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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

hätte man sicher Münzen, Thongefäße oder irgend andere, auf weitere Cultur-Entwickelung hinweisende Beigaben gefunden. Denn der Römer verleugnet sich nirgends: wo er seinen Fuß hinsetzte, ließ er irgend ein Denkmal seiner Anwesenheit zurück. Gräber aus der späteren christlichen Zeit können es eben so wenig gewesen sein. da Plons nie eine Kirche und einen Kirchhof hatte, sondern, wie auch noch heute, immer nach Mels eingepfarrt war (was unserem Standpunkte eine Viertelstunde gegenüber liegt).

Außerdem findet man droben im Bergwerk noch Stollen (horizontale Gänge), die mit dem Meißel ausgehauen sind, also aus den Zeiten vor Erfindung des Schießpulvers (13. Jahrhundert) herrühren. Dies ist das eine culturhistorisch sehr interessante Moment. Aber ein zweiter Umstand beschäftigt unsere Aufmerksamkeit in noch höherem Grade. Bei den meisten Bergwerken muß der Grubenmann durch senkrecht niedergehende Schachte erst tief in’s Erdinnere hinabsteigen, ehe er zur Erzader kommt; hier müssen umgekehrt die Bergleute erst 2200 Fuß am Berge hinauf steigen, um geraden Weges in die Stollen einfahren zu können. Dies ist bei den meisten schweizerischen Bergwerken der Fall.

In dieser Höhe herrscht denn ein seltsames, mehr als bei einem anderen Bergwerke an das Märchenschaurige, Sagengeheimnißvolle erinnerndes Treiben. Aber es sind keine Motive aus dem koboldischen Gnomen-Reiche, welches die phantastische Poesie in die unterirdischen Höhlen und Gänge der Bergwerke verlegte, und jedem dieser zwergenhaften Erdmännlein mit langem Bart einen funkelnden Diamant verlieh, den es an der Stirn als leuchtende Lampe trägt, – es sind eher Figuren, die uns aus dem mittelalterlich-unheimlichen Gebiete der goldsuchenden Venetianer und ihrer mysteriösen Verbündeten, aus der zigeunerhaften Waldromantik her bekannt sind, gewissermaßen Reminiscenzen aus dem Faustsagen-Cyklus.

Wir steigen bergauf an dem altersgrauen, auf Felsen stehenden Schlosse Sargans vorbei, durch Wiesen, in denen malerische, tiefbraune Holzhäuser mit steinbelasteten Dächern stehen, und treten in schattigkühlen Buchenwald, Links, drüben überm breiten Seezthal, erschließt sich der Einblick in das schluchtig geöffnete Weißtannenthal und auf die duftig überhauchten Bergweiden der Ragazer, Melser und Flumser Alpen. – Da begegnen wir den ersten Merkmalen des Bergbaues, dem Erzplatz, wo die rothgrauen Eisensteine von den Schlittern abgeladen werden, um durch Pferde- oder Eseltransport hinüber in die Hochöfen von Plons geschafft zu werden. Der waldige Hohlweg wird steiler, dämmeriger. Jetzt kommen Staffagestudien für Landschaftsmaler, wie sie kein Berg der Schweiz schöner und in größerer Auswahl liefert. Zwischen der Säulenhalle der glattrindigen, dichtbelaubten Buchen haben Sturztrümmer, graue Felsenbrocken in allen Größen und Figuren ihre Lagerstätte aufgeschlagen, und überlassen in indifferenter Ruhe es der verschämt jungfräulichen Waldvegetation, sie lebensvoll bunt zu schmücken. Zerstreute Sonnenlichter, welche durch das Blättergewölbe der vollen Laubkuppeln sich einstehlen, um mit den Orchideen und Mairiesli heimlich einen Augenblick zu kosen, fallen in ihrer Strahlenbrechung violett-dämmerig auf den Boden und contrastiren so wunderbar zu der übrigen Farben-Zusammenstellung, daß sie, vom Maler wiedergegeben, als kokette Erfindung, als outrirte Effecthascherei gelten würden.

Was leuchtet dort so schimmernd hell zwischen den weißgrauen Stammsäulen hindurch, wie verborgenes Mauerwerk? Es ist die Waldkapelle in lauschiger Einsamkeit, von grünen Reflexen überzittert. Ein Ort für stille Selbsteinkehr, mag wohl schon mancher der Bergknappen, wenn er auf’s Neue an seinen gefährlichen Broderwerb ging, hier frommer, inbrünstiger gebetet haben, als drunten in der großen Dorfkirche oder bei den Kapuzinern zu Mels. Ungeachtet der vielen hineingehangenen Heiligenbildlein sieht das kleine Gotteshaus weder katholisch noch protestantisch aus; es hat gar keine confessionelle Färbung, sondern erscheint in seiner großen Einfalt wie ein dem Welt-Cultus der Natur errichtetes Heiligthum. Wer Lessings schwärmerisches Bild: „die Kapelle im Walde“ kennt, hat hier ein Original zu dem genialen tiefempfundenen Meisterwerke.

Ein schriller Ton durchfährt den Wald und schreckt uns aus der elegischen Stimmung auf. Er kommt aus dem um eine Felsenecke biegenden Hohlwege herab. Nun mischen sich menschliche Stimmen, Zurufe, hallend hinein, und das knatternde, knirschende Geräusch wird lauter, breiter, voller. Da erscheint droben in der hohlen Gasse ein Mann, braunroth vom Kopf bis zu den Füßen, der mit energischem Kraftaufwande einen Schlitten zurückzuhalten sich bemüht. In wahrhaft athletischen Bewegungen, kämpfend gegen die auf ihn eindringende Schwere, legt er sich in die halbmondförmig aufragenden Schlittenkufen wie der personificirte active Widerstand. Jetzt überwältigt ihn der Druck; mit beiden Beinen stemmt er sich in den aufgewühlten steinigen Sand, daß Staubwolken rundum aufdampfen. Er geht nicht mehr, er gleitet, wie auf der Eisbahn, mit der Last herab; seine dick mit Eisen beschlagenen Holzschuhe durchschneiden das am Boden liegende Geröll wie der Kiel eines Schiffes die Wogen. Jetzt steuert er scharf auf eine Felsenecke zu; dort zerschellt es ihn, wenn er anprallt. Aber trotz der jagenden Hast, mit der der Braune herabkommt, ist er seines Fahrzeuges mächtig; mit lautem Zuruf wirft er die schwere Last herum, die kreischend über die Steine hinschleift. Jetzt sehen wir auch, wem der Zuruf galt; hinter dem mit 20 Centnern Eisenstein beladenen Schlitten ist ein Gehülfe des eigentlichen Schlitters bemüht, die enteilende Last zu hemmen und mittelst schwerer eiserner Ketten die treibende Wucht zu schwächen. Jetzt schleifen sie an uns vorüber, mit freundlichem Gruß unseren Gruß erwidernd. Sie halten an. Es gehören Pferdeknochen und Löwenkraft dazu, täglich zwei Mal die entleerten Schlitten auf den Schultern zwei Stunden hoch hinauf zu tragen, an die Mündungen der Gruben, um dann, ebenfalls zwei Mal, in beschriebener Weise, bei einer Neigung von durchschnittlich 30 Grad, wieder herab zu fahren.

Es gibt sauere Beschäftigungen im Erwerbsleben, die jedes Stücklein trockenen Brodes mit Thränen netzen; aber es gibt wohl kaum eine zweite, bei welcher eine größere Consumtion der Kräfte stattfindet. Wir werden es fühlen, wenn wir wieder hinabsteigen, wie empfindlich der andauernd jähe Fall des Weges unsere Kniee und Schenkel berührt; und doch gehen wir frei, völlig Herr unserer Bewegungen, unserer Zeit, unserer Kräfte. Nun denke man sich das rasend-forcirte Ineinanderstauchen der Knochen, die verzweifelte Anspannung aller Sehnen und Bänder des Schlitters, wenn er seiner ihn drängenden Last mächtig bleiben will. Man sollte glauben, es seien Männer von Stahl und Eisen. Und doch sehen sie gar nicht so herkulisch aus. Sechs Franken (1 Thlr. 18 Ngr.) ist der Tagelohn für je zwei Männer eines Schlittens. Nun wähne man aber nicht, einem todtmüden, lebensmatten, mit der Welt zerfallenen Proletariate, wie dem in den englischen Steinkohlengruben, zu begegnen, dem die Leiden der gesellschaftlichen Stellung mit tiefgeätzten Linien in’s Antlitz gezeichnet sind, – im Gegentheil, es ist ein heiteres, redseliges, lachlustiges Volk, das sich nur immer darüber wundert, wie man eine solche Leidenschaft für die Besteigung der Berge haben könne. Eine kurze Rast in Mitte der im Walde gelagerten Schlitter, wenn sie ihre schweren Fahrzeuge auf Kopf und Schultern wieder bergan tragen, gewährt viel Unterhaltung, vorausgesetzt, daß man ihren Oberländer Dialekt versteht. Mitunter wird man bei der Ankunft von irgend einer Seite her angeredet, ohne den Sprecher entdecken zu können; endlich erblickt das suchende Auge ganz nahe, im rothen dürren Buchenlaub, den in der Farbe gleich rothen Schlitter am Boden hingestreckt, der sammt seinen Cameraden in schallenden Lachjubel ausbricht, uns vexirt zu haben. So gefahrvoll die Beschäftigung ist, so wenig namhafte Unglücksfälle kommen vor; sie scheinen in Gottes besonderer Obhut zu stehen. So ereignete es sich am Dienstag vor Pfingsten (dieses Jahres), daß von der Felswand herunterstürzende Steine einem Manne den auf dem Kopfe getragenen Schlitten total zerschmetterten, ohne ihm selbst den mindesten Schaden zuzufügen.

Nach zweistündigem, ziemlich strengem Steigen durch den Wald lichtet sich’s, und wir gelangen endlich an’s hölzerne Knappenhaus. Alles um und um ist bolusroth, die Wände, die Treppen, das Dach, der Erdboden, der gemüthliche Obersteiger Bärtsch, der uns bewillkommnet, ja sogar der ursprünglich mausgraue Hauskater. Hier wird, will man in eine der drei Gruben einfahren, der Erlaubnißschein des Hütten-Verwalters von Plons abgegeben. Kaffee, Brod und frisches Wasser ist Alles, was Gastfreundschaft an Erquickung bieten kann; darum ist Proviant in der Reisetasche von Nöthen. Während wir an dem prächtigen Niederblick in’s Rheinthal uns erfreuen, kommt die Schaar der Grubenarbeiter eisenklappernden Trittes zum Mittagbrod (11 Uhr). Wie der Müller von seinem Geschäftsbetriebe weiß, der Kaminfeger rußschwarz ist, so feuern diese Leute in hochkupferrother Farbe. Es würde diabolischer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_488.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)