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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Frau einen frischen Blumenstrauß mit frischem Wasser auf das Pfeilertischchen am Spiegel.

Die Frau Wirthin ist nicht ungesprächig. Aber da man von zehn Worten erst das elfte versteht, wird man nicht klug, was sie eigentlich sagen will, und bleibt uns darum nichts übrig, als perpetuirlich bejahend mit dem Kopfe zu nicken. Die Briefe aus der Heimath erkundigen sich sämmtlich, wie es in Reichenhall gefalle. Den Leuten kann geholfen werden. Annemiedl empfiehlt sich wieder mit ihrem „B’hüt’ Si Good“, und man greift nach Tinte und Feder, um die erwartungsvolle Heimath nicht länger warten zu lassen.

Der Zeiger weist auf sechs. Auch im Parterre der Wirthsleute hebt der Seiger aus und läßt seine sechs Schläge vernehmen. Die Correspondenz ist beendet. Die Jalousien werden aufgeschlagen. Welch prachtvolle Aussicht über die Gärten nach dem Untersberge! Es ist noch immer bedeutend warm. Damen unter blauen und grünen Entoutens wandeln auf dem freundlichen Fußpfade über den Streitbüchel nach Großgmain. Eine Promenade im Schatten der hohen Gradirhäuser muß jetzt sehr angenehm sein. Ich habe nur wenig Hundert Schritte dahin.

Wie rieselt das so lieblich und angenehm durch die haushohen Dornengebinde! Die Wassertheile verdampfen und immer gehaltreicher wird die Soole. Wo man hinschaut, weiße Salzkrystalle. In den Lauben und auf Bänken, im Schatten der Gradirhäuser ruhen, die salzgeschwängerte Luft athmend, vereinzelte Genesung Suchende.

Achselmannstein.

In unmittelbarer Nähe dort liegen die stattlichen Gebäude von Achselmannstein, eines der stärksten und segensreichsten Soolbäder von Deutschland, dessen Ruf seit zehn Jahren in beständigem und verdientem Zunehmen begriffen. Der Mann, welcher mit ungeheuren Kosten diesem segensreichen Heilbade seine dermalige Gestalt gab und zu seinem Rufe so wesentlich beitrug, ist ein Sachse aus dem Königreiche, Herr Steuerinspector Rink. Zahlreiche Badegäste finden in Achselmannstein ein ebenso bequemes, wie angenehmes Unterkommen. Ein freundlicher Garten mit sorgfältig gehaltenen Spaziergängen und wohlgepflegtem Baum- und Strauchwerke grenzt unmittelbar an die Badegebäude, in welchen es weder an Billard-, noch an Conversations- und Lesezimmer mit ausgewähltem Journalcyclus fehlt. An schönen Frühlings- und Sommernachmittagen finden in dem Garten von Achselmannstein kleine theatralische Vorstellungen statt, die zum Amüsement des Publicums heiter beitragen.

Ueberhaupt ist das Thal von Reichenhall vermöge seiner großartigen Salinen – die Edelquelle springt sechzehngradig aus dem Kalkgebirge –, wegen seiner von den Alpen geschützten Lage, seiner himmlisch reinen und zugleich weichen Luft – jeder Athemzug ist einen Gulden werth –, wegen seiner stets frischen Molken und Alpenkräutersäfte und seiner paradiesischen Lage zu einem Heilbade wie geschaffen. Wie Mancher und Manche fanden hier Genesung für ihre schwache und kranke Brust und für manches andere Leiden! Das Leben ist im Allgemeinen nicht theuer. Wo man in nord- und mitteldeutschen Bädern einen Thaler braucht, reicht man hier im Verhältniß mit höchstens einem bairischen Gulden (17 Silbergroschen) aus. Reichenhall ist kein Luxusbad, wohl aber ein Naturbad im wahren Sinne des Wortes. Von hier hat man mit die Auswahl unter dreißig der reizendsten Alpenpartien, von denen die meisten kaum einen Tag in Anspruch nehmen. Wer darum eine Zeit lang in diesem liebenswürdigen Erdenwinkel verlebt hat, wird nur die freundlichste Erinnerung mit in die Heimath nehmen. Darum ist wohl auch fast kein Land Europa’s, das nicht Badegäste nach Reichenhall geschickt hätte. Die Curzeit beginnt mit Anfang Mai und währt bis zum Herbst, wo die Nebelkappen über die Thäler sinken und die Häupter der Berge sich mit Schnee umhüllen.




Die Abendsonne steht über dem Plateau der sechstausend Fuß hohen Reitalp. Aber ihre goldenen Strahlen vermögen den tausendjährigen Schnee in den Schluchten und Abgründen dieses Felsenlabyrinths nicht zu schmelzen.

Dort oben auf jenen stolzen Höhen blüht das Edelweiß in seiner reinsten Schöne, duften die Alpenblumen in frischester Bergluft.

Und immer tiefer sinkt die Sonne und immer tiefer bettet die scheidende Fürstin das Thal in den goldensten Sommerabend. Mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_377.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)