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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sie inquiriren solle, und machte es von wenigen Fragen vorläufig abhängig.

„Haben Sie während Ihres Hierseins Besuch empfangen?“

„Ja, mein Herr.

„Oft?“

„Nur einmal.“

„Wann?“

„Am vorigen Montag.“

„Bei Tag oder bei Nacht?“

„Es war in der Nacht, gegen Morgen.“

„Wer war der Besuch?“

„Ich werde Ihnen den Namen nicht nennen.“

Sie sprach wieder mit jener vollen Bestimmtheit und Entschiedenheit, mit der sie jede Auskunft über ihre Verhältnisse abgelehnt hatte.

„War es eine Manns- oder eine Frauensperson?“

„Es war ein Mann.“

Ich hatte noch eine Frage.

„Woher haben Sie diesen Ring?“

„Von meiner seligen Mutter. Ich sagte es Ihnen schon.“

Ihre Entschiedenheit hatte sich mit jedem Worte, das sie sprach, befestigt. Sie hatte wirklich eine große Willenskraft. Diese war heute nicht mehr zu brechen. Ein in ihrer augenblicklichen Lage natürlicher Trotz mußte sie vielmehr erhöhen. Gebrochen konnte sie nur werden durch die Zeit oder durch irgend ein auf sie einwirkendes Ereigniß. Ich brach das Verhör ab und nahm sie mit als Gefangene. Mit einer Ruhe, die mehr als Fassung war, ergab sie sich in ihre neue Lage. Daß ein Ereigniß mir zu Hülfe kommen werde, hoffte ich. Ich rechnete sogar auf ein bestimmtes.

Noch vor meiner Rückreise von dem Kruge hatte ich sämmtlichen Gensd’armen in der Nähe das Signalement des Mannes mitgetheilt, der mit der Antonie Hein in der Gesellschaft des Ermordeten gewesen war, die Hein bald nach ihrer Ankunft im Kruge besucht hatte und sie wahrscheinlich wieder besuchen werde, und ich hatte sie aufgefordert, scharf, aber vorsichtig auf den Menschen zu achten, insbesondere auf einen erneuerten Besuch im Kruge. Von der Gerichtsstadt aus erließ ich Aehnliches an die gesammte Gensd’armerie der Gegend. Auf die Ergreifung hoffte ich doch. In dieser Hoffnung schob ich die Wiederaufnahme des Verhörs mit der Hein mehrere Tage auf. Ich besuchte sie nicht einmal sogleich in ihrer Haft. Sie sollte, wenn sie mich wiedersah, auf eine besondere, wichtige Veranlassung schließen dürfen. Drei Tage waren indeß vergangen, ohne daß irgend etwas vorfiel. Ich mußte sie mindestens in ihrer Haft besuchen, wenn ich mir nicht, auch nur bei ihr, den Vorwurf einer Vernachlässigung ihrer Untersuchung zuziehen wollte.

Ich ging in ihr Gefängniß. Ich hatte sie allein setzen lassen, aber in eine Zelle, in der sie wenigstens eben so viel Bequemlichkeiten hatte, wie in ihrem Stübchen im Kruge des Gebirges. Auch Bücher und Schreibmaterialien hatte ich ihr zur Verfügung gestellt. Ich trat unvorbereitet bei ihr ein; sie hatte sich mit Comfort eingerichtet, mit Geschmack sogar, freilich auch, so wollte es mir wenigstens scheinen, mit einer gewissen Ostentation, als wenn sie die Dame der vornehmen Welt zeigen wolle. In dieser Einrichtung saß sie sorglos da und las in einem Buche; als sich die Thüre öffnete, sah sie gleichgültig auf, und als sie mich erkannte, wurde ihre Miene fast heiter, wie man gegen Bekannte in einer und über eine augenblickliche unangenehme Lage scherzt, für die man nicht kann, deren man aber ganz gewiß und nothwendig bald Herr werden muß.

„Sie haben mir etwas anzukündigen?“ fragte sie leicht.

„Ich habe nur eine Frage an Sie,“ erwiderte ich ihr ernst.

„Die wäre?“

„Haben Sie mir nichts zu sagen?“

„Nein, mein Herr, wahrhaftig nicht.“

Sie sprach es mit der ganzen Sorglosigkeit und Offenheit der Unschuld, und schon wollte ich mich wieder entfernen.

„Ein Wort, mein Herr!“

„Was wünschen Sie?“

„Sind Sie blos zu jener Frage hierher gekommen?“

„Ja.“

„Werden Sie noch oft so zu mir kommen?“

„Ich hoffe es nicht.“

„Sie würden es also, wenn Ihre Hoffnung Sie täuscht; ich könnte folglich noch lange, wer weiß, wie lange, ungehört und unverdammt, und doch verdammt, im Voraus verdammt, in dieser Lage verbleiben müssen! Mein Herr Criminalrichter, haben Sie auch bedacht, daß ich unschuldig sein kann, ja, daß ich für Sie, wie für Jedermann unschuldig bin, bis mir eine Schuld bewiesen ist?“

Sie war sehr ernst geworden und sprach fast strenge.

„Fräulein,“ entgegnete ich ihr, „Jeder ist der Schmied seines Glücks und seines Unglücks; Sie selbst haben einen Verdacht gegen sich erweckt, dadurch, daß Sie der Obrigkeit Thatsachen vorenthalten, über die in ähnlicher Lage Jeder, namentlich ein Unbekannter, Auskunft zu ertheilen nach den Gesetzen verpflichtet ist. Geben Sie Auskunft über Ihre Verhältnisse, nennen Sie den, der in dem Gebirgskruge Sie besuchte, und Ihre Unschuld, wenn Sie unschuldig sind, muß und wird in kurzer, in kürzester Zeit an den Tag kommen.“

„Nein, mein Herr,“ antwortete sie kalt.

Hiernach hielt sie mich nicht mehr auf, und ich verließ sie. Ich hatte Recht, aber auch ihr konnte ich dasselbe, nicht absprechen; trotzdem konnte ich sie der Haft nicht entlassen, solange der auf ihr haftende Verdacht nicht auf die eine oder die andere Weise beseitigt war, weshalb ich die gesetzlichen Mittel ergreifen mußte, den Verdacht zur Gewißheit zu bringen; wenn die Gewißheit nicht zu beschaffen war, so war er eben dadurch beseitigt.

Zunächst hatte ich ein Mittel: die öffentliche Bekanntmachung des Verbrechens, mit Beschreibung des Mannes, der zuletzt in der Gesellschaft des Ermordeten gesehen worden war, unter der Aufforderung, diesen anzuhalten, was ich bisher aufgeschoben hatte, weil es den Mann zur Flucht aus der Gegend drängen, jedenfalls seine Ergreifung in dem Kruge vereiteln konnte. Ich mußte und wollte jetzt dazu greifen. In zweiter Linie stand dann eine öffentliche Aufforderung um Auskunft über die Gefangene, die sich Antonie Hein nannte.

Das Ereigniß, auf das ich gerechnet hatte, machte das eine, wie das andere Mittel unnöthig, denn an demselben Abend lieferten zwei Gensd’armen einen Gefangenen an mich ab, dessen Figur genau zu dem Signalement des Mannes paßte, dessen Verhaftung ich schon vor vier Tagen ausgegeben hatte. Sie hatten ihn aber nicht in dem Gebirgskruge ergriffen, auch nicht in dessen Nähe, sondern drei, beinahe vier Meilen weiter, tiefer in dem Gebirge, in einem einsamen, mitten im Walde liegenden Köhlerhause hatten sie ihn aufgefunden, woselbst er sich seit fünf Tagen verborgen gehalten hatte; nur bei Nacht hatte er einen Ausgang gemacht, jede Nacht; wohin, hatte er den Köhlerleuten nicht gesagt. Gegen Morgen war er wieder zurückgekehrt, und auf solchem Rückwege hatten ihn einmal Leute gesehen. Er war vorsichtig, scheu in einem Pfade gegangen, der nach diesem Hause hinführte; eine andere menschliche Wohnung lag in dem Walde nicht. Die Gensd’armen hatten davon erzählen hören, worauf sie sich nach der Köhlerhütte aufgemacht und den Fremden gefunden hatten. Er hatte sich ohne jeden Widerstand verhaften lassen und nur nach der Ursache seiner Arretirung gefragt. Sie hatten ihm diese natürlich nicht mitgetheilt und sich nur seinen Namen nennen lassen. Er war ein Mann von achtundzwanzig bis neunundzwanzig Jahren und nannte sich Wilhelm Grote.

Der plötzliche Anblick der Gensd’armen hatte ihn offenbar erschreckt, und bei der Ankündigung seiner Verhaftung war er sehr niedergeschlagen geworden. Dies war er fortwährend geblieben und hatte sich dabei fast völlig schweigend verhalten. Das war der Rapport der Gensd’armen. Ein zweiter, wichtiger Abschnitt der Untersuchung war da. Sollte er mehr Licht, als der erste, in das tiefe Dunkel des Verbrechens bringen? Auch über jene Fremde, die sich Antonie Hein nannte?

Ich ließ den Gefangenen sofort vorführen, bevor er mit irgend Jemandem in den Gefängnissen hatte sprechen können. Ein großer, schöner, junger Mann trat in das Verhörzimmer. Er trug lockiges braunes Haar und einen krausen braunen Vollbart, welcher dem Gesichte etwas Imponirendes gab. Gleichwohl hatte es, wenn man schärfer hineinsah, einen gewissen Ausdruck der Weichheit, und dieser mochte zugleich von einem außerordentlich melancholischen Blicke der großen dunkelbraunen Augen herrühren. Er war schwarz gekleidet, und sein Aeußeres paßte genau zu dem Begleiter des Ermordeten, wie ihn die Wirthsleute in dem Städtchen in Uebereinstimmung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_371.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)