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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

unerbittlich streng auf Mannszucht. Bei seiner fast erhabenen Seelenruhe bedurfte es der äußersten Aufregung, um ihn in Handlungen und Worten zur Heftigkeit hinzureißen. Hiervon zwei Beispiele. Die am 3. Juni so heldenmüthig tapfere italienische Legion hatte sich bei einem Ausfalle in der Nacht vom 10. zum 11. Juni durch irgend welchen panischen Schrecken zur allgemeinen Flucht zurück nach der Porta Cavallegieri hinreißen lassen. Um das Kloster dei Formaci sammelten sich, vom Obersten Manara aufgehalten, die Flüchtlinge wieder; mitten im Gedränge erschien der General und tractirte, schäumend vor Wuth über diese Ehrlosigkeit der Legion, die Leute mit seiner büffelledernen Reitpeitsche per „Canaille“. Zwar wollte man nun wieder vorrücken, der General aber befahl umzukehren, „weil man mit so furchtsamen Leuten nichts anfangen könne.“ Einer der Letzten, die zum Thore hineinritten, warf er sich mit Oberst Manara, in seinen Mantel gehüllt, auf die Erde und schlief einige Stunden. Die sonst so tapfere Legion, tief beschämt über ihre Ehrlosigkeit, schickte am Morgen des 12. eine Deputation zu ihm und erbot sich, zur Sühne beim nächsten Kampfe in vorderster Reihe zu kämpfen. Garibaldi empfing sie stolz und würdigte sie keiner Antwort; erst nach dreimaliger Wiederkehr erhielten sie die erbetene Erlaubniß.

Bei seinem gefahrvollen Zuge von Rom über Orvieto und Arezzo nach San Marino machten eines Abends seine um ihn versammelten Officiere die Bemerkung, daß Roselli, durchaus untauglich zum Obercommandanten, Alles verdorben und dadurch Roms Fall herbeigeführt habe, was vielleicht nicht geschehen wäre, wenn man Garibaldi das Obercommando gegeben hätte. In hoher Aufregung erwiderte er: „Man wagte es nicht, das Obercommando in meine Hände zu legen, weil man mehr, als französische Kugeln, Noten fürchtete, in welchen dem Triumvirate vorgeworfen werden konnte, einen Räuberhauptmann, wie sie mich zu nennen geruhen, an die Spitze gestellt zu haben, oder einen Corsaren, wie es ihnen beliebte, als ich die Escadre auf dem La Plata commandirte. Es ist allerdings bequem, einen thatkräftigen und gefährlichen Feind so zu heißen, um der Beachtung aller völkerrechtlichen Gesetze gegen ihn enthoben zu sein. Aber man reise den La Plata auf und nieder, man wird hören, daß ich stets den Krieg regelmäßig führte, daß jede Grausamkeit verpönt, jeder Raub mit dem Tode bestraft wurde. Aehnliche Ehrentitel gaben sie mir in Tirol, obwohl ich piemontesischer General war, und gerne, wenn sie könnten, möchten sie mich auch hier zu einem Abällino stempeln. Die Herren der Regierung und der Constituante wissen übrigens recht gut, daß ich dort wie hier die strengste Mannszucht gehalten habe.“

Er ließ z. B. bei Orvieto einen Soldaten, der einer armen Frau ein Huhn gestohlen hatte und auf der That ertappt worden war, füsiliren und sprach hierbei zur erstaunten Truppe: „So bestrafe ich jeden Dieb! Sind wir Freiheitskämpfer oder Räuber? Sind wir ausgezogen, das Volk zu schützen oder zu drücken?“ – Zuweilen, aber selten, bestrafte er auch durch Belehrung und Verachtung. Bei der Besetzung von Castello Fiorentino auf dem Marsche nach San Marino hatte man einen in Civil gekleideten österreichischen Unteroffizier, welcher eine Depesche der Oesterreicher aus Cortona nach Arezzo überbringen sollte, aufgefangen. Dieser war ein Italiener aus Trient. Garibaldi befahl, ihm die Uniform, die man im Posthause aufgefunden, anzuziehen und ihn so der Colonne vorzustellen. Hier rief er seinen Leuten zu: „Wie traurig ist es, daß die Unterdrücker zur Bekämpfung unseres Volkes Italiener finden! Seht, wie gut dieser sonderbare Hut und die graue Kleidung einem Italiener stehen! Ich schenke ihm das Leben, weil er keine Kugel werth ist.“

Rom war nach heldenmüthigem Widerstande gefallen; das Triumvirat hatte trotz der Vorschläge Garibaldi’s, mit Schätzen, Geschützen und Truppen einen festeren Ort zu wählen und von dort aus die Insurrecticn Neapels zu beginnen, in abgespannter Hoffnungslosigkeit am 1. Juli capitulirt. Nur Garibaldi unterzog sich dieser Capitulation nicht. Er beschloß den Partisanenkrieg, hoffte noch auf Sympathien in Toscana und in den Abruzzen, und als letzte Rettung auf Venedig. Er zog daher seine ihm ergebene Legion aus Trastevere (dem kleineren Theile Roms rechts der Tiber) nach dem größeren Theile links der Tiber hinüber. Schon am 3. Juli Morgens um 7 Uhr hatte das Corps, bestehend aus 2500 Manu Infanterie und 400 Cavallerie, das Gebirge gewonnen und zog in Tivoli ein. Den Zug begleitete auch des Generals Gemahlin. Sie war eine Frau von ungefähr achtundzwanzig Jahren, sehr dunklem Teint und sehr zartem Gliederbau. Auf den ersten Blick erkannte man in ihr die Amazone; als solche war sie auch gekleidet; sie trug ein dunkelgrünes Gewand und einen Calabreserhut mit Straußfeder, und ritt einen kleinen Grauschimmel. Gewöhnlich hatte sie keine Waffe; nur in der Zeit der Gefahr schnallte sie einen leichten Reitersäbel um. An einem der folgenden Abende erzählte der General aus Amerika folgenden Zug von ihr: „In einem Kriege in den Wäldern und Prairien gibt es keine regulären und ständigen Colonnen: oft sind die Führer heute mit 3000, morgen kaum mit 300 Streitern umgeben. So war ich einst nach mehreren Reitergefechten nur noch 800 Mann stark, wurde aber nochmals von einem überlegenen Feinde angegriffen, gesprengt und rettete mich und 400 Mann mit Mühe in die Wälder. Meine Frau hatte auf dem linken Flügel gekämpft und wurde gefangen. In der Nacht aber entwich sie den schlafenden Wächtern, schwang sich auf ein Pferd, stürzte sich in den breiten Strom und gelangte nach acht Tagen voll unsäglicher Mühseligkeiten, Entbehrungen und Gefahren wieder zu mir.“

Als Garibaldi, noch immer nicht ohne alle Hoffnung, aus Rom zog, sagte er zu den Soldaten die bekannten echt spartanischen Worte: „Wer mir folgen will, dem biete ich Mühseligkeiten, Hunger, Durst und alle Gefahren des Krieges.“

In Tivoli befahl er vor Sonnenuntergang Aufstellung und Marsch auf der Straße nach Neapel. Aber am Abende des 4. nach eingebrochener Dunkelheit wurde querfeldein geschwenkt, und um Mitternacht Bivouak bei einer Fontana bezogen. Das Corps stand wieder nahe bei Tivoli in einer Vertiefung verborgen. Der im Partisanenkriege so gewandte General täuschte durch solche Bewegungen während des ganzen abenteuerlichen Zuges nach San Marino so Oesterreicher als Franzosen. Seine Leute fürchteten ihn ebenso, wie sie ihn liebten, und wußten recht gut, daß er sie bei Vergehungen würde füsiliren lassen, ohne die Cigarre wegzulegen. – Ebenso, wie des Generals Sicherheit in der Gefechtsführung, seine Einsicht und sein Scharfblick in der Vertheidigung Roms oft bewundert worden war, so zeigte er auf diesem Zuge eine außerordentliche Gewandtheit in der Entwickelung des Sicherheits- und Kundschafterdienstes; nur vieljährige Uebung in Kriegen und Kämpfen an der Spitze leichter Schaaren hatte ihn hierin zu einem Meister gebildet, wie es vielleicht keinen zweiten gibt.

In Terni vereinigte er sich mit dem dort stehenden Oberst Forbes, so daß trotz verloren gegangener Nachzügler und Marodeurs hier sein Corps noch 3000 Mann, worunter 450 Reiter, stark war. Dennoch verlor er bereits die Hoffnung der Insurgirung der Abruzzen, und zu seinen Hauptfeinden gehörten schon damals die gegen ihn aufwiegelnden Mönche und Priester. So hatten vorzugsweise die Kapuziner im Kloster unfern Chiusi die ganze Gegend gegen ihn aufgewiegelt. Der General beschloß deshalb, ein Beispiel hiergegen zu statuiren, und ließ die vierundzwanzig Mönche durch ein Detachement Soldaten nach dem Lager führen. Keuchend und in Schweiß gebadet, kamen die korpulenten Herren an und hörten, ohne eine Miene zu verziehen, die strengen Worte des Generals an. Dieser sagte unter Anderem zu ihnen: „Ihr habt die Flamme des Bürgerkrieges angefacht; Ihr nennt Euch ministri di Dio und seid ministri di diavolo“ etc. Schließlich befahl er, daß sie so lange als Geiseln dem Zuge folgen sollten, bis er einige durch sie verlorene Gefangene mit Waffen und Pferden wiederhabe. Wirklich folgten sie in ernster Procession fünf Tage dem Zuge.

Obgleich man glauben könnte, daß auf diesem Zuge und der eigenthümlich abenteuerlichen Lage eine gewisse Vertraulichkeit zwischen den Oberofficieren und dem Generale entstanden sein könnte, so war nicht nur dies nicht der Fall, sondern selbst seine treuesten Gefährten, die schon in Amerika unter ihm gedient hatten, näherten sich ihm stets mit Ehrfurcht, und Jeder, der ein freundliches oder gnädiges Wort von ihm erhielt, schätzte sich glücklich; – ein Beweis, welche Herrschaft dieser seltene Mann über die Gemüther auszuüben versteht.

Die Lage des kleinen Corps, welches bei Arezzo nur noch etwa 2500 Mann stark war, wurde immer bedrängter. Zwar folgten die Franzosen von Orvieto aus nicht weiter, aber die Oesterreicher drängten von Perugia aus, und in Arezzo standen ein Paar österreichische Jägercompagnien. Mehrere Oberofficiere riethen nun dem General, die Oesterreicher angreifen und die Legionäre

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_441.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)