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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

des Guts kommen werde, hatte er feierlich versichert, es sei Alles falsch und erlogen. Nimmer werde auch der alte Familiensitz in andere Hände gelangen, möchten diese so gierig darnach sein, wie sie wollten.“

„Ich habe den alten Kerl schon weinen sehen, wenn er davon sprach,“ fiel Clas spottend ein.

„Höre an,“ fuhr Schiemann fort, „ich glaube noch mehr. Der Pfarrer hat auf solch Geplapper nichts gegeben, doch sicher hat es die Jungfrau Else besser angenommen, oder Horngreb hat noch besonders mit ihr gesprochen. Ich weiß es nicht, allein ich zweifle nicht daran, denn ich sah es an ihrem Gesicht und an Allem was sie that. – Und ich will nun wissen,“ fuhr er fort, indem er sich vor Clas stellte, „was der alte Kerl im Sinne hat. Du sollst hinüber fahren und ihn besuchen, sollst ihn ausforschen und mir dann Nachricht bringen. Ich will Nachmittag wieder zu dem Pfarrer, komm dann zum Pfarrhaus herauf und erwarte mich. Um neun Uhr will ich nach Haus, dann sage mir Alles was Du erfahren konntest.“

Er gab ihm noch mehrere Anweisungen, und nach einer Stunde fuhr Clas durch den Sund von Reknös nach Otteröe, das sich quer vor die Mündung des Fjord legt. Das Wetter hatte sich aufgehellt, und die grüne hohe Insel war wolkenklar und glänzte von Sonnenlicht. Wo die Westküste sich umbiegt, sprang eine breite Bucht ein, und in der südlichen Ecke lag dort ein großer Hof, der weit über Land und See schaute. Das Klima ist auf allen diesen Inseln weit milder, als auf dem Festlande; Clas schaute die grünen umbuschten Höhen und sanftfallenden Thäler wohlgefällig an und sagte: „Da liegts, als wär’s ein Königssitz; es kann keiner einen besseren in ganz Norge haben. Da kommt der Bach herunter und friert niemals, der Wald steht zu beiden Seiten, Schnee liegt nirgend hier fest, sie können das Vieh fast das ganze Jahr über im Freien halten, es findet sein Futter. Hei! hätt’ ich’s, kein verdammter Krämer in Molde sollt’ es mir nehmen; aber das vornehme Volk taugt auch nichts, und diesem Meldal, der mit dem Lump, dem –“ er blieb stehen und sprach nicht weiter. An einem Fenster im Hause, dem er sich zugekehrt, war ein Gesicht erschienen und gleich wieder verschwunden. Clas hatte es nicht erkannt, aber es fiel ihm Jemand dabei ein, daß ein Schauder ihm über den Leib lief. Im Augenblick darauf jedoch lachte er, denn da stand es wieder an derselben Stelle und kein ander Gesicht war es, als das des alten Horngreb, das ihn groß ansah.

„Wer soll’s auch anders sein, als die alte Eule!“ murmelte Clas, nickte ihm zu, trat in’s Haus und sogleich auch in die Stube. „Gottes Frieden!“ sagte er. „Du erlaubst es doch, daß ich vorspreche?“

„Setz Dich, wenn Du willst,“ antwortete der alte Mann.

„Ich war in Ageröe,“ fuhr Clas fort. „Es geht gut mit dem Hering, ist frischer Fang.“

„Wir können es brauchen,“ erwiderte der Verwalter.

Clas sah auf den Tisch. Da stand eine Schüssel mit Flachbrod, eine andere mit Butter und geräuchertem Fleisch, auch eine Flasche und Gläser. „Hast Du Gäste gehabt?“ fragte er.

Der Alte sagte trinkend „ja,“ nahm dann die Flasche, schenkte ihm ein Glas Branntwein ein und schob es ihm hin. Clas blickte ihn scharf an und in der Stube umher. Diese war geräumig, die Wände auch mit Tapeten bekleidet, doch zerrissen und verräuchert, die Geräthe alt und verbraucht, das Rohrgeflecht in den schweren Birkenstühlen zerlöchert. Der Verwalter blickte mürrisch unter seinen breiten, ergrauten Augenbrauen hervor. Er hatte einen ehrwürdigen, greisen Kopf. Seine langen grauen Haare, nach hinten gekämmt, ließen die hohe Stirn frei; das ganze Gesicht war voll Falten, und es kam Clas vor, als hätten sich diese vermehrt, der Alte sähe noch trauriger und kummervoller aus, als es sonst schon der Fall war. „Na,“ sagte er, und hob das Glas auf, „Du sollst leben, Vater Olaf! Warum siehst Du so verdrießlich aus?“

„Es macht wohl, weil ich Dich sehe,“ antwortete der alte Mann und blickte finster auf.

„Ei,“ lachte Clas, „was willst Du von mir? Ich bin Dein guter Freund.“

„Behalte Deine Freundschaft!“ sagte Horngreb.

„Sei doch nicht so böse!“ rief Clas und schenkte sich ein neues Glas ein. „Komm, setz Dich her, das ist ein guter Trank. Der Schwarze soll mich holen, wenn ich es nicht gut meine und Dir guten Rath geben will. Willst Du ihn hören?“

„Sprich,“ erwiderte Horngreb und setzte sich.

„Ist’s wahr,“ fragte Clas, „daß Dein Lieutenant mit einem Frauenzimmer fortgelaufen ist, Niemand weiß wohin?“ und schob ein ungeheures Stück Flachbrod zwischen seine Zähne, die es krachend zermalmten.

Horngreb stützte den Kopf in seine Hand; es war Clas, als hörte er lachen. „Lachst Du?“ fragte er und sah sich um.

„Was weißt Du davon?“ rief der Alte und fuhr auf. „Mach Dich fort!“

„Sachte, sachte!“ sprach Clas bedächtig, „ich meine es gut. Heiß mich nicht gehen. Bald wirst Du selbst gehen müssen, wenn Du nicht klug bist. Meldal’s Hof kommt zum Verkauf, die Klage liegt fertig beim Landrichter, Herr Schiemann hat fast alle Schuldbriefe angekauft. Es wird nicht Winter werden, so ist der Gaard sein Eigenthum.“

„So schnell wird’s nicht damit gehen,“ brummte der Alte und schlug seine Augen nieder.

„Ja, ja!“ rief Clas, „aber es soll Dir nichts schaden, wenn Du willst. Ich will’s machen, daß Schiemann Dich in seinen Dienst nimmt. Gefällt es Dir?“

Es trat ein Schweigen ein, bis Horngreb endlich langsam sagte: „Warum nicht? Wenn er Herr hier wird, will ich sein Diener sein.“

„Das ist ein Wort!“ rief Clas, „Du kannst Dich darauf verlassen. Er kann Dich brauchen und wird gut bezahlen, wenn Du treu bist.“

„Das will ich sein,“ sprach der alte Mann.

„So komm nach Molde und sprich selbst mit ihm, er wird es gerne sehen und Dich gut aufnehmen. Weißt Du nichts von dem Erik Meldal? Hat er nicht an Dich geschrieben?“

Horngreb schüttelte den Kopf.

„Warum gingst Du gestern zu dem Pastor?“

Der Alte schwieg stille, endlich sprach er mit seiner harten Stimme: „Niemand will von ihm wissen, auch die nicht, die sonst thaten, als sollte ihre Liebe von Ewigkeit sein.“

„Oho,“ lachte Clas höhnisch auf. „Sie haben Dich nicht gut aufgenommen, wie ich merke; das geht so her in der Welt und steht schon in der Bibel: Wer da hat, dem wird gegeben. Das ist ein feiner Spruch, alter Olaf. Hat Schiemann Meldal’s Hof, so hat er auch die Jungfrau Else, und habe ich die Stelle am Torsfjord, so hab’ ich auch die Sigrid.“

„Meinst Du wirklich, daß es so kommt?“ fragte Horngreb.

„So gewiß wir Beide hier sitzen!“ schrie Clas mit einem neuen vollen Glase. „Wir machen an einem Tage Hochzeit, und Du mußt dabei sein. Hurrah hoch!“ Indem er dies schrie und trank, hörte er wieder ein Lachen, so laut als lachten ihrer mehrere hinter und vor ihm, und da er erstaunt absetzte, sah er daß Horngreb noch beim Lachen war.

„Ja, ja!“ rief der Verwalter, „wenn Else und Sigrid zur Kirche gehen, will ich nicht fehlen. Darauf stoß ich mit Dir an, Clas Gorud; doch habe ich immer gemeint, daß Thorkel Ingolf sich die Sigrid nicht nehmen lassen würde.“

„Weißt Du was?“ begann Clas mit boshaften Augen. „Er soll sie haben, wenn Erik die Else bekommt. Meinst Du nicht?“

„Das mein’ ich!“ rief der Alte, und sie lachten Beide und nickten sich zu, als wären sie einverstanden. Darauf rückte Clas noch näher und schrie: „Der Eine paßte immer zum Anderen, darum sollen sie beisammen bleiben; wir aber wollen gute Freunde sein und wollen zusammenhalten und einander beistehen.“

Nach einer halben Stunde schien ihr Bündniß abgeschlossen und dem Clas gewiß, daß der Verwalter Alles thun würde, was man von ihm verlangte. Daß er von Erik Meldal nichts wußte und nichts hoffte, hatte er ihm wiederholt, auch daß er dem Herrn Schiemann dienen würde, wenn dieser ihn haben wollte. Zuletzt noch sagte er: „Gleich kann ich nicht nach Molde kommen, aber bald soll’s geschehen, und wenn Herr Schiemann mich dann nehmen will, kann er mich bekommen. Das aber möchte ich ihm gleich rathen und auch Dir rathen, Clas: wartet nicht länger mehr, er bei den, Pastor, Du bei Gullik. Sie sind euch Beiden gewogen, ich weiß es, und der ist ein Narr, der Fluth und Wind verpaßt, denn Niemand weiß, wann sie wiederkommen.“

„Meiner Seele!“ rief Elas erfreut, „das ist ein guter Rath. Daran sehe ich, daß Du es ehrlich meinst, auch Herr Schiemann wird es erkennen. Heute noch soll er wissen, wie Du gesinnt bist, und jetzt noch ein Glas, dann lebe wohl, Olaf Horngreb, es soll Dir nicht leid thun, daß ich bei Dir war.“

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