Seite:Die Gartenlaube (1860) 431.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und Sprechenden mögen ebenfalls jenem Gedenkbuche einverleibt werden.

Am Abend des 16. Juni waren der erwählte Festpräsident, Georgii aus Eßlingen, und Kallenberg aus Stuttgart, der den ersten Anstoß zu dem Feste gegeben hatte, bereits in der letzten Sitzung des Coburger Festcomité’s anwesend und nahmen die Berichte über die Thätigkeit der 11 Ausschüsse des Comité’s dankend und anerkennend entgegen. Wohl hatte dasselbe solche Anerkennung durch ebenso umsichtige als rastlose Thätigkeit verdient, und Fürst, Behörden und Bürgerschaft hatten in Unterstützung und Forderung derselben gleichsam gewetteifert. So fanden denn die fremden Festleiter alles Nothwendige gründlich vorbereitet, und es bedurfte nur noch einer, aber auch einer sehr interessanten, ja bedeutungsvollen Verhandlung über die Ordnung des Festzuges. Zwei Vorschläge wurden debattirt: 1) Ordnung nach Städten, als Symbol allgemeiner Einheit, in Verwischung aller Landesfarben, 2) Ordnung nach der alten Stammes-Eintheilung, als Symbol einer Darstellung der natürlichen Grenzen im Vaterlande. Diese wurde mit 13 Stimmen gegen 11 angenommen. Den Schluß dieser Sitzung machte eine im Auftrage des Herzogs gegebene Mittheilung, daß derselbe, dem Rufe seiner Pflicht für das Vaterland folgend, nach Baden-Baden abgereist sei und schwerlich schon am Montag Morgen zum Callenberg zurückkehren könne; daß der Herzog aber gewiß noch zeitig genug anwesend sein werde, um die Festleiter noch begrüßen und dem Schlusse des Festes beiwohnen zu können. Es wurde daher die auf dem bekannt gewordenen Programme fixirte Turnfahrt zum Callenberg, die eine Ovation für den gastfreien Landesherrn sein sollte, von Montag Morgen auf Dienstag Morgen verlegt. Es sei hier auch noch bemerkt, daß die vier auswärtigen Leiter des Festes: Georgii, Kallenberg, Goetz aus Leipzig und Angerstein aus Berlin, im herzoglichen Residenzschlosse, als Gäste des Herzogs, Wohnung empfangen hatten.

Der Morgen des 16. Juni verkündete den ersten schönen Tag nach langer, besorgnißvoller Regenzeit, und er hielt Wort. Immer klarer und sonniger entfaltete sich der erste Tag, der uns die Gäste bringen sollte. Nachmittags drei Uhr kamen in langem, langem Eisenbahnzuge die Turner aus Schwaben, Baden und Baiern; fast gleichzeitig mit ihnen die Thüringer und Nordfranken, vom „Wald“, aus dem Lausche-, Lichte- und Saalthal; festlich empfangen vom Coburger Festcomité und Turnvereine, mit Fahne und Musik. Nun gab es den ersten Zug, hin durch die stattliche Ehrenpforte am Eingange der Stadt zur Festhalle der Reitbahn, reich geschmückt mit Wappen und Fahnen, turnerischen Emblemen, Guirlanden, Kränzen, Ampeln und Maien. Wahrlich, ein schöner, alle Herzen und Sinne anregender Empfang!

Nachdem die Angekommenen sich durch den berühmten Coburger „Stoff“, dem zu diesem Feste noch eine ganz besondere Anziehungskraft verliehen war, gestärkt hatten, wurden sie riegenweise in die Theaterhalle zur Empfangnahme der Karten und Einquartierungsbillets, dann durch die Zöglinge der Turnerschaft und deren jüngste Mitglieder in die Quartiere geführt. – Abends 7 Uhr kamen neue Turnerzüge aus Mittel- und Norddeutschland. Um 8 Uhr ging es in freien Vereinbarungen hinauf zur „Veste“, einem der schönsten, anmutvollsten Punkte Deutschlands, mit weitem Blick hinein nach Franken, Hessen und Thüringen. An ihren Mauern brachen sich einst die Kräfte des allbezwingenden Wallenstein; in ihren Mauern saß der Mann, an dessen Gewalt sich Rom brach: Luther. – Jetzt ist der merkwürdige Bau durch den herzoglichen Hofmaler und Baurath Rothbart artistisch und baulich vortrefflich und geschmackvoll restaurirt, und an diesem Festabende war der innere, architektonisch höchst malerisch sich gestaltende Hofraum mit farbigen Lampenflammen, Transparenten, Fahnen und Maien köstlich ausgeschmückt, und bot – belebt durch viel hundert Jünglinge deutscher Gaue - ein Bild seltenster und schönster Art dar. Vaterländische Gesänge schallten hinunter in das anmuthvolle Thal, dessen Höhen besäet waren von zu- und abwandelndem Publicum. Es ertönte der erste Festgruß voll deutscher Kraft und Gesinnung, und hob die schon gehobene Stimmung noch höher und freier. Bis tief hinein in die warme, klare Nacht wogte und schwellte diese Feier des Vorabends.

Am 17. früh 5 Uhr elektrisirte die Turner-Reveille Stadt und Umgebung, und wirbelte Hunderten und Hunderten zu, daß der herrliche Festtag angebrochen sei. Es war ein ganz eigenthümliches Gefühl, das durch diese Reveille in den Herzen fast Aller erweckt wurde. Um 7 Uhr die erste Festversammlung auf dem großen Markt oder Rathhausplatze. Der vortrefflich geschulte Coburger Sängerkranz, im Verein mit dem „Singsang“ des Coburger Turnvereins, an der Spitze die Triumvirn der herzoglichen Oper, sang durch die tiefe Stille laut und andachtsvoll das wohlgewählte Lied: „Dies ist der Tag des Herrn“. Eine feierliche Stimmung ergriff die lautlose Menge. Auch dies war ein echtes Sonntagsgebet, war ein Gottesdienst nationaler Andacht! – Nun brachte der Bürgermeister der Stadt, im Namen dieser, der Versammlung ein herzliches, echt vaterländisches Willkommen dar, was der Festpräsident im Namen der Turner dankend entgegennahm. – Ein Gruß für den Veteranen deutscher Turnkunst, Maßmann, und dessen Dank, dann noch ein Lied beschlossen diese Frühstunden des Festes. – Um 9 Uhr ging es zum großen Ernst der turnerischen Berathung in der Festballe. Die Anzahl der Turner hatte sich noch spät Abends vorher und Morgens um einige Hunderte vermehrr, und wahrlich, es war eine stattliche Versammlung, die sich zu den beginnenden Verhandlungen einstellte. Dieselben wurden eröffnet mit Absendung eines ehrfurchtsvollen Dank- und Festgrußes an Se. Hoheit den Herzog per Telegramm nach Baden-Baden. Nun erfolgte einstimmige Annahme der Wahl Georgii’s als Festpräsident, der sich dann Goetz aus Leipzig zum Stellvertreter und Angerstein aus Berlin zum Schriftführer erwählte, seinen Festgruß der Versammlung und der Stadt Coburg darbrachte, Telegramm-Grüße aus Graudenz, Insterburg und Thorn mittheilte und schließlich die Tagesordnung der zu berathenden Vorlagen feststellte.

Der Geist der nun folgenden vierstündigen Verhandlungen war zwar – das ist nicht zu leugnen – kein so geschlossener, Grenzen und Antipathien vergessender und absorbirender, als man nach dem Wehen und Wesen der Zeit wünschen sollte, als manche in national-idealer Erwartung und Anforderung beanspruchten; es gaben sich noch scharfe Risse innerer und äußerer Natur, sowohl in Stammes- als in Gesinnungs-Verschiedenheiten, kund; es trat bei Manchen eine beängstigende Aengstlichkeit für ein „Zuweit“ oder „Zufrüh“ und bei allen Fragen, wo es sich um Centralisation turnerischer Bestrebungen, Kräfte und Arbeiten handelte, ein energisches Gegenwirken namentlich preußischer und auch wohl sächsischer Turnervorstände hervor. Aber im Allgemeinen – also in der Hauptsache – kann man als historische Thatsache feststellen: der Geist jener Berathungen war ein echt deutscher und freisinniger, ebenso gesund und resolut, als ideal und hoffnungsstark, und war man auch nicht einig über alle Mittel, so doch im Ganzen über den Zweck: über die körperliche und geistige, freiheitliche und einigende Aus- und Heranbildung einer großen deutschen Jugendkraft zum Heile des Einen großen Vaterlandes! – Das ist als ein unschätzbarer Gewinn in den Annalen unserer Gegenwart einzutragen. – Gehen wir nun über zu den einzelnen Vorlagen der Geschäftsordnung.

1. Antrag: Einführung des Turnens in allen, namentlich auch den Volksschulen, als wesentlicher Theil des Unterrichts und der Erziehung, wurde ohne Debatte einstimmig angenommen. – Ueber das Wie solcher Einführung nach einiger Debatte folgender Beschluß: Eine von zu wählender Commission abzufassende Denkschrift, die jeder Verein seiner Regierung wie seiner Ständekammer übergibt und auch der „sechsten Großmacht“, dem Volksbewußtsein, an’s Herz legt. Sie soll zwar frei und selbstständig für sich sein, doch in den Hauptpunkten Rücksicht nehmen auf die bekannte Denkschrift des Berliner Turnvereins.

2. Förderung des Turnens auf der bisherigen Grundlage der Turnvereine: Soll – laut Beschlußfassung nach langer Debatte – geschehen: a. durch einen öffentlichen Aufruf zur Gründung neuer Turnvereine; abzufassen von der Commission für die Denkschrift; b. durch persönliches Wirken aller Vereins-Mitglieder; c. durch Feststellung eines kurzen allgemeinen Leitfadens der Turnei für sämmtliche deutsche Turnvereine, auszuarbeiten von der Commission.

3. Gründung eines allgemeinen deutschen Turnerbundes. Namentlich bei diesem höchst wichtigen Antrag kamen diejenigen Elemente zum Vorschein, die vorher leider angedeutet werden mußten. Sie bewogen denn auch wohl den Antragsteller (Kallenberg), seinen Antrag zurückzunehmen, „weil das Volk noch zu eingeschüchtert sei“. Ausdrücklich als thatsächliche Berichtigung zu dem, was über diesen Antrag factisch falsch berichtet wurde, sei noch einmal bemerkt: Ueber den Antrag wurde nicht abgestimmt: er darf also auch nicht als „abgelehnt“ bezeichnet werden. Im moralischen Sinne freilich geschah dies eclatant, thatsächlich aber nicht, weil der Antragsteller ihn zurückzog, ehe die eigentliche Abstimmung erfolgte.

4. Regelmäßige Wiederkehr des großen deutschen Turnfestes; ob alle zwei oder drei Jahre; ob zunächst im Herbst 1861 auf der Hasenhaide bei Berlin, zur Feier der fünfzigjährigen Gründung dieses Turnplatzes durch Vater Jahn, oder im Jahre 1863, zur Jubiläumsfeier der Schlacht bei Leipzig. Es wurde kein Beschluß gefaßt, sondern das Weitere den kommenden Ereignissen, dem sich herausstellenden Bedürfniß und den etwaigen speciellen Anregungen überlassen.

5. Eine gemeinsam Farbe, und zwar das Schwarzrothgold.

6. Ein gemeinsames Bundeszeichen.

7. Unterstützung hülfsbedürftiger Turner.

8. Aufnahme eines Turners in allen Vereinen ohne Eintrittsgeld und ohne Abstimmung.

9. Vermeidung von auffallendem Gebahren, absondernden Zeichen, Trachten und Formen. – Ueber diese fünf Anträge wurde kein bestimmter Beschluß gefaßt; jedem Vereine bleibe es überlassen, danach zu thun, was er für gut halte und was er dürfe. Auch hier als thatsächliche Berichtigung, das schwarzrothgold wurde nicht „abgelehnt“, wie eine Zeitung berichtet hat, sondern, wie angegeben, dem Wollen und Dürfen jedes Vereines überlassen.

10. Zuziehung und Ausbildung der Feuerwehren. Es wurde bestimmt: Turnverein und Feuerwehr sollen überall sich eng verbinden. Wo Turnvereine sind ohne Feuerwehr, sollen sie solche aus ihrer Mitte gründen, und umgekehrt.

11. Der Antrag zum Aufruf für einen allgemeinen deutschen Schützenverein wird vom Antragsteller zurückgenommen; dagegen wird das Ueben der deutschen Turnjugend in Führung der Büchsen als nothwendig anerkannt.

12. Als ein Mittel zur geistigen Anregung und Ausbildung in den Turnvereinen wird die in Leipzig bei Keil erscheinende deutsche Turnzeitung durch den Festpräsidenten empfohlen.

Soweit gingen die Vorlagen der Anträge und wurden hierauf noch diverse Mittheilungen gemacht. Nachdem nun noch zur mehrerwähnten Commission das erste und engere Festcomité erwählt worden, schloß der Festpräsident mit dankendem Gruß diese wichtige, bedeutungsvolle Sitzung des ersten Vereins deutscher Turnvereine. – Im Laufe der Unterhandlungen wurden noch Telegramm-Grüße von nahen und fernen Turnvereinen verkündet, die jedesmal einen hellen Freudenschrei durch den Ernst der Arbeit in die Gemüther warfen und immer als neues Zeichen des großen einheitlichen Geistes, der doch über Allen schwebte, begrüßt wurden. Im Laufe des Morgens waren auch noch neue Züge von Turnern einmarschirt, und so sah man um 2 Uhr auf dem schönen Schloßplatz gegen 1200 Turner, aus circa 125 Städten gesendet, sich um ihre Fahnen versammeln. Um 3 Uhr setzte sich der nach Stämmen geordnete Festzug in Bewegung. Voran die turnfähige Schuljugend Coburgs; ihr schlossen sich, charakteristisch hervortretend, circa siebzig Schüler des Knabeninstitutes von Stoy in Jena an, mit Fahnen, Trommeln und Trompeten diesen schönen Anfang belebend und Zeugniß gebend von der gesunden, kräftigen deutschen Richtung, die jenes Institut verfolgt. – Das alte Reichsbanner der Schwaben, die schwarzrothgoldne Fahne der Staufenkaiser, wehte, wie damals, auch jetzt voran. In tragischer Ironie des Schicksals folgte ihr nach das umflorte Banner des unglücklichen Schleswig-Holstein.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_431.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)