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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Wasser gekocht, ohne Fett, befriedigt werden. Rauchen ist ihm wie Gift verboten. Seine tägliche Beschäftigung besteht in Kunst- und Raschlaufen und Box-Uebungen gegen einen Sack und mit dem Trainer. Hat er durch eine monatelange Schule der Art viel Muskel und Elasticität bekommen, so wird er endlich für reif erklärt, zu „schälen“, d. h. die Kleider abzuziehen, zu preisboxen. Endlich kommt also der Tag, wo er im „Preis-Ringe“, d. h. in einem abgesteckten Viereck von vierundzwanzig Fuß Weite, sich für so und so viel Pfunde zerdreschen und zerstampfen lassen muß, während er dem Gegner Augen auszuschlagen (Hauptziel), Nasen zu zertrümmern und „Rothwein“ abzuzapfen sucht. Unterliegt er, bekommt er gar nichts, als Sieger erhält er nicht selten blos einige Pfunde, da die Hauptgewinne seinem „Trainer“ und „Backer“ zufallen. Diese Preis-Kämpfe sind in der Regel große Affairen mit großen Extra-Eisenbahnzügen, um das ganze wettbetheiligte Publicum zu befördern.

Jeder Boxer tritt begleitet von zwei Freunden in den Ring, dem „Schwammer“ und dem „Flaschenhalter“. Ersterer hat den Schwamm zum Blut- und Wundenwischen, Letzterer Wasser dazu und zum Trinken. Eine fünfte Person ist der Unparteiische, der darüber wacht, daß die Box-Gesetze eingehalten werden, und die „Runden“ oder Gänge bestimmt. Der Boxer wirft zuerst seine „Schalen“, d. h. Kleider in den Ring, dann folgt er selbst. Die Beiden begrüßen sich und schütteln sich unter großem Jubel und Beifall der Umstehenden die Hände, während die Diebe ihr profitabelstes Geschäft machen, da sie wissen, daß der beste Augenblick, einem Herrn die Uhr abzureißen, der ist, wenn er sich sentimentaler Begeisterung hingibt. Die „Corinthier“ vermissen bald ihre Uhren und Taschentücher unter großem Gelächter, während die beiden Boxer durch Werfen eines Stück Geldes entscheiden, wer die „Sonnenseite“ im Ringe haben soll und wer den Schatten im Gesicht. Jetzt binden sie die „Farben“ ihrer Principale an Grenzpfähle des Ringes, stellen sich in Position und schlagen los, so wie „Zeit“ gerufen wird. Jeder bedeutend verletzende Hieb beendigt einen Gang oder eine „Runde“. Sowie der Getroffene, Gefallene oder Ohnmächtige gehörig geschwammt und gewaschen und wieder auf die Beine gebracht ist, beginnt die nächste Runde, die sich bis zu 30–60–100 vermehren können, ehe Einer sich für überwunden erklärt oder gar nichts mehr sagen und erklären kann. Der Entscheidung folgt ein ungeheueres Wandern von goldenen Pfunden oder Verschreibungen aus den Händen der einen in die der andern Partei mit einem nächtlichen Gelage in den officiellen Tabernen des Box-Publicums. Stirbt der Besiegte oder ist er schon todt, so „begegnete ihm ein Unfall“, wie es in der Kunstsprache heißt. Damit ist er abgethan. Der Sieger hat Ruhm und Geld, aber er kann als professioneller Preis-Boxer eben so wenig leben, wie der Dichter von Versen. Preis-Kämpfe gibt’s nicht alle Tage, dann verliert er auch gelegentlich und muß sich Wochen, Monate lang Auge, Arm, Nasenbein etc. curiren lassen. Auch wird er mit der Zeit alt, und Niemand will ihn mehr „backen“. So „macht er sein Leben“ durch verschiedene andere Gewerbe, als Boxlehrer (Trainer), oder als Betrüger mit Karten, als Inhaber eines „Rattentheaters“, wo die kostbaren, häßlichen Hunde verschiedener Herren um hohe Wetten in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Ratten todtbeißen müssen (ein guter Rattenhund wird oft für 100 Pfund ge- oder verkauft), als Erzieher von Kampfhähnen oder gar als Besitzer eines Hahnengefechtbodens, als Wettschwindler bei Wettrennen oder wenigstens als Beamter eines Wett-Bureau’s.

Das Höchste, was er erstrebt, ist ein Public-Haus, worin Bier und Gin getrunken, heimlich gespielt, ratten- oder hahnengekämpft wird, weil dies viel Publicum, viel Nahrung, selbst viel Aristokratie herbeizieht.

Uebrigens kann ein Preis-Boxer auch im höchsten Unglück des Alters nicht mehr so tief sinken, wie ein Armer gewöhnlicher Art. Seit 1852 gibt’s eine „Pugilisten-Wohlthätigkeits-Association“, welche unfähig gewordene Boxer unterstützt und die noble Art der Selbstvertheidigung unter gesetzlichem Schutze aufrecht und in Ehren zu halten sucht. Sie hat ein besonderes Gesetzbuch entworfen, nach welchem bei allen kunstgerechten Boxereien verfahren und entschieden wird. Auch ließ die Association bereits einem berühmten Mitgliede ein kostbares Denkmal auf sein Grab setzen. Die Boxer sind eine besondere Species von Engländern, ein Reich im Reiche mit einer Reihe glänzender Herrscher, Champion’s oder Inhaber des Preisgürtels. Die Reihe dieser Boxerkönige von Mr. Figg, der 1719 den berühmten Gravesender Pastetenmann besiegle, geht ununterbrochen durch eine Menge großer Namen bis zu Tom Sayers, der Gegenwart – aber von jeher immer polizeilich streng verboten.




Flüchtlings Heimkehr.

Träge geht die Sonne nieder, schon dem Kamm der Berge nah;
Purpurgolden liegt die Landschaft nun im Abendfrieden da.
Leise rauscht es durch die Wälder wie vergang’ner Zeiten Mähr,
Und vom Strome zieht ein Brausen wie verhalt’ne Klagen her.
Wunderherrlich, reich an Segen, dehnt sich das Gelände weit,
Wiese, Wälder, Flur und Gärten, Alles prangt in Ueppigkeit.
Stolzgethürmte Städte spiegeln ihr lebendig Bild im Strom,
Graue Burgen ragen mächtig auf zum blauen Himmelsdom.
Glänzend, eh’ er niedersinket, wirft der Sonne Feuerstrahl
Seine letzten Liebesblicke in das reichgeschmückte Thal.
Und noch einmal glänzt im bunten Abendlicht der Buchenwald,
Wo des Beiles letzte Schläge noch das Echo wiederhallt.
Und noch einmal küßt ein letzter Strahl den altergrauen Stein,
Der da, zweier Länder Marke, finster blickt in’s Thal herein.
Stiller wird’s, und breite Schatten lagern rings sich auf der Au’,
Und des Flusses Nebel steigen, sonnenlos, gespenstisch grau.
Einsam zieht ein später Pflüger durch den abendstillen Plan,
Eilt vorüber leise schauernd an des Forstes dunkler Bahn.
Doch wer müht sich schwanken Schrittes dort den Hügelpfad herauf,
Lehnt sich seufzend, athemsuchend, keuchend auf des Stabes Knauf?
Wankt zum Markstein auf der Höhe, der sich trotzig dort erhebt,
Und er faßt ihn in die Arme: ha, wie da die Brust ihm bebt!
Sieh, jetzt breiten Mondesstrahlen silberfarben bleiches Licht,
Ach, sie ruh’n auf einem gramzerwühlten Menschenangesicht.
Wie das Auge, fast erloschen, schmerzvoll auf zum Himmel schaut,
Während Thrän’ auf Thräne leise auf die Wange niederthaut!
Grau das Haupt, und in dem morschen Leibe tobt des Fiebers Sturm,
Und am Herzen sonder Ende nagt ihm wohl des Kummers Wurm.
Armer Greis! Was starrst Du traurig in das weite Thal hinaus?
Suchst wohl in der Nacht da unten Dein verschollen Vaterhaus?
Wie er breitet nun die Arme weit aus wie in Sehnsuchtsschmerz,
Gleich als wollt’ er all’ die Lande pressen an sein stürmend Herz,
Ringt aus seufzerschwerem Busen sich hervor im Schmerzenston:
„Land der Väter, Du geliebtes, ach, Dein ausgestoß’ner Sohn,
Wieder küßt er Deine Erde, sieht er Deiner Wälder Grün,
Sieht er Deine Städte ragen, Deine Sterne traulich glüh’n.
Seit ich ging, wie viele Jahre rauschten über dieses Haupt!
Nun ich wiederkehre, steh’ ich da ein Stamm, der morsch, entlaubt.
Und doch duldet mich Dein Boden scheu nur in der stummen Nacht,
Weil auf Deiner heil’gen Stätte noch der Feind der Freiheit wacht.
Land der Väter, Du geliebtes, muß Dich trauernd wiederseh’n;
Wird ein Rächer Deiner Schande nie in Deinem Schooß erstehn?
Noch zerspalten und zerrissen liegst Du unter Gottes Fluch,
Armes Land, noch krank an Wunden, die ein Stamm dem andern schlug.
Deine Ströme sind gebunden, Deine Kräfte sind gelähmt,
Und die besten Deiner Söhne, ach! geächtet und verfehmt.
Mich auch haben sie vertrieben, weil im Streit ich zu Dir stand,
Weil mein Denken und mein Streben Deinem Heile zugewandt.
Dorten, wo ein frei Gestade noch bespült der Ocean,
Regt es sich in tausend Herzen, die Dir treulich zugethan.
O, wie hab’ ich oft der Brandung wildem Donner stumm gelauscht,
Ob von Dir ein leises Grüßen mir nicht draus entgegenrauscht.
Ha, wie oft umgab der Tod mich! Wie ich grimmig mit ihm rang!
Denn noch einmal wollt’ ich hören, Muttersprache, Deinen Klang.
Fremdling war ich aller Orten; bin ich Fremdling denn auch Dir?
Ruhe konnt’ ich nirgend finden, Muttererde, gib’ sie mir!
Und so lieg’ ich denn gebrochen, Vaterland, an Deiner Brust,
So an Deinem Herzen sterben, Heimatherd, ist Götterlust.
Mußt’ er, lebend in der Fremde, flüchtig irren, arm und bloß,
O, so gönn’ dem todten Sohne doch ein Grab in Deinem Schooß.“
Sprach’s. Und durch die Lüfte zieht es wie ein leiser, stiller Klang,
Und die Wellen rauschen flüsternd des Gebannten Grabgesang.
Doch der hält den Stein umschlungen, lächelnd und in Todesruh’,
Und ein gold’ner Blüthenregen deckt ihn lind und liebend zu.

 Max Holdau.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_425.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)