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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Gelegenheit, die alten Mauser[1], die, ehe sie aus dem Schilfe auf die Blänke schwimmen, sich ängstlich zu drücken suchen, so wie zwar schon starke, aber doch noch nicht flugbare Junge zu erlegen, während die im Kahne befindlichen Jäger die noch flugbaren alten und die auf dem Wasserspiegel hinflatternden oder schon aufsteigenden jungen Enten sich zum Ziele nehmen. Menschen und Hunde haben vollauf zu thun; denn schwirrend und plätschernd umgibt sie das Wassergeflügel, unter dem sich manches seltene Exemplar befindet. Der Mühe, die es kostet, sich in Schilf und Schlamm, Wurzeln und Moordecken durchzuwinden und vorwärts zu schieben, wird nicht geachtet. Förmliche Filzdecken von verschlungenem Wurzelwerk müssen oft durchbrochen werden, von denen manche so dicht sind, daß sie den Menschen tragen können, und man auf ihnen wie auf einer schwimmenden Insel steht. Dann bricht man wohl plötzlich an einer Stelle durch, und es ist wahrlich keine Kleinigkeit, bis an die Arme in solch einem Loche zu stecken, dabei das Gewehr emporzuhalten, vorkommenden Falls auch schießen zu müssen, darauf wieder zu laden etc. Wohl dem, der in solchen Fällen mit einem modernen, so überaus praktischen Lefochégewehr bewaffnet ist, das, von hinten mit fertigen Patronen zu laden, an Bequemlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt! Dazu schießt so ein Gewehr wie alle Teufel, pflegt einer meiner alten Jagdfreunde zu sagen. Aber um auf die vertracten Filzdecken zurückzukommen: durch ist man nur zu bald, aber das Herauskommen ist eine wahre Marter. Da müht man sich mit dem Körper ab, das Hinderniß zu besiegen, und schiebt das Satansgewebe wie einen mächtigen Laufkorb nur vor sich her. Herauszusteigen ist aber eine wahre Kunst, da das Loch eben nur so groß, als der Umfang unsers Körpers ist, und ringsum gibt es keinen Halt zum Widerstemmen. Während man nun ein Bein bis zum Kinn emporziehen muß, um mit demselben oben Fuß fassen zu können, wird dem andern im Wasser die Anstrengung zu groß, sodass sich des verzweifelnden Ständers[2] ein Wadenkrampf bemächtigt, der Einem fast glauben lassen möchte, es bissen sich alle untergetauchten Enten[3] auf einmal hinein. Dabei bleibt man zurück, Enten fliegen einem über den Kopf hin, nach denen unvorsichtige Schützen, im Glauben, Keinen hinter sich zu haben, schießen, daß die Schrote um Einen her im Schilfe rasseln. Endlich gelingt es, sich doch herauszuarbeiten, und glücklich aufathmend schickt man sich an, seinen vorausgekommenen Cameraden nachzueilen. Hierbei merkt man nun aber erst, daß das tückische Schicksal sich unseres einen Stiefels bemächtigt hat, der, im Schlamme versenkt, wie der Niebelungenhord für immer verloren bleibt. Der Verlust des alten Lederschlauchs würde nun eben nicht zu betrauern sein, den möchten sich die Schlammkobolde erkiesen und sich darin einnisten; aber eine andere Plage entsteht uns aus dem Unfall. Beim nächsten Schritt schon möchten wir lieber ein angeschossener Mauser sein, als noch einmal mit nacktem Fuße auf eine Stachelnuß treten, die wir erst mit der Hand herausziehen müssen, um sie zu entfernen. Nicht umsonst fertigt die heitere Schuljugend aus solchen vermaledeiten Dingern kleine Teufelchen; denn gibt es irgend eine Satansfrucht, so ist es eine solche verzwickte, schwarze, stachlige Wassernuß für die Entenjäger. Späteres Auftreten auf ein spitziges Steinchen, auf eine scharfe Muschel oder sonst so etwas achtet man kaum mehr; es wirkt vielmehr im Gegensatz zu dem früher gehabten Schmerz wie eine Erholung. Zu allem Ungemach kann es nun noch passiren, daß man das Gewehr verladet, entweder, indem man statt Pulver Schrot zu unterst nimmt, oder, und das bleibt immerhin noch der glücklichere Fall, doppeltes Pulver gibt, wovon man beim Schuß einen Schlag in’s Gesicht bekommt, daß man meint, die Funken, die aus den Augen springen, müßten das Schilf anzünden. Dennoch läßt in der Regel ein so an beiden Enden verletzter Mensch in seiner Leidenschaft nicht nach, sondern jagt fort.

So gibt es Freud und Leid; doch letzteres wird bald vergessen, ja, in der Erinnerung gibt es erst rechten Frohmuth. Jeder hat seine eigenen Erlebnisse und faßt sie besonders auf, was beim gegenseitigen Erzählen Spaß genug gibt.

Das heitere Treiben nimmt indessen seinen ungestörten Fortgang, wobei sich die Beute immer mehr anhäuft, sodaß endlich beschlossen wird, Menschen und Thieren Rast zu gönnen und die Jagd zu beendigen. Die brennenden Sonnenstrahlen des bereits herangekommenen Nachmittags trocknen bald die nassen Kleidungsstücke der Jäger, die sich umgezogen haben und jetzt im kühlen Waldesschatten sich auf die weiche Moosdecke hinstrecken, auf welcher die von ihnen mitgebrachten Mundvorräthe zum frohen Genuß einladen. Auch die Treiber und Kahnführer thun sich nun etwas zu Gute, nachdem sie die Beute des Tages herzugetragen haben, wobei es manches Interessante zu sehen gibt. Denn obwohl die Stockente das größte Contingent geliefert hat, so gibt es doch auch allerhand andere Arten von Enten, wie die zierliche, mit sammettiefglänzendem, rothbraunem Kopf geschmückte Krickente, die in raschem Fluge nicht unmelodisch flötende Pfeifente, wie die zwar schwer fliegende, aber desto behender schwimmende und tauchende, schön befiederte Tafelente und andere. Auch sonstiges Strand- und Wassergeflügel, wie die schöne, des Nachts mit eigenthümlichem, lautem, weithinschallendem Tone sich kündende Rohrdommel, Wasserhühner und Tauchergattungen sind vertreten.

Bei der Menge des Gevögels, das bei einer solchen Jagd vorkommt, gewinnt der Beobachter natürlich kaum Zeit, die Eigenthümlichkeiten der mannichfachen Geschöpfe kennen zu lernen, höchstens die Weise, wie sich die verschiedenen Arten benehmen, um sich zu drücken oder sonst der Verfolgung zu entgehen. So bemüht sich z. B. die Rohrdommel, der der Jäger oder der Hund auf den Leib rückt, durch emporgestreckten Hals, Kopf und Schnabel, mit welchem sie sich an ein Schilfrohr anschmiegt, sich dem Auge des Verfolgers zu entziehen, was recht wohl bei einem nicht ganz scharf Zuschauenden gelingen kann, da Farbe und kerzengerade ruhige Stellung ihr das Ansehen eines Pfahles oder Stumpfes geben. Viel Interesse bieten die unermüdlich arbeitenden Hunde und das häufige Schießen. Auch das gesellige Beisammensein, die heitere Heimkehr sind von besonderem Reiz, wie denn solche Jagden für jeden Jäger zu den angenehmsten gehören. Dennoch gibt es, wenn man von geselligen Annehmlichkeiten und massenhaft zu erringender Beute absieht, nichts Schöneres, als früh die Schießhütte auf Wassergeflügel zu besuchen oder des Abends auf den Enteneinfall zu gehen. Hierbei tritt das bloße Erlegen freilich in den Hintergrund, desto mehr aber ist Spielraum für die Beobachtung vergönnt. Um uns ein derartiges Vergnügen zu vergegenwärtigen, wählen wir einen Herbsttag, der schon ohnehin genug Genuß in Gottes freier Natur bietet. Noch ehe es Tag wird, begeben wir uns mit dem treuen Hunde durch den mächtigen, noch im tiefen Dunkel ruhenden Wald nach dem Saume des See’s, wo die aus Rohr und Schilf kunstlos aufgeführte Schießhütte sich befindet. Wie ein großer Schilfhaufen ragt sie empor, nach verschiedenen Seiten mit Schießlöchern versehen. Noch ist die Dunkelheit zu groß, um auf der fernen Blänke vom Waldrande aus durch das Gesicht etwas wahrnehmen zu können; man hört nur dann und wann das Quaken einer Ente. Jetzt wird es heller, aber noch vollkommen ruhig liegt der See vor uns. Nebel lagern darüber und wogen und drängen sich nach dem Walde zu. Doch wie durch Zauber sind sie plötzlich, bis auf einzelne Streifen, wie huschende Gespenster im Walde verschwunden, und rein spiegelt sich der sonnendurchhauchte, rosige Horizont in der kühlen, von den Spiegelbildern des waldbestandenen Ufers umsäumten Fluth. Massen von Enten sieht man nun sich drüben in klarer Blänke tummeln und einzelne dahin segelnde Taucher glitzernde Furchen in das nasse Element ziehen; doch in der Nähe, auf Schußweite, will sich noch nichts zeigen.

Aber nicht blos das Wasser ist belebt, auch die Luft wird nun bereits von der glücklichen befiederten Welt durchrauscht. Da zieht mit stolzen Schwingen, wie im Aether ruhig schwimmend, der Fischaar dahin, erst weite Kreise ziehend und sie dann verengernd, bis er mit scharfem Auge ein Opfer erspäht und wie ein Meteor herabstürzt, die Beute zu ergreifen. Diesmal ohne Erfolg, denn dicht vor dem Wasserspiegel breitet er die starken Flügel wie einen Fallschirm aus und zieht über die Fläche weiter. Bald jedoch hebt er sich wieder empor, das Kreisen von Neuem zu beginnen, bis er abermals niederschießt und zwar glücklicher: seine Fänge haben den Fluthen einen ansehnlichen Fisch entrissen. Mit rauschendem Flügelschlag steuert er dem Walde zu, auf einer schräg über das Wasser hängenden halb entwurzelten dürren Fichte aufhakend,

  1. Mauser: in der Mauser (Entfiederung) liegende Enten, welche im Juli beginnt.
  2. Ständer heißt beim Federwild das Bein; hier scherzweise auf den Menschen angewendet.
  3. Angeschossene und untergetauchte Enten sollen sich unter Wasser an irgend welchem Gegenstand anbeißen, um nicht wieder empor zu kommen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_438.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)