Seite:Die Gartenlaube (1860) 446.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Wort unter vier Augen genannt, das versteckteste und lauschigste Plätzchen des Hains; die Hardenbergsgrotte, der Zuckerhut etc. Doch wozu Namen, wozu Beschreibung? Sie geben keine Ahnung dieser wunderbaren Zusammenstellungen der Riesensteine. Goethe sagt davon: „Die ungeheure Größe der ohne Spur von Ordnung und Richtung übereinandergestürzten Granitmassen gibt einen Anblick, dessen Gleichen mir auf allen Wanderungen niemals wieder vorgekommen.“ Aber selbst Leute, die die Gebirge der ganzen Erde bereist haben, versichern, die Louisenburg sei einzig. Ueber der riesigen Großartigkeit des Naturgebilds liegt jetzt der Hauch des Verfalls des Menschenwerks. Solche Schöpfungen verlangen die nie rastende nachbessernde Hand, deren Schöpfung sonst leicht von den Schrecken der Natur besiegt wird.

„Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.“

Die Vernachlässigung der schönsten Partien berührt schmerzlich.

Ein anderer, auf den intelligenten Besucher verstimmend einwirkender Uebelstand ist die Trivialität der Gedanken und des Ausdrucks in Prosa und schlechten Versen, welche sich im älteren Theile der Anlagen schier auf jeder ausgezeichneten Felsenstirne zudringlich breit macht. Sind Plattheiten und Gemeinplätze schon in der gedruckten Schriftsprache keine angenehme Bekanntschaft, so läßt man sie doch auf dem vergänglichen Papier passiren, ohne allzuheftigen Anstoß daran zu nehmen; sobald sie aber mit so ungeheurer Prätension auftreten, daß sie ihre fußhohen Worte in kolossale Granitwände eingraben, soll man solche Ungebühr strafend abweisen. Unser Gefühl sagt uns, daß der Sinn, welchen die Alten mit der Bezeichnung Lapidarstyl verbanden, als der solchen Aufschriften angemessene, auch von uns festzuhalten sei: gefällige Form des Ausdrucks in gedankenreicher Kürze. In der Zeit aber, als man sich lebhaft für die Verschönerung der Louisenburg interessirte, hat jedes adlige oder reiche Individuum, welches Geld dazu hergab oder in dieser romantischen Steinwelt sein Liebchen küßte, es für Schuldigkeit gehalten, Sentenzen und Verse aus der eigenen Fabrik in dieses granitne Stammbuch einzutragen und seinen Namen oder wenigstens dessen Anfangsbuchstaben in den Tempel der Unsterblichkeit einzuschmuggeln. Aber vornehme und reiche Leute haben gerade nicht immer vornehme und reiche Gedanken, und der Adel des Namens involvirt noch lange nicht den des Geistes. Und so spielt denn die Eitelkeit in diesen Inschriften eine große selbst- aber nicht wohlgefällige Rolle. Ein adliger Herr vorzüglich hat ihr gar nicht genug thun können; wie oft erblickt man seine Namenschiffre! In der Klingershöhle sagt er uns auf einer Marmortafel in platten Reimen, daß er Gott, Tugendhafte, frohen Umgang und klugen Scherz liebe, in den Wissenschaften nur Lehren für sein Herz suche, in einer frohen Ehe unbemerkt sich seines Lebens zu freuen wünsche und werth sein möchte, nach seinem Abscheiden von guten Menschen beweint zu werden. Auch am Burgstein hingen gutgemeinte Gedanken von ihm und sein Wappen auf zwei Marmortafeln neben einander; eine verständige Hand hat beide entfernt.

Ein anderer aus Wunsiedel gebürtiger Herr berichtet uns an einem prächtigen Felsen mit riesigen Lettern in deutscher und russischer Sprache, daß er kaiserlich russischer Collegienrath sei. Und von jenem geisteshohen Wunsiedler Stadtkinde, das mit seinen vom Genius der Poesie selbst eingegebenen göttlichen Gedanken die Welt entzückt hat und, unsterblich wie sie sind, in Ewigkeit fortentzücken wird, steht keine Zeile in diesem Steinbuche, das allein würdig wäre, die erhabensten und brillantesten Sentenzen seines Geistes aufzubewahren. Nicht einmal der ihm geweihte Platz trägt seinen Namen. Und von den hochsinnigen, charaktergroßen, treuen und schönen Aussprüchen der hohen Frau, deren Namen doch diese Felsenblätter führen, ist kein einziger darauf eingegraben. Da sind die Namen von braven Consuln und Geschäftsleuten und ihren ehrenwerthen Gattinnen, sehr achtungswerthen Regierungs- und anderen Räthen, Frei- und anderen Herren und Frauen an diesen stolzen Felshäuptern haften geblieben, aber verwundert fragt sie der Besucher: was wollt ihr hier? Und vergebens sucht er die gefeierten Namen der Heroen des deutschen Volkes. Und doch wäre die Louisenburg die würdigste Walhalla für das Andenken unserer größten Geister. Nicht einmal ein Humboldtsplatz oder -Felsen ist da, und doch war Alexander der Große der Wissenschaft einst Bergbeamter dieses Gebirges; kein Goethestein wird gefunden, und doch besuchte der auch als Geognost bedeutende Dichterfürst diese Felsenmassen, von welchen er sagt: „Sie bilden ein Labyrinth, welches ich vor vierzig Jahren mühsam durchkrochen, nun aber durch architektonische Gartenkunst spazierbar und im Einzelnen beschaulich gefunden.“

Wie elektrisch würden die empfänglich aufgeregten Herzen durchzuckt werden, wenn ihnen von diesen Felsenstirnen die gewaltigen, erhabenen und tiefsinnigen Sprüche Jean Paul’s, oder die frommen, ehrwürdigen, herzlichen Worte der Königin Louise entgegenleuchteten, ebenso die Kraftgedanken unserer größten Dichter und Denker! Und wie stolz würde sich unsere Brust heben, wenn uns aus diesem Naturwunder die Namen derer entgegentönten, welche Deutschlands Culturgeschichte so groß gemacht haben! Das deutsche Volk muß wieder in die heiligen Haine seiner Vorfahren wandern; an den Cultstätten ihrer Götter, Schöpfungen ihres Geistes, müssen wir den Cultus unseres Geistes, unserer Vaterlandsliebe begehen. Und kein Hain eignet sich dazu besser, als die Louisenburg, dieser wahrhaftige Volks- und Königshain. Recht in der Mitte, im Herzen Deutschlands gelegen, gibt sie in ihrem wunderbar herrlichen Formenreichthum ein treues Naturbild des deutschen Geistes in seiner mannichfachen großartigen Gestaltung. Von der deutschen Königin, der Fürstin der Herzen, und vom deutschen Dichterfürsten, dem Beseliger der Herzen, sollten echte Goldkörner des Geistes an diesem Gestein glänzen, wie echte Goldkörner im Gestein dieser Berge.

Heil einem Volke, das eine Königin und einen Dichter gehabt hat, wie Louise und Jean Paul! Ein solches Paar ist ein unveräußerlicher Schatz, ein Volkshort, der, wenn auch versenkt, dennoch strahlt und, wenn seine Zeit gekommen, als prächtiger Doppelstern aufgehen wird, um mit seinem Glanze alles Volk zu erkräftigen und zu begeistern. Die aufflammende Kraft und Begeisterung Deutschlands streifte die Schlangenringe des ersten Napoleon Bonaparte ab, es wird und muß sich auch der Mephistopheles-Netze seines Zerrbildes erwehren; ja wie uns der Erste zu dem großen moralischen Aufschwunge von 1813 trieb, so wird uns der Zweite noch eine Stufe höher treiben auf der Leiter der Volksentwickelung. Hinauf! hinauf! Oben winken und strahlen die Sterne Louise, Schiller, Richter, Arndt!

Der 19. Juli dieses Jahres ist der fünfzigjährige Todestag der Königin Louise, und der 21. März 1863 der hundertjährige Geburtstag des Dichters Johann Paul Friedrich Richter.




Aus meinen Memoiren.
Von Emma Niendorf.
Plaudereien über die Napoleoniden.

Vor Jahren hörte ich einen vom Rhein heimkehrenden Freund berichten, er habe auf dem Dampfschiffe zwei junge Leute getroffen, die sehr artig waren und vornehm schienen. Sie hatten ihren eigenen Wagen bei sich auf dem Verdecke. Jener suchte während der Fahrt sich demselben zu nähern, weil er ihre Namen zu wissen wünschte. Aber statt des Wappens, das er erwartete, fand er auf den Kutschenschlag eine aufgehende Sonne gemalt, mit den Worten: „Je monte“. Erst nachher erfuhr er, daß der Eine dieser jungen Männer der Graf St. Leu, der Andere dessen Begleiter gewesen sei. Louis Napoleon hat diese Devise, den Wahlspruch seines ganzen Gebens, wahr gemacht.

Vom Prinz Jerôme Montfort selbst hörte ich, als er von Arenenberg zurückkehrte, wohin er sich von Stuttgart aus begeben hatte, um den gerade dort verweilenden Cousin zu besuchen, daß er denselben in Büchern und Karten begraben gefunden.

„Ja, was plagst Du Dich denn mit all dem Zeug?“

„Das brauche ich.“

„Wozu?“

„Weil ich später doch noch einmal Kaiser werde. Ich weiß das gewiß!“ wiederholte Louis Napoleon.

Aus gleicher Quelle weiß ich Manches aus der Zeit des Besuchs vom Kaiser Nicolaus am Bodensee. Prinz Montfort

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_446.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2021)