendes Vermögen zu erwarten, von einem alten Onkel, der große Güter besitzt und keine Kinder hat.“

„Dann ist er ja eigentlich nicht arm.“

„Wie man will. Aber der Alte ist sehr adelstolz, und hat seinem Neffen rundweg erklärt, sein Erbe könne er nur unter der Bedingung werden, daß er ebenbürtig, also eine Dame von altem Adel heirathe.“

„Das ist garstig von dem alten Manne. Aber der junge Graf?“

„Was soll er thun, Henriette?“

„Er zieht die Erbschaft seines Oheims Dir vor?“

Die frommen Augen des jungen Mädchens blitzten bei der Frage. Die reiche Wittwe schlug ihre Augen nieder. Der Wagen hatte das Curhaus erreicht. Er hielt. Vor dem Hause breitete sich ein weiter, runder Platz aus. Ein Kranz schattiger Bäume umgab ihn. Schattige Bäume und bunte Zeltdächer bedeckten ihn. Hier wurde das Concert gegeben. In der Mitte war die Tribüne für die Musiker aufgerichtet. Rund umher, wo ein Schatten in der heiteren Nachmittagssonne sich abzeichnete, saß an kleineren und größeren Tischen die zahlreichste und eleganteste Gesellschaft. Die Musik rauschte, die Gesellschaft hörte mit Entzücken den melodiereichen und mit der wundervollsten Präcision vorgetragenen Tönen zu. Das Entzücken hinderte die Unterhaltung nicht.

In der Nähe des Curhauses saßen an einem kleineren Tische zwei Herren. Der eine trug eine Officiersuniform; der andere war in bürgerlicher Kleidung. Beide waren jung. Der in bürgerlicher Kleidung schien Jemanden zu erwarten. Er blickte fast unaufhörlich angelegentlich nach jener Seite des Curhauses hin, an der die neuankommenden Wagen vorführen. Als die elegante Equipage der reichen Wittwe ankam, glänzte sein Gesicht in hoher Freude. Er sprang auf, dem Wagen entgegen zu eilen. Er wurde aufgehalten. Von einem Nachbartische kam ihm eilig ein junger Officier entgegen.

„Weißt Du, daß Dein Onkel hier ist, Hochstadt?“

Der Gefragte stutzte. „Wo?“ fragte er.

„Hinter dem Flieder dort. Er muß wissen, daß Du da bist; er richtet durch das Gebüsch Blicke nach Deinem Tisch.“

„Gut.“

Der junge Graf Hochstadt setzte seinen Weg zu dem Wagen fort. Er konnte doch nicht umhin, einen flüchtigen Blick zurückzuwerfen. Etwa zwanzig Schritte von dem kleinen Tische entfernt, an dem er gesessen hatte, erhoben sich ein paar vollblühende Kugelakazien. Unter ihnen stand ein dichtes Gebüsch spät blühenden Flieders. Dorthin, auf den rothblauen Flieder, warf der junge Mann seinen Blick. Ein spähender Blick mußte ihn dort verfolgen. Aber er kümmerte sich nicht darum. Um was kümmert sich die heiße Liebe in einem glühenden Herzen von fünfundzwanzig Jahren? Um etwas doch!

Es war ein hochgewachsener, schöner junger Mann, der Graf Ottomar von Hochstadt. Muth, Kraft, Adel traten aus jedem Zuge seines aristokratischen Gesichts, aus jeder Bewegung seiner edlen Gestalt hervor. Jede Frau hätte ihn lieben mögen. Er liebte nur Eine, und die Liebe zu ihr verklärte ihn. So stand er an dem Wagen der reichen Wittwe. Er sah nur die schöne Frau. Die schöne Frau, die es sah, glich einer Göttin des Glückes und der Freude. Der sanften, weichen Henriette aber, die das ebenfalls sah und von ihm nicht gesehen wurde, schien es auf einmal zu sein, als wenn ihr ein tiefer Stich durch das Herz fahre.

„Meine Schwester Henriette,“ sagte die Wittwe zu dem Grafen. „Ich habe Ihnen von ihr erzählt. Sie ist heute angekommen, und ich wollte die Arme nicht allein lassen.“

„Sie sind ein Engel voll Güte,“ sagte der Graf und drückte ihr die Hand.

Er wandte sich zu der kleinen Schwester, und als der Blick der glänzenden und glücklichen Augen so gleichgültig auf sie fiel, da schien dem siebzehnjährigen Mädchen gar das Herz sich zuschnüren zu wollen.

Der Officier, der mit dem Grafen zusammengesessen hatte, war, als er die zweite Dame im Wagen sah, dem Freunde nachgeeilt. Er hob das Mädchen aus dem Wagen, und der Graf freute sich, daß er es nicht brauchte, denn er hätte den Arm der Geliebten loslassen müssen, und die kleine Henriette – ach, das sanfteste und weichste Mädchenherz muß unter gewissen Umständen schmollen, trotz allem Unglück, gerade im Unglück.

„Mein Freund, der Baron Althof,“ stellte der Graf den Officier vor.

Die Herren führten die Damen zu dem Tische, an dem sie gesessen hatten. Die schöne Wittwe ging an dem Arm des Grafen stolz, wie eine Königin. Sie konnte stolz sein. Der schönste, der vornehmste, der angesehenste junge Mann der Provinz führte sie. Und nach dem Tode seines Oheims wurde er der reichste. Sie war aber auch eine bildschöne Frau, und reich war sie, wie nur der Graf es werden konnte. Mancher Blick der Bewunderung folgte dem schönen Paare. Der schönen Frau aber auch mancher Blick des Neides. Sie kümmerte sich nicht darum. Dachte sie ja nicht einmal ihres armen, unglücklichen Bruders, den sie in Verzweiflung hatte von sich gehen lassen! Um etwas sollte sie sich doch bekümmern, auch sie.

„Mein Onkel ist hier,“ flüsterte der Graf ihr zu. „Er hat sich mir nicht gezeigt. Er weiß nicht, daß ich seine Anwesenheit kenne. Er will uns beobachten.“

Das war es nicht, was sie bekümmern sollte. Im ersten Momente hatte sie ebenfalls gestutzt. Dann aber leuchteten ihre Augen zufrieden. Sie wußte, wie schön sie war, und wie liebenswürdig sie sein konnte.

„Hoffen wir, daß es ein Glück für uns werde,“ sagte sie.

Ein Anderes sollte sich nicht freundlich in ihre Hoffnung mischen. Und es war doch so freundlich. Die Musik hatte einen brillanten Walzer von Strauß beendet. Man hatte diesmal mit einem stillen Entzücken zugehört. Niemand hatte einen Ton verlieren wollen, und die fünfzig bis sechzig Instrumente spielten wahrhaftig laut genug. Die Stille auf dem weiten Platze hielt noch an; man lauschte den verschwundenen Tönen noch nach.

Da kam um eine Ecke neben dem Curhause herum in langsamem, schwankendem Schritt ein alter Mann. Er war sehr alt; das spärliche Haar auf seinem Kopfe war schneeweiß. Das Gesicht war bleich und eingefallen. Seine Kleidung war alt, durchlöchert. Und diese Kleidung war eine alte Militairuniform. Auf der Brust der alten, abgeschabten Uniform trug er die Kriegsdenkmünze der Jahre 1813 bis 1815, das eiserne Kreuz und einen russischen Orden. Auf dem Rücken trug er einen Kasten, in der Hand ein Gestell zu dessen Aufrichtung. Er trug schwer daran, der alte, schwache Greis. Er sah sich etwas schüchtern um, als er auf den weiten, von der buntesten, elegantesten und fröhlichsten Welt belebten Platz trat. Dann faßte er sich ein Herz, aber mit Wehmut und Trauer in den Augen, als wenn es ihm schwer genug werde, und er doch nicht anders könne. So schritt er weiter, zwischen die Tische, in die Gesellschaft. Alle die verwunderten Blicke, die ihm begegneten, achtete er nicht.

An einer etwas freien, schattigen Stelle machte er Halt. Es war in der Nähe des Tisches, an welchem der junge Graf Hochstadt mit seiner Gesellschaft saß. Er stellte das Gestell zu seinem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_499.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)