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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

um sich der unerträglichen Marter, den Triumphwagen des Siegers zu schmücken, zu entziehen. Doctor Yvan, welcher die Nothwendigkeit einer solchen Vorsichtsmaßregel einsah, hatte ihm das verlangte Opium verschafft und Sorge getragen, es in ein Beutelchen zu verschließen, damit er es allezeit bei sich tragen könne, ohne sich jemals davon zu trennen. Nach Frankreich zurückgekehrt, hatte Napoleon es nicht vernichten mögen, sondern es in seinem Reisekästchen aufbewahrt, wo es sich noch befand.

Nach den niederbeugenden Reflexionen des Tages, während er übrigens das Loos der Seinigen als gesichert betrachtete und es durch seinen Tod nicht zu gefährden glaubte, wählte er die Nacht vom 11. April, um der Mühsal des Lebens ein Ende zu machen, die er, nachdem er sie so lange gesucht, nicht mehr ertragen konnte, und er zog den furchtbaren Trank aus seinem Reisekästchen, verdünnte ihn mit etwas Wasser, nahm ihn zu sich und ließ sich dann auf dem Bett nieder, wo er auf ewig einzuschlafen gedachte.

Entschlossen, hier die Wirkung des Giftes abzuwarten, wollte er Caulaincourt noch ein Lebewohl sagen und ihm namentlich seine letzten Absichten in Betreff seiner Frau und seines Sohnes eröffnen. Er ließ ihn gegen drei Uhr Morgens rufen, entschuldigte sich, seinen Schlaf zu stören, berief sich aber auf die Nothwendigkeit, zu den bereits ertheilten Instructionen noch einige wichtige hinzuzufügen. Seine Gesichtszüge waren beim Schimmer eines fast erloschenen Lichtes kaum zu unterscheiden; seine Stimme war schwach und bewegt. Ohne zu erwähnen, was er gethan hatte, nahm er unter seinem Kissen einen Brief und ein Portefeuille hervor und sagte zu Caulaincourt, indem er ihm Beides reichte: „Dies Portefeuille und dieser Brief sind für meine Frau und für meinen Sohn bestimmt; ich bitte Sie, sie ihnen eigenhändig zu übergeben. Meine Frau und mein Sohn werden beide der Rathschläge Ihrer Klugheit und Rechtschaffenheit sehr bedürfen, denn ihre Lage wird sehr schwierig sein, und ich bitte Sie, sie nicht zu verlassen. Dies Kästchen (er zeigte auf sein Reisekästchen), soll Eugen übergeben werden. Sie werden Josephinen sagen, daß ich ihrer gedacht habe, bevor ich vom Leben schied. Nehmen Sie diese Camee und bewahren Sie sie zum Andenken. Sie sind ein ehrlicher Mann und haben gestrebt, mir die Wahrheit zu sagen … Lassen Sie uns umarmen!“

Bei diesen letzten Worten, die keinen Zweifel an dem von Napoleon gefaßten Entschlusse übrig lassen konnten, ergriff Caulaincourt, obgleich er nicht leicht zu rühren war, die Hände seines Gebieters und benetzte sie mit seinen Thränen. Er bemerkte in seiner Nähe ein Glas, welches noch die Spuren des tödtlichen Trankes trug. Er fragte den Kaiser, der ihn statt aller Antwort bat, sich zu fassen, nicht hinwegzugehen und ihn seine Agonie ruhig vollenden zu lassen. Caulaincourt suchte zu entschlüpfen, um Beistand zu rufen. Napoleon bedeutete ihn jedoch, erst bittend, dann im Tone des Befehls, nichts dergleichen zu thun, denn er wollte keinen Auftritt und namentlich sein verscheidendes Gesicht keinem fremden Auge aussetzen.

Caulaincourt war, gleichsam der Bewegung beraubt, neben dem Lager, wo dieses außerordentliche Dasein dem Erlöschen nahe schien, hingesunken, als sich Napoleon’s Gesicht plötzlich krampfhaft zusammenzog. Er litt fürchterlich und strengte sich an, dem Schmerze Trotz zu bieten. Bald kündigten heftige Krämpfe ein bevorstehendes Erbrechen an. Nachdem sich Napoleon dieser Regung der Natur widersetzt, war er gezwungen, nachzugeben. Ein Theil des genommenen Giftes wurde in ein silbernes Becken ausgebrochen, welches Caulaincourt hielt. Dieser benutzte die Gelegenheit, sich einen Augenblick zu entfernen, um Beistand zu rufen. Der Doctor Yvan eilte herbei. Vor ihm erklärte sich Alles. Napoleon forderte seitens desselben einen letzten Dienst, nämlich eine Wiederholung der Opiumdosis, weil er fürchtete, das in seinem Magen gebliebene Gift werde nicht genügen. Der Doctor Yvan zeigte sich empört über eine solche Zumuthung. Er hatte seinem Gebieter einen derartigen Dienst in Rußland leisten können, um ihm zum Entrinnen aus einer schauderhaften Lage behülflich zu sein, aber er bereute bitter, es gethan zu haben, und entwich, als Napoleon auf seiner Fordenmg beharrte, aus dem Zimmer, worin er nicht wieder erschien. In diesem Augenblicke fanden sich der General Bertrand und der Herzog von Bassano (Maret) ein. Napoleon empfahl, daß man diese traurige Episode seines Lebens so wenig als möglich bekannt werden lassen möge, während er noch hoffte, es werde die letzte sein. Man hatte in der That Grund, es zu glauben, denn er schien überwältigt und dem Ende nahe. Bald fiel er in eine Ermattung, die mehrere Stunden anhielt.

Seine getreuen Diener blieben unbeweglich und bestürzt um ihn. Von Zeit zu Zeit fühlte er heftige Magenschmerzen und rief mehrmals: „Wie schwer ist es, zu sterben, während es auf dem Schlachtfelde so leicht ist! Ach! daß ich nicht bei Arcis-sur-Aube gestorben bin!“

Die Nacht ging vorüber, ohne daß neue Zufälle eintraten. Er begann zu glauben, daß er diesmal das Ende seines Lebens nicht sehen werde, und die getreuen Personen, die ihn umgaben, hofften es gleichfalls, indem sie sich sehr glücklich schätzten, daß er nicht gestorben war, ohne doch seinetwillen sehr zufrieden zu sein, daß er lebte. Inzwischen meldete man den Marschall Macdonald, welcher, bevor er Fontainebleau verließe, dem Kaiser ohne Krone noch seine Ergebenheit zu bezeigen wünschte.

„Ich werde diesen würdigen Mann sehr gern empfangen,“ sagte Napoleon, „doch möge er warten. Ich will nicht, daß er mich in meinem jetzigen Zustande sieht.“ – Der Graf Orloff erwartete seinerseits die Ratificationen, die er zu holen gekommen war. Man befand sich am Morgen des 12. April; um diese Zeit sollte der Graf von Artois in Paris einziehen, und viele angesehene Personen fühlten sich gedrängt, Fontainebleau zu verlassen. Napoleon wollte sich ein wenig erholt haben, bevor er irgend Jemand seiner Person nahe kommen ließe.

Nach einer ziemlich langen Ermattung nahmen Caulaincourt und einer der drei Männer, die in das Geheimniß dieser Vergiftung eingeweiht waren, Napoleon in ihre Arme und trugen ihn an ein Fenster, das man geöffnet hatte. Die Luft belebte ihn merklich. – „Das Schicksal hat entschieden,“ sagte er zu Caulaincourt; „ich muß leben und abwarten, was die Vorsehung von mir will.“ Darauf willigte er ein, den Marschall Macdonald zu empfangen. Dieser wurde eingeführt, ohne von dem Geheimniß, das man vor Jedermann verborgen hielt, unterrichtet zu sein. Er fand Napoleon auf einem Ruhebett ausgestreckt, erschrak über den Zustand der Entkräftung, worin er ihn sah, und drückte ihm ehrerbietig seinen Kummer darüber aus. Napoleon stellte sich, als schriebe er den Magenleiden, von denen er zuweilen befallen ward und die bereits die Krankheit ankündigten, an der er gestorben ist, den Zustand zu, in welchem er sich zeigte. Er drückte dem Marschall herzlich die Hand. – „Sie sind ein braver Mann,“ sagte er zu ihm, „dessen großmüthiges Benehmen gegen mich ich zu würdigen weiß, und ich wünsche, ich könnte Ihnen meine Dankbarkeit anders als mit Worten beweisen. Aber was Ehren anlangt, darüber verfüge ich nicht mehr; Geld habe ich nicht, und übrigens ist es auch Ihrer nicht würdig. Aber ich kann Ihnen ein Zeichen der Achtung geben, welches Ihnen, hoff’ ich, schätzbarer sein wird.“

Darauf verlangte er einen in der Nähe seines Kissens liegenden Säbel und sagte, indem er ihn dem Marschall reichte: „Hier ist Murad-Bey’s Säbel, welcher eine der Trophäen von Abukir war und den ich oft getragen habe. Sie werden ihn zum Andenken an unsern letzten Umgang aufbewahren und später Ihren Kindern übergeben.“ – Mit tiefer Rührung empfing der Marschall diesen Beweis der Achtung und umarmte den Kaiser im Dränge innigsten Gefühls. Sie schieden, um einander nicht wiederzusehen, obwohl sie Beide noch nicht am Schlusse ihrer Laufbahn angelangt waren. Der Marschall reiste sofort nach Paris ab. Auch Berthier war abgereist, indem er wiederzukommen versprochen, jedoch in einer Weise, die seinen ehemaligen Gebieter nicht überzeugt hatte. – „Sie werden sehen, daß er nicht wiederkommt,“ sagte Napoleon traurig, aber nicht ohne Bitterkeit zu Caulaincourt.

Inzwischen hatte Caulaincourt endlich Zeit gefunden, die Ratificationen des Vertrags vom 11. April auszufertigen und sie, mit der kaiserlichen Unterschrift versehen, dem Grafen Orloff zu übergeben. Er war zu Napoleon zurückgekehrt, welcher von Marie Louise ein äußerst zärtliches Schreiben empfangen hatte. Dieses Schreiben enthielt die befriedigendsten Nachrichten von seinem Sohne, gab ihm die vollkommenste Ergebenheit zu erkennen und sprach den Entschluß aus, sich so schnell als möglich wieder mit ihm zu vereinigen. Es machte auf Napoleon einen außerordentlichen Eindruck. Es rief ihn gewissermaßen zum Leben zurück. Seiner gewaltigen Einbildungskraft schien sich eine neue Existenz eröffnet zu haben. – „Die Vorsehung hat es so gewollt,“ rief er Caulaincourt zu; „ich werde leben … Wer kann die Zukunft ergründen?

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