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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Bewohner ihres Felles absuchen und die gefundenen schleunigst verzehren, welche Umschreibung man auch kürzer mit einem einzigen Zeitwort ersetzen kann. Da sie aber die erhaschten Unglücklichen fressen, so könnte man eigentlich ungewiß sein, ob dieser materielle Trieb oder das höhere Interesse der Reinlichkeit und öffentlichen Wohlfahrt sie zu der ganzen Thätigkeit veranlaßt; jedenfalls muß der Grund ein sehr wichtiger sein, denn in der That ist der Ernst nicht zu übertreffen, womit der Eine dasitzt und mit den Fingern der einen Hand das Kopfhaar seines Freundes auseinander biegt, um mit der andern die Schmarotzer ohne Gnade zu fassen und zu vertilgen, während dieser mit der Seelenruhe des Gerechten dasitzt, wohl wissend, daß neben dem angenehmen Gefühl des Krauens ihm auch eine hohe Wohlthat erzeigt wird. Ist ein Dritter dabei, so hilft dieser entweder mit, indem er sich auf Schultern, Armen oder Beinen ein anderes Feld seiner Thätigkeit aussucht, oder er hält wenigstens den Abzusuchenden, oder auch er beobachtet genau das Verfahren der Andern, um es sich selbst gehörig einzuprägen. Paviane mit ihren schwarzen larvenartigen Gesichtern nehmen sich in dieser Thätigkeit immer am drolligsten aus, denn ihre hellen obern Augenlider erhöhen den wichtig-komischen Ausdruck ihres Gesichts ungemein.

Auch dem Menschen erzeigen die Affen gern diese Wohlthat, und wenn Jemand seinen Kopf nicht darbieten will, um bei seinen Nebenmenschen nicht in den Verdacht der dazu treibenden Nothwendigkeit zu kommen, so genügt ihnen auch ein etwas behaarter Arm oder Hand, um sofort eine Suche anzustellen, die, wenn auch fruchtlos, sie nicht leicht ermüdet.

„Sie müssen doch im Ganzen ein etwas gefährdetes Leben führen?“ bemerkte ich. als wir wieder zu dem Rhinoceros zurückkamen. „Fürchten Sie sich nicht zuweilen?“

Er lächelte. „Nicht vor Thieren und Vögeln, aber die Schlangen, die gefallen mir allerdings nicht sonderlich.“

„Handeln Sie auch mit Schlangen?“

„Von jeder Art und Größe. Ich bin so ziemlich vertraut mit ihrer Art und Weise, doch aber kommen zuweilen unbekannte Gattungen, mit denen ich mich nicht gut zurechtfinden kann. Vor kurzem kamen erst wieder vierzig Blasennattern, die giftigsten und bissigsten von allen Schlangen, an, und ich mußte sie alle, eine nach der andern, aus der Kiste nehmen, um sie extra einzeln zu verpacken und weiterzuschicken. Ich muß gestehen, daß mir diese Arbeit nicht sehr behagen wollte.“

„Packen Sie diese Thiere mit Zangen?“

„Wir haben nicht eine einige Zange im Hause,“ erwiderte er.

„Nun, wie greifen Sie die glatten Geschöpfe?“

„Ich fasse sie mit dem Zeigefinger und Daumen dicht hinter dem Kopf und halte sie fest. Das ist die einzige Art, mit ihnen fertig zu werden.“

„Tragen Sie dabei Handschuhe?“

„Ja, aber sehr dünne, denn dicke Handschuhe würden meine Finger an der freien Bewegung hindern. Eine Schlange würde leicht eine Menge solcher Handschuhe, wie ich trage, durchbeißen; aber ich denke, das Leder fängt doch immer etwas von dem Gifte auf, wenn es auch dünn ist, – was freilich, wie die Gelehrten behaupten, nur eine Einbildung sein mag. Eine Blasennatter ist die häßlichste Schlange, die ich kenne. Ihre Manieren sind so abscheulich, wie ihr Aussehen. Mit der Klapperschlange komme ich sehr gut aus: die ist ein Gentleman, und verfährt offen und ehrlich. Ehe sie beißt, rasselt sie zur Warnung zweimal mit der Klapper. Nach einmaligem Rasseln kann man sie noch mit voller Sicherheit anfassen; sobald sie aber zum zweiten Male geklappert hat, heißt’s zurücktreten, oder es kostet das Leben.“

Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es unter solchen Umständen doch wohl gerathener sei, die Blasennattern, Klapperschlangen, Cobra’s und das ganze Giftgezüchte ungestört in ihren heimathlichen Schlupflöchern zu lassen, denn die Befriedigung der Neugier durch ihren nicht einmal schönen Anblick wiegt doch sicher die damit verbundene Lebensgefahr ihrer Wärter nicht auf. Indessen ergab sich im Verlauf des Gesprächs, daß selbst der Handel mit diesen Productionen einer üblen Naturlaune seiner wirklichen Nützlichkeit halber noch eine Rechtfertigung zuläßt. Diese Geschöpfe werden nämlich an Physiologen und andere Forscher vertheilt, um die Wirkungen des Giftes zu ermitteln. So hatte dieser Wärter selbst viele von den genannten Blasennattern zu diesem Zweck nach Deutschland gebracht, worüber sich unsere armen Katzen und Kaninchen, an denen meist experimentirt wird, sicher wenig gefreut haben werden.

Eben kam Jamrach zurück, und ich fragte ihn unter Anderem, ob er auch einen Riesen-Salamander besitze, den ich bisher nur ein einziges Mal in der Menagerie von Amsterdam gesehen hatte.

„Nein,“ erwiderte Herr Jamrach, „das wäre zu kostspielig und gewagt. Doch da Sie den in Amsterdam kennen, will ich Ihnen auch erzählen, wie er nach Europa kam. Die Salamander dieser Art finden sich nur in Japan und sind auch dort selten. Nichts destoweniger gelang es einem holländischen Arzt, der sich längere Zeit in Nangasaki, oder vielmehr in der holländischen Factorei von Decima bei dieser Stadt, aufhielt, deren acht zu sammeln, was ein kleines Vermögen war, wenn es ihm gelang, sie lebend nach Europa zu bringen. Mit reisenden Salamandern, wie mit marschirenden Heeren, bildet die Proviantirung die Hauptschwierigkeit. Sie leben nur von frischen Süßwasserfischen, und nun können Sie sich selbst die Aufgabe vorstellen, diese wählerischen Thiere auf dem ganzen sechsmonatlichen Seeweg von Japan nach Europa zu beköstigen, zumal sie sich eines sehr gesegneten Appetits erfreuen und die Fahrt überdies nicht selten noch ein paar Monate länger währt. Für die täglichen Mahlzeiten eines Tigers von Bengalen aus zu sorgen, ist eine Kleinigkeit gegen das, was der Doctor unternommen hatte. Endlich schiffte er sich ein mit seinen Salamandern, den lebenden Süßwasserfischen in großen Fässern und dem Futter für die Fische, die ja auch beköstigt sein wollten und die für gewöhnliche Matrosenkost von Salzfleisch und dürren Erbsen gar wenig Neigung verrathen. Ich weiß nun nicht, dauerte die Reise länger als gewöhnlich, oder hatte der Doctor den durch die Seeluft vielleicht noch geschärften Appetit seiner Pfleglinge zu gering angeschlagen, kurz, die Fische verschwanden einer nach dem andern bis zum letzten, und die Salamander machten Zeichen nach mehr. Was war zu thun? Nur eins, und ich bedauere, es erzählen zu müssen. Man entschloß sich endlich zu salamandrinischem Cannibalismus. Salamander Nummer Eins fiel unter dem Messer des Proviantmeisters und wurde, unparteiisch vertheilt, von seinen Brüdern verschmaußt. Dem armen Doctor mußte das Herz geblutet haben, als er ihnen diese kostbare Speise, den achten Theil seines geträumten Vermögens, auftischte! Aber dabei verblieb es nicht. Salamander Nummer Zwei folgte dem ersten, diesem der dritte, und so ging es fort, bis auch die zwei letzten das Loos geworfen hatten, und endlich dem Allerletzten nichts mehr übrig blieb, als sich selbst zu fressen. Da aber zeigte sich in der höchsten Noth das Land, frische Fische waren bald verschafft, und Salamander Nummer Acht, das lebenee Grab seiner sämmtlichen Cameraden, ziert jetzt das Museum von Amsterdam. Doch kann ich Ihnen mittheilen, daß er kürzlich durch einen Landsmann erfreut wurde, der extra von Japan kam, um ihm Gesellschaft zu leisten.“

Ich mußte dieser Plauderei ein Ende machen, und will nur noch hinzufügen, daß, wenn es einer unserer Leserinnen vielleicht nach einem Schooß-Rhinoceroschen gelüsten sollte, sie diese Liebhaberei um drei bis viertehalbtausend Thaler befriedigen kann. Sollte sie einen Tiger vorziehen, so genügen, wenn der Markt gerade überfüllt ist, wohl sechs- bis siebenhundert Thaler, in gewöhnlichen Zeiten hält sich der Preis jedoch gegen zweitausend. Löwen sind etwas wohlfeiler. Die Hauptbedingung ist jederzeit baar Geld, Credit wird nicht gegeben, ebenso wenig gehandelt, dagegen aber für’s Beißen garantirt.




Die Thun-Fischerei.
Sicilianisches Lebensbild.

Die Phantasie, die Zeitungen, die Herzen und Gespräche Europa’s beschäftigen sich Monate lang mit den Thaten, Leiden und Schicksalen Siciliens, das am südlichen Ende Europa’s mit seinen Palmen und Felsen, Olivenhainen und Korngefilden wie ein nördlicher Vorposten der Tropen aus den blauen Wassern des mittelländischen Meeres hervorragt. Von diesem aus gesehen


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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_461.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)