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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Wir pochten noch einmal. Die Hunde hörten auf zu bellen. Sie knurrten nur noch. Irgend etwas mußte ihnen Ruhe geboten haben. Eine menschliche Stimme ließ sich jenseits des Thors vernehmen.

„Wer ist da draußen?“ Es war eine weibliche Stimme.

„Die alte Magd,“ sagte der Schulze. „Warum mag keiner von den Männern kommen? Ich bin da, Anne Liese!“ rief er dann durch das Thor, „der Schulze Erdmann. Oeffnet.“

„Aber was wollt Ihr am späten Abend?“

„Ich habe Geschäfte im Schlosse.“

„Ich werde es melden.“

Wir hörten sie sich entfernen. Die Hunde blieben still. Sie knurrten nur noch leise. Wir warteten. Uns klopfte doch das Herz.

„Wenn man uns sicher machen und überfallen wollte!“ meinte selbst der Schulze. „Die Menschen da drinnen sind zu Allem fähig. Seien wir auf unserer Hut.“

Und was gilt einem verfolgten Raubmörder ein Menschenleben mehr? mußte ich in Erinnerung an so manches Verbrechen denken. Es wurde hell jenseits des Thors. Man konnte es an einem flackernden Scheine sehen, der an den Mauern des Schlosses hinanstieg. Ein Schritt nahte sich dem Thore; nur ein einzelner. Es mußte Jemand sein, der eine Laterne trug. Er kam nicht bis ganz an das Thor.

„Kommt!“ rief eine Stimme den knurrenden Hunden zu. Es war eine männliche Stimme.

„Der alte Diener!“ sagte der Schulze. „Warum muß der alte Mann herauskommen? In der Nacht? In diesem Wetter? Was mag das sein?“

Der Mann mit der Laterne entfernte sich wieder von dem Thore. Die knurrenden Hunde folgten ihm. Nach einer Weile kehrte er ohne die Hunde zurück; er hatte sie fortgeschafft. Das Thor wurde von innen geöffnet. Ein schneeweißer, von vielen Jahren tief gebückter, von noch mehr Sorgen tief gebeugter Greis stand in dem Scheine der Laterne vor uns. Er sah so ehrlich aus, der alte Mann. Er war der einzige ehrliche Mann in dem alten Freiherrnschlosse. Er sah uns, alle die fremden Gesichter, ruhig, aber traurig genug an.

„Was wünschen die Herren?“

„Einlaß, im Namen des Gesetzes!“ antwortete ich.

Er seufzte nur schwer auf.

„Folgen Sie mir.“

Ich ließ ihn das Thor verschließen und die Schlüssel an mich abgeben. Ein Gensd’arm mußte als Wache an dem Thore zurückbleiben. Mit meinen anderen Begleitern folgte ich dem Greise zu dem Gebäude. Wir überschritten eine Brücke, die früher eine Zugbrücke gewesen war, und kamen in einen schmalen Hofraum. Vor uns lag das Schloß. Ein hohes Eingangsthor stand offen. Der Greis führte uns dahin. Das Gebäude lag dunkel vor uns und eben so still. Dunkel und Stille waren so unheimlich. Was sollte jetzt gleich darauf folgen? Hatte der trotzige, gewaltthätige Herr des Schlosses, der verfolgte Raubmörder, in diesem alten Raubneste uns einen Hinterhalt bereitet? Einen Hinterhalt, um noch seinem gewaltthätigen, trotzigen Sinne ein Opfer zu bringen, um noch Rache zu nehmen für die Behandlung seiner Geliebten, für seine eigene Verfolgung, und dann für immer das Land, den Welttheil zu verlassen, in dem er als geächteter, dem Henker verfallener Verbrecher erkannt war? Der greise Diener sah ehrlich aus. Er konnte selbst getäuscht sein. Wir traten in das hohe Portal, in eine weite Halle. Es war kein anderes Licht da, als das der Laterne des Dieners.

„Führen Sie mich zu dem Schloßherrn,“ sagte ich zu dem Greise.

„Der Freiherr ist nicht da.“

„Er ist verreist?“

„Er ist fort.“

„Seit wann?“

„Seit dem Beginn des Abends. Es können vier bis fünf Stunden sein.“

„Wer ist noch im Schlosse?“

„Das gnädige Fräulein.“

„Und außerdem?“

„Eine alte Magd und ich.“

„Weiter Niemand?“

„Kein Mensch weiter.“

Der alte Mann log nicht. Ich war zu spät gekommen. Ich konnte doch noch eine Aufgabe in dem Schlosse haben. Es war möglich, daß der Entfliehende in der Eile ein verdächtigendes Beweisstück zurückgelassen habe. Jedenfalls war festzustellen, ob die Hein dagewesen sei.

„Führen Sie mich in das Zimmer des Freiherrn.“

Er führte mich durch die Halle in einen breiten Gang, aus diesem in einen zweiten, schmaleren. An dessen Ende schloß er eine Thür auf. Wir waren zu ebener Erde geblieben. Ich trat in ein geräumiges, hohes gewölbtes Gemach. Es hatte ein einziges breites und hohes Bogenfenster. Wie der Bau des Zimmers, so waren auch die Möbel darin alterthümlich. Aber Alles war solide. Zu seiner Zeit war es kostbar, vielleicht prachtvoll gewesen. Daß ein wüster Mensch dort gehauset habe, zeigte sich nirgends. Ich traf zunächst Anordnungen, daß die verschiedenen Theile des Schlosses durch Gensd’armen und Executoren besetzt wurden, um Vertragungen, Collusionen und dergleichen zu verhüten. Den alten Schulzen behielt ich bei mir in dem Gemache. Dann befragte ich zuerst den Diener.

„Wohin ist der Freiherr verreist?“

„Er hat mir nichts darüber mitgetheilt.“

„Wann wird er zurückkehren?“

„Ich glaube nicht, daß er jemals wiederkommen wird.“

„Sprach er davon?“

„Zu mir nicht. Aber seine letzten Worte, als er das Schloß verließ, waren ein Abschied für immer von hier.“

„Nahm er Sachen mit?“

„Wenige. Nur sein Reiseportefeuille.“

„Ging er allein?“

„Eine fremde Dame begleitete ihn.“

„Eine Fremde?“

„Sie war vorgestern in der Frühe hier angekommen.“

„Beschreiben Sie sie.“

Der Diener beschrieb Antonie Hein.

„Hatten Sie die Dame schon früher gesehen?“

„Niemals.“

„Wie kannte sie Ihren Herrn?“

„Sie war sehr vertraut mit ihm.“

„Hat Ihr Herr Ihnen keinen Auftrag hinterlassen?“

„Nein.“

„Kann ich das Fräulein, die Schwester des Freiherrn, sprechen?“

„Ich werde Sie melden.“

„Ich stelle dem Fräulein anheim, wo sie mich empfangen will.“

Der Greis ging. Ich sah mich näher in dem Gemache um. Außer den Tischen und den alten, hohen, gepolsterten Lehnsesseln fielen besonders mehrere alte Wandschränke darin auf. Sie waren von Eichenholz, mit künstlichem Schnitzwerk. Das Alter, vielleicht das Alter von Jahrhunderten, hatte sie dunkelbraun gefärbt. Einige standen ganz offen, in andern steckte der Schlüssel. Jene waren leer. Einen der letztern schloß ich auf. Es hingen alte Kleidungsstücke darin. Ich drückte gegen diese, um zu fühlen, ob sich in oder hinter ihnen noch etwas Anderes befinde. Auf einmal war es, als wenn die Wand des Schranks hinter den Kleidern nachgäbe. Ich schob diese auseinander und blickte in einen dunkeln Raum. Der Schrank hatte keine Rückwand. Die Mauer, an der er stand, bildete diese. Und in der Mauer war eine Oeffnung. Ich theilte meine Bemerkung dem Schulzen mit.

„Wohin mag die Oeffnung führen?“

„Ein Versteck,“ meinte er. „Man findet sie oft so in alten Häusern.“

Ich wollte trotzdem näher untersuchen, als die Thür des Gemachs geöffnet wurde. Der alte Diener trat wieder ein, mit Lichtern. Eine Dame folgte ihm, eine feine, schöne, leidende Gestalt. Es war das Fräulein Sophie von Lengnau, die Schwester des Freiherrn, die Geliebte des Commis Wilhelm Grote. Ich hatte sie so Vieles zu fragen, ich hatte ihr so Vieles mitzutheilen. Sie konnte es ahnen, sie sah es mir an. Der Diener hatte sofort das Zimmer wieder verlassen. Sie warf einen Blick auf den Schulzen, dann einen bittenden auf mich. Ich ließ auch den Schulzen hinaustreten.

„Mein Herr,“ sagte sie dann zu mir, mit einer großen, edlen Fassung, aber mit einer Stimme, die zum Herzen drang. „Ich weiß den Zweck, der Sie hierher führt. Mein Bruder ist außer dem Bereiche Ihrer Gewalt. Darf ich Sie gleichwohl bitten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_404.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)