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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Hatte Bauer damals Sachen bei sich ?“

„Er trug nur eine Jagdtasche.“

„Ist Ihnen bekannt, was er in dieser Jagdtasche mit sich führte?“

„Er hatte es mir offen mitgetheilt, wie ich ihm auch meine Verhältnisse offenbart hatte. Außer einigen Bekleidungsgegenständen trug er in der Jagdtasche sein ganzes Vermögen mit sich. Meist in Werthpapieren, weniges in Gold.“

„Hat er Ihnen das Nähere darüber angegeben?“

„Er hat mir im Allgemeinen den Betrag angegeben, auf ungefähr dreißigtausend Dollars.“

„Führte er außerdem Werthgegenstände bei sich?“

„Eine goldene Taschenuhr. Auch einen Diamantring und einen größeren Siegelring.“

Man konnte nicht offener sein, als Grote in diesen Mittheilungen war. Und Alles sprach er unbefangen und ruhig, in dem sicheren Gefühle, daß nichts davon ihn angehe. Die Stirn war ihm schon längst wieder trocken geworden. Auf einmal sollte Alles wieder anders werden.

„Wo blieb nach Ihrem Abschiede von Bauer der Wagen, in dem Sie mit ihm gefahren waren?“

„Er fuhr auf der Landstraße weiter, schon während wir Abschied nahmen.“

Die Antwort gab er noch ruhig, mit leichtem Herzen.

„Waren Sie Beide allein in dem Wagen gefahren?“

Da wurde er unruhig. Er mußte sich Gewalt anthun, um, allerdings ohne Zögern, zu antworten.

„Nein,“ antwortete er, und die Stimme wollte, trotz jener Gewalt, nicht recht heraus.

„Wer war noch bei Ihnen?“

„Eine Dame.“

„Kannten Sie sie?“

„Nein.“

Er sprach das Wort mit klarer, fester Stimme. Aber ich sah es seinen Mienen an, daß er sich dazu noch mehr Gewalt hatte anthun müssen. Und ich war überzeugt, daß dieses Nein eine Lüge war, die erste, die er sagte. Konnte er noch unschuldig sein? Ich durfte mir nichts anmerken lassen.

„Wo waren Sie mit der Dame zusammengetroffen?“

„Auf jener Eisenbahnstation.“

„Erzählen Sie.“

„Sie hatte denselben Weg zu machen, wie Bauer und ich. Den Lohnkutscher hatte sie zufällig gefunden, wie wir. So kamen wir zusammen.“

„Wie lange blieben Sie beisammen?“

„Bis zu jener Trennung von Bauer. Sie fuhr, nachdem wir ausgestiegen waren, mit dem Wagen weiter.“

„Sie kennen auch den Namen der Dame nicht?“

„Nein.“

Es war die zweite Lüge. Der Schweiß war ihm auf die Stirn getreten.

„Wie sah die Dame aus?“

„Sie war jung, groß, etwas stark. Sie war elegant gekleidet.“

„Würden Sie sie wiedererkennen?“

„Gewiß.“

„War die Dame mit Bauer bekannt?“

„Ich weiß es nicht.“

Es war die dritte Lüge. Er konnte mir nur ungewiß und nur mit Anstrengung in die Augen sehen. Aber wozu diese Lüge? Ich suchte vergebens es zu ergründen. Er kam von jetzt an aus der Unwahrheit nicht wieder heraus. Alles betraf die Dame. Und ich hatte für das Fernere einen Grund.

„Ist Ihnen der Name Antonie Hein bekannt?“

„Nein.“

„Haben Sie die Dame seit jener Zeit wiedergesehen?“

„Nein.“

Dieses Nein sprach er wieder offener, freier. Aber konnte ich ihm glauben?

„Haben Sie von dem Schicksale Franz Bauers seit Ihrer Trennung von ihm gehört?“

„Ja. Ich habe vor zwei Tagen in einer Zeitung gelesen, daß er ermordet und beraubt gefunden ist. In jenem Walde, auf jenem Wege zu seiner Heimath. Es ergriff mich heftig.“

Die Worte waren halb gewiß und halb ungewiß: es war, als wenn er halb die Wahrheit und halb die Unwahrheit spreche.

„Wo haben Sie die Zeitung gelesen?“

„Zufällig im Gebirge.“

„Wissen Sie, warum Sie hierher gebracht sind?“

„Ich kann nach diesem Verhöre darüber nicht in Zweifel sein. Man hofft von mir Auskunft über das Verbrechen gegen Bauer.“

„Liegt Ihnen der Gedanke nicht nahe, daß Sie selbst verdächtig sein könnten?“

Es war das wieder eine Frage, oder vielmehr ein Vorhalt, worauf er längst vorbereitet sein mußte. Gleichwohl wurde er auf das Heftigste davon ergriffen. Er wurde blaß, wie die Wand des Zimmers. Auf dem Stuhle, auf dem er saß, bewegte er sich hin und her. Er erhob die Augen zu mir, er schlug sie wieder nieder. Er hatte mir etwas zu sagen, er konnte sich nicht dazu entschließen.

„Sehe ich aus wie ein Mörder?“ sagte er zuletzt. Und er sprach die Worte mit dem vollsten Ausdrucke der Wahrheit.

Und er konnte mit Recht so sagen. Dieses schöne, melancholische Gesicht mit dem großen dunklen, in diesem Augenblicke zwar unsicheren, aber dennoch immer treuen Auge, es war kein Gesicht eines Mörders. Aber warum sprach er die Unwahrheit? Warum machte er sich verdächtig? Er war kein starker Charakter. Er wäre sonst schon jener Lügen nicht fähig gewesen. Welcher Gewalt hatte er sich gebeugt, beugte er sich noch, sogar bis zu dieser Zähigkeit im Ableugnen der Wahrheit? Zähigkeit ist keine Festigkeit. Konnte ich diese Zähigkeit nicht brechen? Ich hatte schon vorher die Antonie Hein in ein Nebenzimmer bringen lassen. Durch ein Fenster in der Mauer konnte man aus der Verhörstube in das Zimmer sehen. An das Fenster führte ich den jungen Mann. Einen Vorhang, der es verdeckte, zog ich zurück. Die Dame saß in dem Zimmer so, daß ihr Blick in eine andere Richtung fiel, ihr Profil aber voll zu sehen war.

„Wen sehen Sie dort?“ fragte ich den jungen Mann.

Der Anblick der Dame machte einen erschütternden Eindruck auf ihn. Er brach fast zusammen.

„Meine Reisebegleiterin!“ preßte er hervor.

Ich verdeckte das Fenster wieder. „Antonie Hein!“ sagte ich.

Er schwieg und rang nach Fassung.

„Gefangener,“ sagte ich mit Nachdruck zu ihm, „Sie kennen die Dame.“

Er war noch wie erstarrt.

„Sie haben sie wiedergesehen. In der Nacht, an dem Morgen nach dem Morde.“

Auf einmal kehrte Leben in ihn zurück. Er richtete sich auf, wie im siegreichsten Gefühle der Wahrheit, stolz, vorwurfsvoll.

„Nein, Herr Criminalrichter, ich habe die Frau nicht wieder gesehen. Bei dem ewigen Gotte nicht. Bei meiner, bei Ihrer Seligkeit nicht!“

Was war das? War es Wahrheit? Ich wurde irre, denn ich hatte keinen festen Plan mehr und mußte mich selbst sammeln.

Das Verhör brach ich ab, da ich es erst wieder beginnen konnte, wenn ich Gewißheit darüber hatte, ob er in der Sonntagsnacht bei der Hein in dem Gebirgskruge gewesen war. Darüber mußte ich vorab den Krüger vernehmen und Antonie Hein selbst. Ich ließ sofort den Krüger vorladen, stellte ihm den Gefangenen Grote vor und legte diesem in seiner Gegenwart mehrere gleichgültige Fragen vor, damit er auch seine Stimme hören solle. Nach der Zurückführung des Gefangenen befragte ich ihn dann. Er war seiner Sache nicht vollkommen sicher. Er hatte den Fremden, der die Hein besuchte, nur bei einer trüben, ungewissen Beleuchtung und nur in jener tiefen Vermummung gesehen und hatte ihn nur mit gedämpfter, absichtlich verstellter Stimme sprechen hören. Aber die Größe und Gestalt schien ihm ganz die nämliche zu sein, ebenso das Haar und der Bart. Sei ihm jener Fremde auch rascher, beinahe stürmisch in seinen Bewegungen vorgekommen, so sei dieser Unterschied durch die Eigenthümlichkeit der damaligen und der heutigen Verhältnisse hinreichend erklärlich. Sei ihm ferner damals Haar und Bart des Mannes schwärzer und glänzender erschienen, so erkläre sich auch dies aus der Beleuchtung einer Nachtlampe gegenüber der heutigen Tageshelle. In Betreff der Stimme aber sei es ihm bei jener absichtlichen Verstellung genug, daß ihm in der Stimme des Grote heute kein Ton und kein Laut

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_386.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)