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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

unserer Sonne sind. Diese Erscheinungen, auf welche die astronomische Welt erst seit der großen Sonnenfinsterniß vom 8. Juli 1842 aufmerksam geworden ist, sind: die Lichtkrone (Corona, Glorie), mit welcher der dunkle Mond während der totalen Sonnenfinsterniß umgeben ist, und die bergähnlichen Erhebungen (Protuberanzen oder Prominenzen), welche, ähnlich den in rosa- oder pfirsichblüthfarbenem Lichte erglühenden Alpenhörnern, bald nach Eintritt der totalen Verdunkelung der Sonnenscheibe sich zeigen.

Die Erklärung dieser interessanten Erscheinungen gehört zu den „brennenden Fragen“ der Astronomie; vielleicht wird sie durch die vereinte Anstrengung und Bemühung des diesjährigen astronomischen Congresses in Spanien zur Zufriedenheit aller Betheiligten gelöst werden. Die zur Beobachtung nöthigen Hülfsmittel sind verhältnismäßig sehr gering und der Art, daß nicht blos „gelernte“ Astronomen sich ihrer bedienen können; es sind dies nämlich: eine zuverlässige, Secunden zeigende Taschenuhr, ein mäßig großes Fernrohr von drei Zoll Oeffnung (des Objectivglases) nebst einem Blendglase und einem Positionsmikrometer, einer Vorrichtung zur Messung der Lage und Größe aller Erscheinungen an den Rändern der beiden Himmelskörper, endlich ein zweckmäßig eingerichteter Polarisationsapparat, um die Natur des Lichtes der Corona zu untersuchen. Diese einfachen Hülfsmittel genügen vollkommen zu der nur durch möglichst genaue und sorgfältige Beobachtung zu erreichenden Entscheidung der Frage, ob die Sonne in der That eine durchsichtige dritte Atmosphäre hat, die man bei dem hellen Lichte der Sonne sonst nicht wahrnehmen kann.

Vornehmlich zu diesem Zwecke begeben sich in diesem Sommer aus allen Theilen Enropa’s, ja sogar aus Amerika, Astronomen nach Spanien und der Nordküste von Afrika; die Resultate der vereinten Beobachtungen werden gewiß bald bekannt werden. Es dürfte daher vielleicht von Interesse sein, den Kernpunkt der ganzen Frage über die drei Atmosphären der Sonne in Kurzem darzulegen. Bekanntlich zeigt die Sonne, durch ein Fernrohr betrachtet, nicht das gleichmäßig glänzende Aussehen, wie man eigentlich erwarten könnte; vielmehr zeigen sich auf ihrer Oberfläche einzelne dunkle, fast schwarze Flecken, gewöhnlich umgeben von einer grauen Einfassung, Perumbra oder Hof genannt; neben diesen dunkeln Flecken sieht man aber auch solche Stellen, die heller leuchten, als die übrigen Theile der Sonnenoberfläche; man nennt sie Fackeln. Außerdem ist die ganze Sonnenscheibe noch bedeckt mit zahlreichen hellglänzenden Punkten und dazwischenliegenden Furchen, so daß der ältere Herschel die Oberfläche der Sonne nicht unpassend mit dem Anblick einer Pomeranzenschale verglichen hat.

Die gegenwärtig von den Astronomen allgemein angenommene Ansicht über die Ursache dieser Erscheinungen und über die physische Beschaffenheit der Sonne ist folgende. Die Sonne ist an sich ein dunkler Körper von kugelförmiger Gestalt, rings umgeben von zwei über einander gelagerten Umhüllungen oder Atmosphären. Die den dunklen Sonnenkörper unmittelbar einschließende Umhüllung ist eine unserer Atmosphäre analoge, aber aus einer zusammenhängenden Wolkenschicht bestehende Dunsthülle von großer Dichtigkeit, wenig oder gar nicht selbstleuchtend, wohl aber das Licht reflectirend. Ueber ihr dehnt sich die leuchtende Hülle, die Photosphäre der Sonne aus; Arago hat durch seine schönen Polarisationsversuche gezeigt, daß das Licht derselben von einem brennenden Gase herrührt, welches in sich feste glühende Theile enthält, wie die selbstleuchtenden Flammen unserer Kerzen oder des Leuchtgases, und daß es sich wesentlich unterscheidet von dem Lichte, welches ein glühender fester oder flüssiger Körper entsendet. Die Erscheinungen der dunklen und hellen Flecken der Sonne erklären sich nun sehr gut durch diese beiden Umhüllungen der Sonne. Man darf nämlich nur annehmen, daß zu gewissen Zeiten von dem Sonnenkörper beträchtliche Gasmassen aufsteigen, ähnlich unserem courant ascendant der Tropengegenden. Diese in die Sonnenatmosphäre sich erhebenden Gasmassen bahnen sich einen Weg durch die Wolkenschichten der beiden Umhüllungen und verursachen so dem betreffenden Theile des Sonnenkörpers eine kürzere oder längere Aufheiterung des sonst durch die dichte, zusammenhängende Dunsthülle ewig verschleierten Himmels; wir sehen durch die so entstandenen trichterförmigen Vertiefungen Theile des dunklen Sonnenkörpers als schwarze Flecken.

Die Wolkenschichten der Photosphäre werden durch das ausströmende Gas auf die Seite gedrängt, und da dasselbe in größerer Höhe nach Maßgabe des geringeren Druckes sich immer mehr ausdehnt, so werden die oberen Oeffnungen der Photosphäre größer sein, als die unteren der Dunsthülle; man erblickt daher um die schwarzen Sonnenflecken noch die durch Reflexion des Lichtes der Photosphäre matt erleuchtete Dunsthülle als den Hof oder die Perumbra. Die durch die aufsteigende Bewegung des Gases zurückgedrängten Lichtwolken der Photosphäre werden sich rings um die von dem Gase verursachten Oeffnungen anhäufen und die Lichtfackeln verursachen. Diese aufsteigenden Gasausströmungen scheinen sich übrigens auf eine gewisse Zone der Sonne zu beschränken. Denn die Sonnenflecken zeigen sich nicht an allen Theilen der Sonnenoberfläche; man sieht sie mit wenigen Ausnahmen nur in einer Zone, die sich zu beiden Seiten des Sonnenäquators, ungefähr 30 Grad, erstreckt.

Diese zwei Atmosphären der Sonne, die Dunsthülle und die Photosphäre, sind also hinreichend zur Erklärung der Sonnenflecken und Fackeln, aber die äußerste Grenze der Photosphäre ist noch nicht die äußerste Grenze der Sonnenatmosphäre überhaupt; nur können wir dieselbe erst dann wahrnehmen, wenn das strahlende Licht der Photosphäre durch einen vor dieselbe tretenden dunklen Körper für uns einige Zeit hindurch verdeckt wird, gleichwohl aber im Stande ist, eine sie umgebende durchsichtige, an sich aber dunkle, dritte Umhüllung der Sonne zu erleuchten. Diese günstigen Umstände der Wahrnehmbarkeit derselben für unsere Augen treten aber nur bei totalen Sonnenfinsternissen ein; daher ist es für die Frage, ob die Sonne wirklich eine dritte Atmosphäre habe, von der höchsten Wichtigkeit, alle Erscheinungen, die sich nur bei einer totalen Sonnenfinsterniß an den Rändern der Sonne und des Mondes zeigen, sorgfältig zu beobachten. Die diesmaligen Beobachtungen am 18. Juli werden um so entscheidender sein, insofern man jetzt genau weiß, was und wie man bei diesen Erscheinungen beobachten muß. Daß man dies nicht schon früher gewußt hat, rührt davon her, daß man diese Erscheinungen erst seit der großen Sonnenfinsterniß vom 8. Juli 1842 in ihrer vollen Tragweite für die Kenntniß der physischen Beschaffenheit der Sonne erkannt hat. Allerdings hat man schon früher bei totalen Sonnenfinsternissen um den die Sonne verdeckenden Mond einen hellen, in weißem Lichte glänzenden Schein wahrgenommen, die Lichtkrone oder der Heiligenschein (Gloria) genannt, so z. B. 1706, 1715, 1724, 1778, 1806. Man hielt aber diese Erscheinung nur für eine Wirkung der Beugung der Sonnenstrahlen, welche diese an dem Rande jedes zwischen sie und unser Auge gestellten dunkeln Körpers erfahren; erst Arago machte 1842 darauf aufmerksam, daß man durch positive oder negative Beobachtungen von Polarisations-Erscheinungen an dieser Lichtkrone zu einem entscheidenden Resultate gelangen könne. Zeigt nämlich das weißliche Licht der Krone deutliche Spuren von Polarisation, dann kann es nicht von einer Beugung der Sonnenstrahlen herrühren; denn diese selbst zeigen keine Spur von Polarisation; man muß alsdann dieses Licht als ein reflectirtes betrachten, das uns von der durchsichtigen, durch die Photosphäre der Sonne erleuchteten dritten Atmosphäre der Sonne zugesendet wird.

Schon 1842 haben Arago und Mauvais und 1851 d’Abbadie und Edland in Schweden deutliche Polarisations-Erscheinungen an der Corona beobachtet, und die diesmaligen Beobachtungen werden dieselben hoffentlich für immer genau feststellen. Für die dritte Sonnenatmosphäre sprechen noch überdies die von Secchi, Director des Collegio Romano, im Jahre 1852 gemachten Wahrnehmungen, zufolge deren die Sonnenscheibe in der Mitte mehr Wärme ausstrahle, als von Punkten näher an dem Rande, woraus man schon a priori die Folgerung ziehen kann, daß die Photosphäre der Sonne von einem Wärme absorbirenden Mittel umgeben sein müsse.

Endlich lassen sich die obenerwähnten röthlichen, bergähnlichen Erhebungen (Protuberanzen) an dem Mondesrande auf keine Weise besser erklären, als durch die Annahme einer dritten Umhüllung der Sonne, insofern nämlich diese Protuberanzen Aufwallungen in der untersten Schicht der dritten Atmosphäre seien, vielleicht Wolkenmassen, die von der Photosphäre erleuchtet und gefärbt werden. Es ist hierbei sehr stark zu vermuthen, daß diese Erscheinungen mit der Bildung von Sonnenflecken in Verbindung stehen, sodaß sie die letzten Spuren der von dem Sonnenkörper aufsteigenden Gasausströmungen sind. Die bisherigen Beobachtungen dieser Erscheinungen bei den Sonnenfinsternissen vom 8. Juli 1842. 28. Juli 1851 und 7. September 1858 (in Brasilien) haben bereits festgestellt, daß diese Protuberanzen am westlichen Rande von Beginn der totalen Finsterniß an bis zum Ende derselben an Dimension

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_456.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)