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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sie mit dem süßen, redlichen, hellleuchtenden Auge der Wahrheit und des Segens! Er der tückische Mann ohne Würde; sie das ehrliche Weib voll Hoheit! Er, der seine länder- und völkerumspinnende Macht auf die schlechten Eigenschaften, die unedlen und gemeinen Triebe im Herzen der Menschen, auf Gewinnsucht, Herrschsucht, Glanzsucht, Genußsucht, Ränkesucht und Eitelkeit gegründet; sie, die ihre herzengewinnende Macht auf die höchsten und herrlichsten Tugenden des Gemüthes und Geistes aufgerichtet, auf Liebe, Treue, Sanftmuth, Wohlwollen, Menschlichkeit: sie mußten sich hassen, diese beiden Größen, das war sittliche Nothwendigkeit. Sie waren Pole, die sich abstießen. Sie haßte ihn, wie das Böse vom Guten stets gehaßt wird: edel! Er haßte sie, wie das Gute stets vom Bösen gehaßt wird: gemein! Sie verkannte seine Mission nicht; sie anerkannte in ihm den tapfern und genialen Feldherrn, aber als Helden in ihrem Sinne konnte sie ihn nicht verehren; dazu fehlte ihm das Haupterforderniß, die Tugend. Und er vergaß sich soweit, der unritterliche Emporkömmling, daß er sie persönlich beleidigte. Damit hat er sich selbst das Urtheil gesprochen.

Klingersgrotte.

Und wie wahr und klar durchschaute sie ihn! In der Milde und Würde ihres Urtheils über ihn zeigt sie sich, die von ihm schwer Gekränkte, als die hohe, edle, deutsche Frauennatur, vollkommen werth der Liebe und Verehrung, die sie genoß. Dieses Urtheil ist um so wichtiger und schätzenswerther, weil es einem Briefe an ihren Vater einverleibt, also nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt ist.

„Gewiß wird es besser werden, das verbürgt mir der Glaube an das vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem jetzt freilich glänzenden Throne ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit und Gerechtigkeit, und er ist nur politisch, d. h. klug, und er richtet sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie nun eben sind. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Man muß ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Von seinem Glück geblendet, meint er Alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt.“ – Schöne ahnungsvolle Seele, großes Kinderherz auf dem Königsthrone, von einem düstern Verhängniß ausersehen, dem Gluthhauch des Moloch als Opfer zu fallen!


Es gibt Landschaften, die sich leicht und anschaulich beschreiben lassen; eine Beschreibung der Louisenburg, die einen klaren Begriff von diesem in seiner Art einzigen Felsenhaine gäbe, ist selbst für den begabtesten Stylisten eine Sache der Unmöglichkeit. Es wird selbst dem Maler durch gute Abbildungen der einzelnen Partien schwer werden. Goethe sagt schon, daß diese „zahllosen, in sich zusammengestürzten und gethürmten Felsenmassen alle Beschreibung und Einbildungskraft überragen.“ Man muß dieses poetische Naturwunder selbst sehen und den Zauber, den diese Fels- und Waldgebilde in dem Beschauer wachzurufen so geeignet sind, durch das eigene Auge auf die Seele wirken lassen, um den rechten Genuß davon zu haben.

Das steht fest, daß dieses kleine Stück Schöpfung voll Majestät und Milde den Namen der Königin Louise, des Genius Deutschlands, würdig und mit Recht führt. Neben dieser allgemeinen Charakterbezeichnung des Hains behauptet sich die des Wildgrotesken, großartig Bizarren. Der erste Eindruck dieser außerordentlichen Zusammenwürflung und Gestaltung der ungeheuern Granitblöcke, Platten, Vierecke, Rhomben, Rhomboiden, Kegel, Keile, Säulen, und wie man sonst die verschiedenartig geformten Steintrümmer benennen mag, auf den Besucher ist der eines ungeheuern Erstaunens. Man erschrickt vor der großartigen Grillenhaftigkeit der Natur in diesen Gebilden; man fühlt sich von ihrer Erscheinung überwältigt und niedergedrückt, und der Geist erhebt sich erst wieder durch die Ausschau von den Gipfeln auf das majestätische Chaos, auf Wald und Flur, auf das Städtchen und die Dörfer, auf „die Adlerhäupter des Gebirges“ und in die blauende Ferne. Auch muß man den Hain öfter besuchen und sich möglichst lange in seinem Schatten, in seinen Klüften und auf seinen Gipfeln aufhalten, um sich in alle seine Reize zu versenken und jeden einzelnen mit Schwelgerei durchzukosten.

Wer sich das Herz an den Brüsten der Mutter Natur groß trinken und ihre milde Majestät sittlich erhebend auf sein Gemüth einwirken lassen will, der betrete an der Hand eines geliebten, gleich ihm mit Empfänglichkeit und Verständniß für die Poesie der Erscheinung begabten Menschen an einem sonnigen Frühsommermorgen voll Thau und Frische, oder an einem Sommerabend, wo der flammende Westhimmel durch die Fichtenwipfel Gold auf das Gestein wirft, diese Felsenstätte. Aber zwei Seelen müssen es sein, die ineinanderfluthen und sich ergänzen, damit sie sich ihre Gefühle mittheilen können. Dort wird hohe Andacht sie durchschauern und sie als eine Flamme zum Geiste der Natur, zum Gott der Liebe und Schönheit emporfittichen. – Wir machen nur die ausgezeichnetsten Partien namhaft:

Die Klingershöhle, eine phantastisch-poetische Grotte mit einem majestätischen Dache, einer ungeheuern Granitplatte. In der Nähe der Maximiliansplatz, der Theaterplatz, der Gesellschaftsplatz, dann die Schweiz mit der Insel Helgoland, einem isolirten Felsblocke, der ein Häuschen trägt und von einigem Wasser umgeben ist. Die Freundschaftsgrotte, von zwei riesigen zum Theil übereinander liegenden Rhomben gebildet. Die Eremitenhöhle, im hohen Grade grotesk und wildromantisch. Durch eine enge und niedrige Oeffnung in der geklüfteten Wand führt ein seltsam malerisch überbauter dunkler Felsenweg auf Stein- und Holzstufen zu herrlich ragenden kolossalen Felsengebilden empor. Hier erhebt sich die Granitstirn mit dem Namen des Königs Ludwig, und in der Nähe sieht man das Schiff, einen schiffsrumpfähnlichen Felsblock, auf kaum zwei Quadratfuß ebenfalls abschüssig gerundeten Raum ruhend, sodaß sein Halt unbegreiflich erscheint. Man meint, der kleinste Stoß müsse ihn in die Tiefe stürzen. Felsenstufen leiten in die alte Burg. Auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_444.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)