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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

um dort seinen Raub zu verzehren. Sonst zieht noch die langbeschwingte, silberglänzende, gellend schreiende Möve über das Wasser hin, bald sich hebend, bald dicht über die Fläche hinstreichend, oder auch wohl einen Moment darauf ruhend, ein Fischlein dem Wasser entführend. Noch andere Fischräuber gibt es, von denen die schlauen Reiher wohl die unersättlichsten und verderblichsten sind. Einer von ihnen kommt jetzt auf Schußnähe zu unserer Schießhütte, und nicht ohne Begrüßung soll er vorüberkommen. Auf den Schuß stieben die Federn von ihm umher; dennoch rafft er sich beim Herabstürzen in der Luft noch einmal zusammen, wobei er, um sich zu erleichtern, die bereits genossenen Fische von sich gibt, an deren Zahl man ermessen kann, welche bedeutende Summe ein solcher Räuber in nur einem Tage zu sich nehmen mag. Es gelingt ihm zwar, durch dieses Manöver noch ein Stück fortzukommen, aber der Schuß war tödtlich; bald vergeht ihm die Kraft, der Tod packt ihn und stürzt ihn in das Schilf. Durch den Schuß rege geworden, sind auch Enten aufgegangen, und nachdem sie mehrmals einen Theil des See’s umschwärmt haben, kommen sie nahe genug, um uns einen Entvogel herunter schießen zu lassen. Diesen apportirt uns auf unsern Befehl sofort der Hund, damit uns die Beute nicht entgehe. Noch ehe er den Gefundenen gebracht hat, kommen abermals ein paar Enten schwirrend durch die Luft gepfiffen, von denen wieder eine unsere Beute wird. Auf solche Art erringen wir bis Vormittag noch mehrere Stück verschiedener Arten. Dann gehen wir auf dem Heimwege noch die Ränder der in die Brüche einschneidenden Buchten ab, wobei auch noch die eine oder die andere Ente sterben muß. Mit ängstlicher Gebehrde umschwärmen uns die Kiebitze, unaufhörlich ihren Namen rufend, und in schnellem, hakenschlagenden Fluge nach dem Hunde stechend. Doch unbelästigt lassen wir die reizend befiederten Geschöpfe dahinziehen, obgleich sie ein höchst schmackhaftes Wildpret geben, das bei uns jedoch nicht gegessen zu werden pflegt. Noch lange werden wir von ihnen verfolgt, bis wir im Walde aus ihrem Bereich kommen.

Nicht mindern Reiz bietet es, Abends auf den Enteneinfall zu treten; namentlich haben wir einen schönen Genuß, wenn wir uns nach dem in’s Geröhricht gebauten Tritt hinüberschiffen. Da stehen wir dem glühenden Abendhimmel oder dem über dem dunkeln Waldsaume aufsteigenden Mond gegenüber, hören den Flügelschlag und schnatternden und pfeifenden Laut kommender Enten, die auf die Blänke einfallen, daß die dadurch bewegte Fluth golden oder silbern erglänzt, je nachdem die Himmelsfärbung sich abspiegelt oder der Mond sich darin badet. Manch dröhnender Schuß rollt dann über die stille Fluth dahin und entsendet Tod unter die geflügelten Schaaren, von denen die Uebriggebliebenen kreisend die Luft durchschwirren. Die vollends einbrechende Nacht macht es endlich unmöglich, weitere Erfolge zu erzielen, und ihr Schweigen gibt uns das Geleite bis nach Hause. Nicht minder interessant ist im Spätherbst der Abendanstand in der Schießhütte auf wilde Gänse. Diese erscheinen mit einer Pünktlichkeit, daß ein Chronometer die Zeit nicht genauer bestimmen könnte, als solche lebendige Zeitmesser.

Schon ist die Sonne unter, und das Dämmerlicht liegt bereits über den stillen Gewässern. Zitternd schaukeln sich Mondsichel und Sterne in der nebelbildenden Fluth. Von hier und dort kommen die Enten, die Blänke umkreisend, ehe sie einfallen, aber obwohl manche mit singendem Flügelschlage über uns wegzieht, schießen wir doch noch nicht, denn unsere Uhr sagt uns, daß in wenigen Minuten die wilden Gänse einfallen werden. Und wir haben uns nicht getäuscht; schon hören wir sie von Weitem schnatternd angezogen kommen, und jetzt erblicken wir sie auch. Wohl könnten wir ihnen jetzt, der Nähe nach, entgegenschießen, aber obwohl wir starken Schrot geladen haben, lassen wir sie erst vorüber, um hinterher zu feuern, da es ohne diese Vorsicht noch sehr fraglich bliebe, ob wir eine der Langgehalsten herunterbrächten, man müßte sie denn so flügeln, daß der Flügelknochen zerschmettert würde.

Während auf die beiden entladenen Rohre eine unsere Beute zu werden verspricht, da sie aus der Reihe herabstürzt, steigt der Zug, der sich bereits zum Einfall senkte, wieder empor, in eiliger Flucht über den düstern Wald wegziehend, um weit, weit erst wieder auf einem andern Theil des See’s oder einem in der Umgegend liegenden kleineren Gewässer einzufallen. Es ist nun auch bereits so dunkel geworden, daß an Schießen nicht mehr gedacht werden kann; wir kehren deshalb heim. Die heruntergeschossene, ziemlich weit drüben niedergefallene Gans lassen wir, da wir nicht einmal den Hund bei uns haben, liegen, um sie am andern Morgen frühzeitig aufzusuchen, wenn sie die Wellen, vom Morgenwind bewegt, mehr an’s Ufer getrieben haben werden. Das Wasser rauschend schlagend, werden ein paar Sauen, die im Schilfe sich Nahrung suchen, durch unser Gehen flüchtig, und grunzend und schnaubend suchen sie sich jetzt von der eigentlichen Gefahr zu unterrichten, um dann durch Bruch und Moor eilend den schützenden Wald zu erreichen. Auch ein mächtig geweihter Hirsch, der sich gegen den Wasserspiegel in dunkeln Contouren abzeichnet, wird, durch die Sauen rege gemacht, flüchtig und trollt pantschend durch Moos und hoch aufspritzendes Wasser, das gegen den dunkeln Wald wie Phosphorfunken leuchtet. Dann unterbricht außer dem hin und wieder herabtönenden Schrei ziehender Vögel die Grabesstille der nächtigen Natur nichts, und nur das Auge genießt den Anblick der sich phantastisch bildenden Nebel, die am Holze hinziehen wie Geistergestalten die dunkeln alten Bäume umarmend und, indem sie den einen mit ihren weißen Gewändern verdecken, während ein anderer von den dunkeln Riesen wieder sichtbar wird, den Eindruck geben, als tanzten die lustigen Gebilde mit den düstern handfesteren Genossen einen gespenstigen Reigen.

Auch früh, als wir wiederkehren, die geschossene Gans mit dem Hunde aufzusuchen, lagern die Nebel noch über dem Gewässer, und zwar so dicht, daß man nichts von Blänke und Schilf sieht; es ist wie ein anschwellender See, der die matt durchschimmernde nächste Umgebung, den Wald, zu verschlingen droht. Nur wenige Schritte vor uns können wir die Gegenstände wahrnehmen, und es ist gut, daß wir bei Zeiten kommen, denn schon zeigt sich Reinecke, der Erzschleicher und Freibeuter, der sein Strandrecht in Anspruch zu nehmen gedenkt, um Lebendiges und Todes bei so günstiger Gelegenheit, als der Nebel bietet, zu erhaschen. Wie wird er mit hochgehaltener Ruthe flüchtig, als wir ihm bei gutem Winde so auf den Pelz gekommen sind! Leider verschwindet er im Nebel zu schnell, als daß wir das Gewehr vom Halse nehmen und dem rothhaarigen Gauch Funken auf den Pelz reißen könnten. Nach langem Suchen bringt Diane vom Ufer die Gans, die sicherlich für den spionirenden Buschklepper eine willkommene Prise geworden wäre. Indem wir zufrieden sind, unser rechtmäßiges Eigenthum dem Schelm entrissen zu haben, lassen uns die bleiernen, ruhig lagernden Nebel nicht daran denken, mehr dazu zu erjagen. Erst spät kämpft sie die emporsteigende Sonne nieder, nachdem sie lange wie die Mondscheibe matt durch den Gegner geschienen. Aber als uns erst einmal ein Stückchen blauer Himmel der neustrahlenden Sonne zur Seite gestanden, werden die wie in Beschämung zerfließenden Dunstgebilde bald bezwungen. Zum Jagen ist’s freilich zu spät geworden.

Noch manchen Tag und Abend streifen wir hinaus, obgleich es nun in der Thierwelt stiller wird, da insbesondere die Zugvögel meist schon ihre Stätten verlassen haben. Manches Mal vernahmen wir sie des Nachts, wenn sie die Lüfte durcheilten, um ein wärmeres Klima zu erreichen, und darum könnte man sie beneiden, denn die Witterung tritt nun oft sehr unwirsch auf. Rauhe Stürme durchheulen den Wald und jagen über den See dahin, daß das ihn umstehende fahle Rohr und Schilf zerzaust wird und schwirrend sich niederbeugt. Wild wird der dunkel spiegelnde See bewegt, daß das Klatschen der Wellen gegen die Ufer sich mit dem Geheul der stürmenden Luft mischt, bis die beruhigte, aber dafür eisig gewordene Luft das bewegte nasse Element erstarren macht und die letzten Reste vom Wassergeflügel vertreibt, die strichweise südwärts ziehen oder sich auf nicht zufrierende Flüsse oder warme Stellen anderer Gewässer begeben.

Starr ist wieder „das Auge des Waldes“ geworden, bis einfarbig grau umzogener Himmel silberne Sternlein geräuschlos zur Erde schüttet und damit Flur, Wald und See zudeckt. Nicht mehr schauen sich die azurblaue Himmelsdecke und die daran hinschwimmenden rosigen Wolken oder der wie ein Feuermeer flimmernde Horizont, oder der nächtliche Mond mit den buntglitzernden Sternlein im mächtigen Spiegel – die eisige Decke liegt scheidend dazwischen, bis endlich wieder der allbelebende, warme, Knospen und Keime öffnende Frühlingssonnenschein so eindringlich herniederblickt und das träumende Waldesauge aus tiefem Schlafe weckt.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_439.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)