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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Diese Brigade, etwa 1200 Mann stark, aus Jünglingen und Männern der City, also aus jungen Kaufleuten aller Nationen bestehend und eins der besten und ansehnlichsten Corps, hatte am ersten Sonnabend des Mai Revue und Parade vor ihrem stattlichen Oberst und zwar auf dem großen Platze vor dem Sitze der Roß-Garde in St. James-Park, dem eigentlichen Brennpunkte und Neste aller Militair-Aristokratie und ihrer „nobeln Passionen“. Diese Kühnheit der soldatenspielenden City-Kaufleute mag den nobeln Herren der Roß-Garde zu nahe getreten sein. Die englischen Zeitungen berichteten zum Theil weitläufig, mit Humor oder Entrüstung, über die Scenen vor der Parade, dem vielleicht aus 20,000 Köpfen bestehenden Pöbel, der die 1200 harmlosen jungen Kaufleute, die natürlich nicht einhauen durften, Stunden lang auf das Roheste und Brutalste drängte, stieß, mit Spott- und Schimpfreden tractirte und ihnen immer wieder jede Möglichkeit nahm, sich irgendwie soldatisch zu entfalten und zu bewegen. Erst nach langer Quälerei erschienen acht Dragoner zu Pferde, die vom Pöbel als „Reg’lars“, Reguläre, als officielle, königliche Soldaten mit Jauchzen begrüßt und so auffallend respectirt wurden, daß es diesen acht Mann mit einem Male gelang, was die 1200 Freischaaren theils mit Bitten, theils mit Drohungen ebenso vergebens versucht hatten, wie die Policemen.

Die Büchsen-Freicorps in England.
Civildienst. Irländisches Corps. Sechs-Fuß-Volontair-Garde. Westminster-Corps. Postbeamten-Corps.
 (Dunkelgrau.) (Roth mit Silber gestickt.) (Hellgrau.) (Dunkelgrau.)

Die Zeitungen schwiegen über die Gründe und Motive dieser auffallenden Erscheinung, die sich bei ähnlichen Revuen anderer Freicorps ähnlich wiederholte, so daß ein Chef, der Earl von Grosvenor, bei einer solchen Gelegenheit äußerte, er wolle seine Schaaren lieber gegen einen Feind führen, als in der Mitte solchen Pöbels des Landes friedlich paradiren. Die Sache, die bis jetzt von der freien Presse Englands mit Stillschweigen übergangen ward, ist, daß die eigentliche Militair-Aristokratie die freien Schaaren des Volkes lächerlich zu machen, in Mißcredit zu bringen, zu ermüden, mit dem unbewaffneten Volke und Pöbel in Reibung, Streit und Conflict zu bringen sucht. Sie bezahlt gute, tapfere Exemplare des Pöbels, damit Straßenjungen und Lumpenhaufen aller Art unter Führung und Anreizung derselben durch ihre Masse und Frechheit vielleicht einmal so etwas wie Bürgerkrieg hervorrufen, der ja schon drohen würde, wenn einmal einzelne entrüstete Freischaaren diesen oder jenen Spottteufel verwundeten oder gar niederschössen. Dann würde man schreien: Entwaffnung! Fort mit den Freischärlern, die nur das Geschäft und die Ehre des eigentlichen Militairs beeinträchtigen und den Bürgern des Landes mehr Gefahr bringen, als ein Feind von außen! –

So etwa speculirt und intriguirt Englands „Junker-Partei“, die sich im Wesentlichen überall gleich bleibt. Sie ist in diesem Falle nicht stark, da die Freischaaren durch ihre Officiere, die ihnen zur Wahl aus der Militair-Aristokratie selbst vorgeschlagen werden (die geringeren Officierstellen werden durch Wahl aus ihrer Mitte besetzt), mit den höchsten Ständen des Landes freundschaftlich verbunden sind und vom Ober- und Unterhause, von der nationalen Association, von der Regierung, der Presse und dem Volke gestützt und getragen werden. Gefährlich bleibt das Spiel der Junker-Partei freilich immer. Wie leicht können einmal in einem unglücklichen Augenblicke ein Paar Gewehre „von selbst“ losgehen!

Bis jetzt sind die Freischaaren in England eine herrliche,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_396.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)