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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

geduldiges Thier, und die erfrischenden Morgenstunden zur Reise benutzend, zieht er mit verdoppelter Eile dahin. Verwunderungsvoll schaut er hinüber nach den Städten und Schlössern, deren Zinnen ihm so einladend winken und den baldigen Aufgang der Sonne verkünden; er kennt die Erscheinung und berechnet die Tagereisen, die ihn noch von den schattigen Wäldern und aufstrebenden Bergen trennen, welche zwar noch tief unter dem Horizont liegen, deren Vorhandensein ihm aber die Luftspiegelung verräth. Sein Begleiter, ein eingeborener Sohn der Steppe, wendet keinen Blick von den phantastischen Formen und flüstert auf geheimnißvolle Weise: „Das ist Manitou, der uns zur Geduld mahnt und uns die goldenen Wigwams in den seligen Jagdgefilden zeigt.“

Höher steigt die Sonne; tausendfach brechen sich die Strahlen in den glatten, buntfarbigen Kieseln, welche den Boden mosaikartig bedecken, und schmerzhaft berührt der verstärkte Glanz das von allen Seiten geblendete Auge; mit gesenkten Häuptern ruhen die Männer im Sattel, und mit gesenkten Häuptern schreiten die Thiere dahin, wie im Vorgefühl der Qual, welche ihnen durch die sich steigernde Sonnengluth und den sich mehrenden Durst droht. Die Reiter vermeiden es zu sprechen, der letzte Trunk aus der Kürbisflasche wurde ja schon vorsichtig in der Frühe geschlürft, und wer weiß, wo und wann sie wieder auf Wasser stoßen werden, denn ringsum, so weit die Blicke reichen, ist kein Zeichen wahrnehmbar, von welchem man auf die Nähe einer Quelle schließen könnte; selbst die tröstende Luftspiegelung, die von fernen Wäldern und Bächen erzählt, ist verschwunden, und an ihre Stelle tritt die peinigende Luftspiegelung, welche in Afrika’s Sandsteppen so bezeichnend „Durst der Gazelle“ genannt wird.

Fata Morgana in der Wüste.

Freundlich winkt in der Ferne eine kleine Wasserfläche, dürrer Sand faßt dieselbe zwar ein, doch doppelt lieblich spiegelt sich dafür der blaue Himmel in den klaren Fluthen, die, wie von einem sanften Lufthauch bewegt, leicht gekräuselt erscheinen. Aufmerksam schauen die Reisenden hinüber, aufmerksamer noch beobachten sie das Benehmen ihrer Thiere, doch diese, vom Instinct geleitet, verfolgen unbeirrt mit gesenkten Köpfen ihren mühevollen Weg und achten des Wassers nicht, welches, gleichen Schritt mit ihnen haltend, neckisch vorauseilt. Höher steigt die Sonne und fast senkrecht fallen die brennenden Strahlen auf den heißen Sand. – Plötzlich beginnt der See sich nach allen Richtungen hin auszudehnen, und buchtenähnlich, wie beim Austreten großer Gewässer, erstrecken sich die Fluthen in weitem Halbkreise um die Wanderer. „Das ist das Gespenst der Wüste,“ sagt der weiße Reiter zu seinem rothhäutigen Gefährten. „Es ist der böse Geist, der uns zu martern gedenkt,“ antwortet dieser, „er ladet zur Rast ein, um uns zu verderben, aber seine Mühe ist vergeblich, selbst unsere Thiere glauben ihm nicht.“

Der schmale Landstreifen, der den umfangreichen See vom Horizont trennt, schwindet immer mehr, zerreißt endlich ganz, und wie auf dem ewigen Ocean, so schweift der Blick über eine Wasserfläche, welche in weiter Ferne mit dem sonnigen Aether zusammenfällt. Die erhitzte Atmosphäre bebt und flimmert, und wie mit regelmäßigem, gleichförmigem Wellenschlag bewegt sich der See; Meile auf Meile legen die Reiter zurück, und eben so schnell weicht vor ihnen der trügerische Wasserspiegel. Der Sand knirscht unter den beschlagenen Hufen und keuchend dringt der Athem aus der beengten Brust; sonst herrscht Todtenstille überall; die Natur scheint wie ausgestorben, und außer einigen goldbeschwingten Laufkäfern, die flüchtig über den losen Sand eilen, zeigt sich kein Leben in dieser niederdrückenden Einsamkeit. Da tauchen plötzlich aus dem Wasser, in nicht allzugroßer Entfernung, zwei unförmliche Gestalten auf; man könnte geneigt sein, dieselben für halbversandete Sphinxe zu halten, wenn sie nicht durch mancherlei Bewegungen Leben und eigenen Willen verriethen. Scheinbar schwimmend nähern sie sich mit gewaltigen Stößen einander und trennen sich dann wieder, und deutlich spiegelt sich ihr umgekehrtes Bild in den klaren zitternden Fluthen. Jetzt, wie durch Zauber, verwandeln sich die Sphinxe in breite, plattgedrückte Schwimmvögel, die bald mit verlängerten, bald mit verkürzten Hälsen auf dem Wasser einherschreiten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_476.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)