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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ein echter Heldenmuth dem Feinde Achtung eingeflößt hätte. „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“; diese berüchtigte Mahnung des Berliner Commandanten fand ihre Seitenstücke: die großen Herren glaubten damals noch, sie wären die wahre Vorsehung und das Volk verstände gar nichts, hätte sich gar nicht darum zu kümmern, was um es und mit ihm geschehe.

So war’s auch in Colberg, der alten pommerschen Festung. Da commandirte der alte Oberst Lucadou, ein griesgrämiger Officier aus des großen Fritz Schule, gewissenhaft bis zur Pedanterie, ein echter Exercirgeneral, aber ohne Energie und Kenntniß der Bedeutung der geschehenen Ereignisse. Kamen die Franzosen vor seinen Platz, so wollte er schon mit ihnen die Sache ausmachen, darum brauchte sich die Bürgerschaft nicht zu beunruhigen, sie hatte sich gefallen zu lassen, was der Herr Oberst bestimmen würde. Ja, da kam er bei den Colbergern schlecht an! Die hatten den alten verwetterten, kreuzfesten Nettelbeck an ihrer Spitze, und der hatte ihnen den Standpunkt klar gemacht. Die Bürger sollten sich bewaffnen, die Schanzen wieder in Stand setzen, sie im Nothfall mit vertheidigen, so verlange es die Noth und die Ehre von Colberg; worauf Herr von Lucadou gar grimmig die ehrbaren Bürger anschnauzte und sie daran ermahnte, daß Ruhe ihre erste Pflicht sei. Er sei dazu da, hier in Colberg zu commandiren, und er wisse, was er zu thun habe; die Bürger möchten bei ihrer Pfeife Tabak bleiben und sich um seine Angelegenheiten nicht scheeren.

Brummig und mit langen Nasen gingen sie ab; nur Nettelbeck ließ sich nicht einschüchtern und organisirte auf seine Hand die Vertheidigung der Festung, so viel Lucadou auch wettern und fluchen mochte. Der Lieutenant von Schill bestärkte sie in ihrem Vorhaben getreulich; er hatte auch ganz andere Begriffe, als sein Herr Oberst, und kümmerte sich schier wenig um ihn. Es war ein schmucker, prächtiger Dragonerofficier, der bei Auerstädt tapfer gefochten und, der Gefangenschaft glücklich entronnen, in Colberg eine Zuflucht gefunden hatte. Ihn liebte Alt und Jung, denn er war ritterlich von außen und von innen und ein ganz eigenthümlicher Geist, der nicht in die Schablone der damals gang und gäben Officierstournüre paßte. Lucadou hatte ihn schon längst auf dem Strich, denn Schill spielte den Lieutenant auf eigene Rechnung. Mit etlichen seiner Reiter pflegte er die Colberger Umgegend zu durchstreifen, oft weithinaus in’s Land, entführte bedrohte Cassen, Pferde, Waffen, trieb den Franzosen Transporte von Schlachtvieh ab, und kamen ihm hin und wieder kleine Streifcorps von Franzosen in den Weg, so hieb er muthig drein und sie fast immer gehörig zusammen. Patriot durch und durch und ein phantastischer Kopf dabei, lockte ihn die Gefahr und Kühnheit solcher Handstreiche zu Unternehmungen, aus denen ihn oft nur sein Muth und seine Geistesgegenwart retteten. Schon manches Mal war er deshalb hart mit Oberst Lucadou, den diese Streifzüge ohne seinen Auftrag erbittert hatten, zusammengerathen; aber Schill, eigensinnig und von seinem Geist erfüllt, war nach wie vor in’s Land gezogen mit seinen zwei, drei Dutzend Reitern und hatte seine Thaten verübt. Da schickte ihn denn eines Tages Lucadou in Arrest. Nun aber stieg’s den ehrsamen Bürgern zu Kopfe. Ihnen war Schill der echte rechte Soldat, dessen wagnißvoller Muth dem ihrigen mehr entsprach, als die mattherzige Superklugheit Lucadou’s. Sie liebten ihn, wie Jeder denn bald das Kühne und Hochherzige liebt; sie rückten, der stramme Schiffscapitain Nettelbeck vorauf, dem Commandanten auf’s Quartier, und der mußte wohl oder übel den Lieutenant Schill wieder frei lassen.

Es war ein Triumph für den kühnen Reitersmann und spornte seinen Ehrgeiz und damit seine Verwegenheit bedeutend an. Es zog sein Name ruhmvoll durch das Land; Freiwillige kamen und schlossen sich ihm an, und er streifte mit ihnen umher, verübte mit ihnen Thaten, welche durch ihren tollen Heroismus so unendlich gegen die Schlaffheit der preußischen Kriegführung im Ganzen abstachen. In der Nacht vom 7. zum 8. Decbr. überfiel er z. B. mit zehn Reitern und ebensoviel Infanteristen eine fünfzig Mann starke Colonne und nahm ihr Gepäck, ihre Waffen und Vorräthe weg. So etwas zündete überall, wohin die Kunde drang, neuen Muth und neues Leben; solche unerschrockene Männer – ach, hätte man nur deren in den Festungen gehabt, anstatt der alten Officiere mit ihrer souverainen Verachtung alles dessen, was keinen bunten Rock trug! Hätte man deren nur mehr an der Spitze gefunden, als es mit dem Kriege begann!

Und trotzdem, daß an Rettung kaum noch zu denken war – denn die preußische Armee war theils kriegsgefangen, theils versprengt – richtete sich an diesem einzelnen kühnen Parteigänger doch momentan die Hoffnung der Besseren auf. Noch waren ja die Russen da, um Napoleon zu bekämpfen; noch sammelte man ja in Preußen die Rudera der Armee – wenn man einen Mann von solchem Glück und solcher Kühnheit wie Ferdinand von Schill unterstützte, wie leicht, daß sich dann das Blatt noch wendete! Und so zogen die Tapfersten und Abenteuerlustigsten nach Colberg, um unter Schill zu dienen, mit ihm Thaten zu vollbringen, die schon im Munde des ganzen Volkes lebten. Ja, am 12. Januar ermächtigte ihn eine königliche Cabinetsordre sogar, in Pommern ein Freicorps zu organisiren und nach Ermessen der Umstände und in Uebereinstimmung mit der Commandantur zur Deckung des Landes mitzuwirken. Man kann sich denken, wie schwer dies den Obersten Lucadou ärgerte. Kopfschüttelnd, als begreife er nicht, welche Ideen man sich von solchen „zusammengelaufenen Haufen“ mache, ließ er zuletzt die Dinge, wie sie gingen; er ließ den Nettelbeck gewähren, so lange es nicht in der Festung geschah – denn da wollte er allein befehlen –, er ließ die Bürger nach Herzenslust vor den Wällen schanzen und Schill seine Züge unternehmen.

Gerade zu jener Zeit rückten die Franzosen in stärkeren Haufen nach Pommern, um auch hier tabula rasa zu machen und Colberg zu nehmen. Schill hatte wohl Leute genug, aber ihre Bewaffnung war schwer zu ermöglichen, besonders da Lucadou nicht eine Säbelklinge aus dem Colberger Arsenal herausgab. Man bekam zum Glück aus Stralsund Gewehre, Säbel, ein paar Kanonen, und den verschiedenen überfallenen Franzosencorps nahm man auch ein gut Theil Waffen ab. So war es Schill denn in merkwürdig kurzer Zeit gelungen, ein kleines Bataillon Infanterie, ein paar schwache Schwadronen, eine Jägercompagnie und etwas Artillerie zu formiren. Damit ging’s denn hinaus, drauf auf den Feind. Tagtäglich liefen Nachrichten von den tollen Thaten des Schill’schen Freicorps ein, manchmal freilich auch üble. So hatte Schill, von Verwegenheit geblendet, sich auf ein starkes Corps Franzosen bei Naugardt geworfen (17. Febr.) und war dort in sehr herber Weise zurückgeschlagen worden. Aber solche mißlungene Unternehmungen standen doch weit hinter dem Eindruck zurück, den die Kühnheit dieses Reitersmannes überall hervorgerufen, und wurden überdies nur zu bald und zu oft von glänzenden Erfolgen des Freicorps vergessen gemacht. Da sank keines Einzigen Muth, wenn’s einmal fehlschlug, und die Leute hingen mit unendlicher Liebe an ihrem Führer, der in Tapferkeit und Ausdauer mit seinen Officieren freilich das beste Beispiel gab. Wohin er befahl, da zog die lustige Schaar mit; durch’s Feuer liefen die Kerle, als seien sie gefeit, Schill selbst immer mit dem Säbel dazwischen, fechtend wie ein Löwe.

Ende Februar 1807 hatten die Franzosen Colberg umzingelt. Nun wußte Lucadou gar nicht, wie er sich zu benehmen hatte, und in Wirklichkeitleiteten Nettelbeck und Schill die Vertheidigung des Platzes. Lucadou wollte still abwarten, was die Franzosen unternehmen würden; Schill aber, der brennende Geist, der rückte fast allnächtlich über die äußersten Werke Colbergs hinaus und überfiel die als schwach erkannten Stellungen des Feindes. So bereitete er ihm, unterstützt von der Colberger Besatzung, am 21. März bittere Verluste, und am 12. April lieferte er ihm ein hitziges Gefecht, welches in eine vollständige Niederlage der Franzosen auslief. Es waren dies immerhin bedeutende Erfolge, insofern, als durch diese reichen Verluste die Franzosen abgehalten wurden, zu einer energischen Belagerung zu schreiten, der Muth und das Vertrauen der Colberger sich dadurch erhöhte und zwei Monate Zeit gewonnen ward, wodurch das Schicksal des Platzes sich entschied. Denn während Schill mit seinen Reitern, überdrüssig der Lucadou’schen Bedenken und Widerspenstigkeit, nach Schwedisch-Pommern aufbrach, um dort wirksamer aufzutreten, kam Gneisenau an Lucadou’s Stelle und setzte die Vertheidigung Colbergs mit einer Energie und Umsicht in’s Werk, welche seinen Namen weit berühmt machte. Mit unendlichem Heroismus hielt er die vom Mai ab energisch betriebene Belagerung aus; er und Nettelbeck waren Tag und Nacht auf den Beinen, mitten in dem furchtbaren Bombardement, welches das fast aller Vorwerke beraubte Colberg vom 1. Juli an zu erleiden hatte. Der endliche Untergang war unvermeidlich; da erschien, im höchsten Drange des Kampfes und der Noth, als der entscheidende Sturm schon vorbereitet war, ein preußischer Officier und brachte die Nachricht vom Waffenstillstande. Colberg

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