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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ringsum. Man scherzt und lacht und neckt sich und klettert von Boot zu Boot. Alles ist Leidenschaft und Leben, Aufregung und Feuer. „Tonnara“ ist den Sicilianern, was den Spaniern die Stiergefechte, den Engländern der „Derby-Tag“, den Deutschen eine – Parade.

Der bewegliche Netzboden im „Gemache des Todes“ wird immer höher und höher gezogen. Die halbnackten, braunen, sehnigen „Schlächter“ stehen oben in ihren Booten und kreischen und schwingen ihre Harpunen wie Besessene. Sie stieren hinunter und sehen ihre Opfer in Verzweiflung klatschen und platschen und immer höher kommen. Zunächst springen in der Regel einige fliegende Fische heraus und suchen durch die Luft zu entkommen, werden aber von dem großen schwimmenden Amphitheater der Zuschauer gefangen. Der Netzboden wird endlich 6–8 Fuß unter der Oberfläche befestigt. Das Wasser darüber bedeckt sich mit weißem Schaum, so furchtbar klatschen und peitschen die Gefangenen. Der weiße Schaum färbt sich blutroth. Das klare, blaue Meer umher wird weiter und weiter wie ein Blutmeer. Alles brüllt, schreit, jauchzt, schwingt Mützen, Hüte, Tücher, Flaggen. Wie gräuliche Unholde stechen und stoßen die Fischer in den Booten blindlings auf ihre Opfer unten, und werden manchmal von der verzweifelten Kraft der starken Fische in’s Wasser gezogen, bis zwei oder drei Mann sich je eines bemächtigt haben, um ihn herauszuziehen. Die Thune sind furchtbar stark im Wasser, besonders in ihren Todeszuckungen, die Wasser und Blut weit und hoch umherspritzen. An die Luft, in’s Boot geworfen, sterben sie nach einigen gefährlichen Schlägen sehr bald, aber nicht, ohne ihre Mörder vorher mit Blut überspitzt zu haben. mit Blut, das den schreienden, stoßenden, ausweichenden, zuspringenden Harpunieren unter dem klarsten, blauen Himmel im hellen, stechenden Sonnenschein aus Gesicht und Haar an den braunen Leibern herunterströmt. Das Blutvergießen und der fanatische Kampf in der Mitte ist von einem fanatischen Kreise jauchzender Zuschauer eingerahmt. Ein furchtbares, eigenthümliches Jagdbild, das Augen, die nicht daran gewöhnt sind, nicht so leicht wieder verwischen können!

Der erste Fang dieses Jahres – bestehend aus 16 Fischen, wurde in Palermo mit mehr als 450 Thalern bezahlt. Aber bis zum 29sten Juni wird ziemlich alle Tage ein neuer Fang gemacht, und nicht blos vor Solanto (allerdings dem Hauptplatze wegen des Golfs und der Nähe Palermo’s), sondern von unzähligen Küstenorten aus, so daß die armen Leute das Pfund Thunfisch nicht selten für 3 oder 4 Pfennige kaufen können. Schwertfische, die sich zuweilen mit einfinden, werden an Harpunen im Wasser bis an’s Land gezogen. Ihr Fleisch ist eine Delicatesse, besonders der Rogen.

Der St. Peter-Pauls-Tag, 29. Juni, ist der letzte Tag der sicilianischen Thunfisch-Ernte.




Blätter und Blüthen.


Bei Carl Vogt. Wenn man Genf den Rücken wendet mit seinem bunten, lebendigen Treiben, seinen prächtigen, großartigen Läden und seinem Schwindel à la parisienne, und schreitet am neuen Museum vorüber der schlammigen Arve zu, so erinnern den Wanderer bald schattige Baumgruppen und ländliche, zierliche Behausungen daran, daß sich hier, fern von dem geschäftlichen, wie politischen Getümmel, der Genfer Gemüthlichkeit ihre Wohnstätten erbaut hat. Verfolgen wir unsern Pfad, bis uns durch die Bäume die ersten Häuser des freundlichen Carouge entgegen schimmern, so liegt uns zur Rechten ein kleines Landgut, ja der kleinsten und unscheinbarsten eines, die wir auf unserm Wege getroffen; aber doch sind wir am Ziele: es ist Plainpalais, hier wohnt Carl Vogt.

Ich kannte Carl Vogt schon jahrelang. Ich hatte ihn gehört im deutschen Parlament, hatte ihn später oft gehört in der schweizerischen Bundesversammlung, kannte seine wissenschaftlichen Werke, die meisten seiner Broschüren, sowohl naturwissenschaftlichen wie politischen Inhalts. In allen diesen Richtungen war er mir stets als ein starrer, gewaltiger, ich möchte fast sagen, schonungsloser Vorkämpfer seiner Principien erschienen, als ein Mann, der nicht selten mit seinen glänzenden Geisteswaffen seine Gegner zerschmetterte oder, wie er selbst sagt, „seine Stacheln gegen die Giftmichel emporrichtete“, wenn sie seine Persönlichkeit anzutasten gewagt hatten. Ebenso hatte ich häufig seinen schlagenden Witz, sein heiteres geselliges Talent bewundert. Aber heute sah ich ihn zum ersten Mal in seiner Familie, zum ersten Mal die Seite seines Charakters, welche nur wenige seiner Freunde, seine Feinde aber gar nicht kennen – weil er sie oft absichtlich verhüllt: seine herzliche Gemüthlichkeit.

Wir betraten bald die Höhle des „Reichsregenten“ und „Reichsverräthers“, das Innere der einstöckigen Villa, an die ein nicht allzugroßer Garten grenzt. Ueberall Bequemlichkeit, überall die größte Ordnung, nirgends der Luxus, von dem sich die Feinde Vogt’s den Verfasser des „Köhlerglaubens“ und der „Studien“ umgeben denken. Im Salon freilich hängt manches schöne Oelgemälde, alle Wände sind damit geziert. Aber Vogt selbst hat sie gemalt; alles sind sprechende Erinnerungen an seine Tage in Nizza, an manche Alpengegend, die er durchstreift, ehe er hier in Genf einen häuslichen Heerd gründen konnte. Ein Paar alte, verblichene Bilder rühren noch von der Hand seiner Großmutter her, und mit großer Behaglichkeit erzählte er mir, wie er zwei schöne deutsche Landschaftsgemälde von einer reichen Berner Patrizierin um einen Spottpreis gekauft, da diese durch das stete Sinken der österreichischen Staatspapiere im letzten Jahre recht herunter gekommen war. Am Interessantesten war mir aber Vogt’s Studirzimmer, denn hier zeigt er sich uns mit einem Blicke als Naturforscher, Politiker und Mensch. Man staunt über Vogt’s Productivität, wenn man die Resultate seiner mühevollen Forschungen bandweise nebeneinander aufgestellt sieht; man staunt aber noch mehr, wenn man die Stöße von Zeitungen durchblättert, in denen er seine Grundsätze und seine Vertheidigung gegen die Angriffe der Presse von halb Europa seit mehr als zehn Jahren niedergelegt hat. Und neben all diesen Erzeugnissen seines unablässigen Ringens für Wahrheit und Recht, zeigt uns eine noch unvollendete Staffelei im Hintergrunde des Zimmers, mit was Vogt in seinen Mußestunden die Feder vertauscht. Noch häufiger aber verbringt er diese kurzen Stunden im Schooße der Seinen.

Ich habe oft Leute gefunden, die mit ihren Gästen table d’hôte speisten oder ihnen zu Hause sybaritische Gastmähler gaben, um durch den Gläserklang die häuslichen Mißklänge zu übertönen; ich habe wieder andere gefunden, in deren Salon man des Gastes wegen süße Gesichter schnitt, sich gegenseitig viel vorschwatzte von Familienzärtlichkeit etc. Von dem Allen siehst Du bei Carl Vogt nichts! Man weicht Deinetwegen nicht ab von seiner gewöhnlichen Lebensweise, man gibt sich Dir, wie man einmal ist, vielleicht manchmal etwas eigenthümlich, etwas derb, aber gerade dadurch fühlt man sich so „heimelig“ bei Carl Vogt, als wäre man selbst ein Glied seiner Familie. Bei alledem habe ich wenig Häuser gefunden mit einem so innigen, traulichen Familienleben wie hier. Nichts trübt das Verhältniß der Ehegatten zu einander, nichts das der Eltern zu den Kindern. In seiner Familie ist Vogt ganz Vater und Gatte, so liebevoll und kindlich heiter, mit den Kindern ballspielend, lachend und schäkernd wie ein Kind.

Ich weiß, auch über seine Schwelle ist die Lüge und die Verleumdung geschritten. Nichts ist den „Giftmicheln“ in der Vogt’schen Familie heilig genug gewesen, das sie nicht besudelt hätten mit ihrem Hauche. Vogt ist ein Materialist, ein Republikaner, also Grund genug in ihren Augen, um ihn der Ueppigkeit, der Liederlichkeit und wer weiß, was Alles, zu beschuldigen. Alles erlogen! Man frage nur in Genf nach, frage Alle, die Vogt persönlich kennen, und man wird bald hören, daß trotz der wüthenden Verleumdungen und Schimpfereien gewisser deutscher Blätter der Ruf des einstmaligen „Reichsverwesers“ in seiner Heimath ein durchaus reiner und makelloser ist, den zu vertheidigen, eine Beleidigung für den wackern Mann wäre.




Palermitanisches Studentenleben. Zu dem bourbonischen System gehörte, wie man weiß, eine gänzliche Vernachlässigung des Unterrichts, verbunden mit der strengsten Beaufsichtigung aller derer, welche sich den Künsten und Wissenschaften widmeten. Wie sich das Leben der sicilianischen Studenten dadurch gestaltete, wollen wir, gestützt auf lauter Angaben aus amtlichen Regierungsschriften, Erlassen, Ordonnanzen etc., an dem Beispiel der Hochschule von Palermo zeigen. Der angehende Jurist oder Mediciner hatte im Jesuitencollegium der Stadt eine Vorbildung erhalten, die hinsichtlich der Fürsorge für sein Seelenheil nichts zu wünschen übrig ließ. Auf der Hochschule aufgenommen, genoß er einer verdoppelten geistlichen Berücksichtigung. Man gab ihm einen besonderen „Seelenmeister“ (Maestro di spirito) und stellte ihn unter die Aufsicht eines Präfecten, der in seiner Thätigkeit von dem Rector der Hochschule und von sämmtlichen Professoren unterstützt wurde. Die Vorträge der Professoren nachzuschreiben, war dem Studenten verboten, aber dafür mußte er an jedem Sonnabend vor einem Professor aufsagen, was er die Woche über gelernt hatte. An jedem Sonntag hatte er im Oratorium zu erscheinen, um die Messe zu hören und sich katechisiren zu lassen. Beim Herausgehen aus der Kirche erhielt er einen Schein über seine Anwesenheit ausgestellt, den sorgfältig zu bewahren sein Interesse war, denn man ließ ihn später zu keiner Prüfung, zu keinem Amt zu, wenn er nicht schwarz auf weiß beweisen konnte, daß er ein steter Besucher des Oratoriums gewesen sei. Der Rector, immer ein Theatinermönch, hatte das Recht, jeden Studenten auf die bloße Anklage eines Lehrers hin von der Hochschule auszuschließen. Der Fortgewiesene hatte dagegen kein Rechtsmittel, da die Deputation der Hochschule (der Großkanzler, der Rector und vier Professoren), der der Fall allerdings vorzutragen war, blos zu untersuchen hatte, ob die Ausschließung fortdauern oder eine härtere Strafe eintreten solle.

Von den ersten Tagen des Juni bis zum 5. November waren Ferien. In der Zeit der Vorlesungen gab es viele Feiertage, in der Regel mit Processionen verbunden, bei denen die Hochschule mit allen ihren Studenten paradirte. Die wichtigste Periode des Jahres war die Fastenzeit. In dieser hatte der Student unter der Aufsicht eines Geistlichen eine Woche lang

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_463.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)