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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

der Atacapas, der bei seiner Gefangennehmung einen Menschen und vier Pferde tödtete, sechs Menschen und fünf Pferde verwundete, wird dem Riesen-Bären Jenny Lind im tödtlichen Kampfe begegnen: seine Hörner sind zu diesem Zwecke spitz gefeilt worden.“

„Also mit scharfen Waffen,“ sagte mein Freund, indem er mich anstieß.

„Ja, mit scharfen Waffen,“ gab ich zur Antwort, „und die Wette gilt.“

Der himmelblaue Zettel zeigte einen aufrecht stehenden Bären, der sich ein Pferd über die Schulter geschwungen hatte. Unter diesem stand: „Jenny Lind, der schreckliche kalifornische Gebirgsbär, zwölfhundert Pfund schwer, der lange eine Geißel der Goldgräber am obern Sacramento-Flusse gewesen ist, und zu dessen Habhaftwerdung eine ganze Compagnie der gewandtesten Arrieros aufgeboten werden mußte, ist bereit, sich mit dem wüthendsten Stier der Atacapas im Kampf auf Tod und Leben zu messen.“

„Eine naive Art, die Namen bekannter Persönlichkeiten zu feiern!“ bemerkte ich zu meinem Freunde.

„Aber ganz den Verhältnissen, sowie auch den Eigenthümlichkeiten der Nation entsprechend,“ erhielt ich zur Antwort; „glaube mir, es würde Mancher nicht über den Mississippi fahren, um dort seinen halben Dollar los zu werden, wenn die Kämpfer, anstatt die hier so populairen Namen zu tragen, ganz einfach Sokrates und Penelope hießen. Der Name thut sehr viel hier, und die wirklichen Eigner von Namen, welche auf diese Weise ihren Weg unter’s Volk, ja unter die Thiere finden, haben gewiß keinen Grund, sich darüber zu beklagen, daß man ihrer nicht freundlich gedenke. Ich bin überzeugt, man würde sogar einen räudigen Hund nicht mit dem Namen eines Mannes zu belegen wagen, der durch ein Bündniß mit fremden Nationen zum Verräther an seinem Vaterlande zu werden trachtete, denn nicht nur der unglückliche Hund würde sehr bald todtgeschlagen werden, sondern sein noch unglücklicherer Herr liefe auch Gefahr, bei der ersten besten Gelegenheit gefedert und getheert zu erscheinen. Dagegen fand ich einst in einer Menagerie die Namen aller Präsidenten, vom General Washington bis herab zum General Pierce, ja, europäische Namen, die laut genug gesprochen wurden, um auf dieser Seite des Oceans verstanden zu werden, waren bei der Bezeichnung von Thieren verwendet worden, und im Grunde genommen ist ein stattliches Thier solcher Ehre ebenso würdig, als ein Berg oder gar ein Dampfboot.“

Unter solchen Gesprächen gelangten wir über den Strom, und halb getragen, halb geschoben von einem lachenden, wettenden, auch wohl fluchenden Menschenknäuel, erreichten wir glücklich das Ufer, wo eine Anzahl der verschiedenartigsten Fuhrwerke bereit stand, die Angekommenen gegen gute Bezahlung nach den eine englische Meile weiter gelegenen Schranken zu schaffen. Wir wählten einen Einspänner, zahlten den geforderten Preis, und zehn Minuten später hielten wir vor dem Circus, der, von rohen Bretern amphitheatralisch errichtet, Sitze für etwa viertausend Personen bot und eine Arena einschloß, die gegen hundert und funfzig Fuß im Durchmesser haben mochte. Wir überreichten unsern halben Dollar und traten ein, fanden die obern Bänke aber schon so gedrängt voll, daß wir es vorzogen, unten zu bleiben und uns hinter die fünf Fuß hohen Schranken zu stellen, von wo aus wir, wenn auch stehend, das zu erwartende Schauspiel vortrefflich übersehen konnten.

Mein erster Blick fiel auf den Bären, der an einer zwanzig Fuß langen, starken, aber sehr geschmeidigen Kette in der Mitte des Circus lag. Es war ein mächtiger Bursche, der wohl seine tausend Pfund wiegen mochte, und gewiß gehörte ein ausgesuchter Stier dazu, um einem so grimmigen Feinde die Spitze zu bieten. Von dem Stier war indessen noch nichts zu sehen, denn wohlweislich hatte man denselben in einen dunkeln Breterverschlag gebracht, um ihn später, das Blenden der Sonne benutzend, mit größerer Leichtigkeit in den Bereich des Bären bringen zu können. Trotzdem nun ein starkes Musikcorps auf geräuschvolle Weise zu unterhalten strebte, so scheiterten seine Bemühungen doch gänzlich an der Ungeduld, mit welcher der Beginn des Kampfes erwartet wurde; ja, man vermochte oft kaum das Trompetengeschmetter vor den donnernden Zurufen zu vernehmen, mit welchen abwechselnd neue Ankömmlinge begrüßt, dem Bären ein Hurrah gebracht und das Erscheinen des Stiers verlangt wurde. Immer dichter füllten sich die schwankenden Bogengerüste; und immer lauter erdröhnte das Holzwerk von herausforderndem Stampfen und Klopfen; selbst der Raum hinter den Schranken füllte sich auf eine Weise, daß wir wie in einem Schraubestock eingepfercht standen. Da endlich ertönte ein lauter Tusch, begleitet von einem Dutzend Musketenschüssen, und weit öffnete sich die Thüre, hinter welcher der Stier so lange verborgen gestanden hatte.

„Hurrah für General Kossuth,“ brüllte die Menge; und wohl verdiente das Thier ein solches Hurrah, denn in die Arena schritt langsam und bedächtig ein junger rothbrauner Stier, den man mit Recht als das Urbild physischer Kraft hätte bezeichnen können. Der kurze, gedrungene Hals schien von Eisen und Stahl zu sein. Der abgerundete Kopf mit den spitzen Hörnern und den großen glänzenden Augen, stand im Verhältniß zu der mächtigen Gestalt, unter deren glänzender Haut sich die vorspringenden Muskeln geschmeidig hin und her schoben. Es war eine Freude, dieses Thier zu beobachten, als es, wie im Bewußtsein seiner Kraft, dumpf brüllend der Mitte des Circus zuschritt.

Kaum vernahm nun der Bär die tiefen Töne, welche der Brust seines Feindes gleichsam entrollten, als er sich blitzschnell auf die Hinterfüße aufrichtete, den Kopf etwas zur Seite neigte und mit komischer, neugieriger Geberde den Stier betrachtete. Ein Beben seines Unterkiefers bewies indessen, daß er lange gefastet haben mußte und lüstern einem Kampfe entgegensah, der ihm eine gute Mahlzeit einzubringen versprach. Durch die helle Sonne geblendet, hatte der Stier seinen Feind noch immer nicht erkannt; als er aber das leise Wimmern desselben vernahm, hemmte er plötzlich seine Schritte, seine stolze Haltung verschwand wie durch Zauberschlag, und ängstlich schnaubend, mit emporgehobenem Haupte, die Blicke fest auf den Bären geheftet, suchte er rückwärts gehend seinen Stall wieder zu erreichen. So leichten Kaufs sollte er indeß nicht davonkommen, denn noch ehe er bis in die Nähe des Breterverschlags gelangte, fielen ihm, von geschickter Hand geschleudert, von beiden Seiten Schlingen um die gespreizten Hörner, und mehrere Leute versuchten es dann, ihn mit Gewalt in den Bereich des nunmehr eilfertig auf- und abtrabenden Bären zu zerren. Eben so leicht hätte man eine Eiche entwurzelt, als das erschreckte Thier von der Stelle gebracht. „Schäme dich, Kossuth! Schäme dich!“ brüllte die ungeduldige Menge; lautes Pfeifen und Zischen erschütterte die Luft, die Wetten auf den Bären wurden verdoppelt, selbst mein Gefährte rief mir mit schlauem Lachen zu: „Zweimal drei ist sechs!“ worauf ich aber nicht einging.

Der Stier verharrte indessen unerschütterlich in seiner Stellung, obgleich der seinen Mundwinkeln entströmende Geifer von der aufsteigenden Wuth zeugte; als aber mehrere an langen Riemen gehaltene Hunde ihn mit scharfem Zahn anfielen, und in demselben Augenblicke die gelösten Lassos von seinen Hörnern glitten, da sprang das ergrimmte Thier mit zwei mächtigen Sätzen vorwärts, und sich dann schnell umwendend zeigte es, mit den Hufen den Rasen aufwühlend und hoch emporschleudernd, das krause Haupt seinen nächsten Feinden, den Hunden zu, welche, von den Schranken aus gehalten, ihren Angriff nicht weiter fortsetzen konnten.

Der Lärm der Zuschauer war plötzlich verstummt, denn Jeder erkannte, daß der Stier mit den Hinterfüßen in dem Kreise stand, welchen der Bär an seiner Kette zu beschreiben vermochte. Doch auch dem Bären war dieser Umstand nicht entgangen; seine Ohren legten sich dicht an den breiten Schädel, und mit der Gewandtheit einer Katze durchmaß er den Raum, der ihn von seinenn Opfer trennte, und sich plötzlich aufrichtend, versetzte er demselben mit der kralligen Tatze einen solchen Hieb über die Hüfte, daß das Blut hoch aufspritzte und ein breiter Lappen der losgerissenen Haut herunterhing. „Hurrah für Jenny Lind!“ donnerte es von den Tribünen, doch der Ruf war noch nicht verstummt, als der auf hinterlistige Weise verwundete Stier sich wie ein Wirbel auf derselben Stelle umwendete und in blinder Wuth keuchend und schnaubend seinen Feind auf den Boden zu spießen trachtete. Der Bär war aber auf seiner Hut, denn sich abermals aufrichtend, wich er dem furchtbaren Stoße aus, und als er sich dann auf den vorbeistürmenden Stier werfen wollte, war derselbe schon wieder seinem Bereich entschlüpft.

Nach diesem ersten Zusammenstoß begann ein Scharmützel, welches für beide Theile weniger gefährlich war. Fast eine Viertelstunde lang schritten die beiden wüthenden Bestien im Kreise neben einander hin. So oft der Stier seine Hörner senkte, hob sich der Bär auf seine Hinterfüße, und suchte jener ihn dann zu umgehen, so folgte dieser nicht nur mit den Augen, sondern auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_412.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)