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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Garnison- und Parade-Bilder.
Nr. 4. Die Militairprüfung.
(Schluß.)

Nachdem die Ruhe wieder hergestellt war, entfernte sich der Oberst auf einige Zeit, nachdem er befohlen hatte, die Prüfung erst nach seiner Rückkehr zu beginnen.

Der Ausdruck seines ganzen äußeren Menschen deutete auf Durst, den er jedoch nicht mit Wasser zu löschen gedachte. Wasserscheu war dem Alten mit unverkennbaren Schriftzügen auf die Stirn geschrieben. Nach einer guten halben Stunde kehrte er zurück. Sein Gesicht war mit einer Scharlachröthe bedeckt, und durch diese flammenfarbige Region zog jene Jovialität, die das Eigenthümliche seines Charakters war, ihre grellen Blitze. Er bestieg das Katheder.

„Ein seltsamer Professor!“ schmunzelte er, während er es sich auf der ungewohnten Stelle bequem machte. „Ob die gelehrten Herren in den weiten Roben mich wohl als ebenbürtig anerkennen würden? Ich glaube kaum. Und doch besteht der ganze Unterschied zwischen uns darin, daß jene die Raupen im Kopfe und ich dieselben auf den Schultern trage.“

Der Alte sah sich nach Beifall um, den ihm der Hauptmann Mühler in einem zustimmenden Gelächter entgegentrug. „Ein lederner Witz!“ brummte der Lieutenant Pohlens, während sich das Gesicht des Lieutenants v. Rade! in jene satirisch-humoristischen Fallen legte, welche es so geistreich machten.

„Lassen Sie uns endlich an die Geschäfte des Tages gehen,“ begann der Alte nach einigen Augenblicken der Ruhe, die er dazu angewandt hatte, seine prüfenden Blicke über die langen Zeilen blasser Gesichter laufen zu lassen, an deren Besitzer der Ernst des Tages immer näher herantrat. „Reichen Sie mir doch die von den Compagnien eingegangenen Nationale der jungen Leute, Hauptmann Mühler,“ sagte der Oberst. „Ich will mich zunächst über die persönlichen Verhältnisse derselben informiren, damit ich doch weiß, aus welcher Classe der Bevölkerung sich das Officier-Corps meiner Brigade completiren wird.“

Nachdem er die verlangten Papiere empfangen hatte, sagte er zu uns: „Derjenige, dessen Namen ich aufrufen werde, tritt an mich heran und beantwortet meine Fragen offen und dreist.“

Es folgte nun eine düstere Pause, während deren sich der Oberst mit der Durchsicht der über uns sprechenden Papiere beschäftigte. „Bombardier Schwalbe!“ rief er endlich, nachdem er bereits die Hälfte der Nationale ohne weitere Bemerkung zurückgelegt hatte. Der Bezeichnete stand auf und trat bis auf einige Schritte an den Alten heran.

„Ich ersehe aus Ihrem Nationale, daß Sie in Hamburg geboren sind; was veranlaßte Sie denn, in preußische Dienste zu treten?“

„Mein Onkel, Herr Oberst, der in Berlin ansässig ist, kannte meine Neigung für das Militair und glaubte, daß die Aussichten auf Avancement in der preußischen Armee ungleich besser seien, als bei den Truppen in Hamburg, und ermöglichte deshalb meinen Eintritt in die Artillerie.“

„So, so – o! Also lediglich die Aussicht auf ein schnelleres Avancement führte Sie in unsere Reihen, und der Ruhm, die Kriegstüchtigkeit und Disciplin unserer glorreichen Armee kam bei der Bestimmung Ihres Entschlusses gar nicht in Erwägung? Na, Sie könnten sich in Ihrem Calcül doch gewaltig geirrt haben. Was ist denn eigentlich Ihr Vater?“

„Kaufmann, Herr Oberst.“

„Kaufmann! das ist gar nichts gesagt. Seine alttestamentalische Herrlichkeit, der Baron Rothschild, mit dem österreichischen Stammbaum von vier Ahnen, nennt sich auch Kaufmann, und jeder Sackjude beansprucht dieselbe Bezeichnung. Aber ich kann mir das schon vorstellen. Ihr lieber Papa hat so sein kleines Krämchen und schachert mit alten Kleidern, Schuhsohlen und verbrauchten Lumpen.“

Die rücksichtslose Behandlung, die dem armen Bombardier widerfuhr, machte ihn erbleichen. Es war eine jener Naturen, die jedes Unrecht, das ihnen angethan wird, tief empfinden, aber nicht die Energie haben, es abzuschütteln und auf den Angreifer zurückzuwerfen. In diesem Falle war dies freilich nicht möglich, denn der Oberst war nicht der Mann, der sich von einem Untergebenen die Faust zeigen ließ, aber die leidende Haltung, die der junge Mann annahm, die sich namentlich durch zwei große Thränen ausdrückte, welche langsam an seinen Wangen herunterrollten, brachte ihn bei dem Alten in noch größeren Mißcredit.

„Der hoffnungsvolle Sohn der freien Reichsstadt weint!“ schrie er mit zornigem Lachen. „Fort, auf Ihren Platz! Und das merken Sie sich, so lange der alte Tuchsen einen Wahlzettel zu schreiben hat, wird solch weinerlicher Syrupsjunge nicht Officier, und wenn er die Gelehrsamkeit mit Löffeln gefressen hat.“

Der arme Schwalbe schlich niedergebeugt auf seinen Platz. Der Alte brummte und keifte noch einige Augenblicke, und vertiefte sich dann wieder in die vor ihm ausgebreiteten Papiere. Nach einiger Zeit rief er: „Da haben wir ja schon wieder einen Ausländer, und noch dazu einen edlen Bürger der freien Schweiz. Bombardier Werter! Gönnen Sie mir die Ehre, Sie kennen zu lernen.“

Der Vorgeforderte war groß, kräftig und von guter Haltung. Geistige Leerheit stand ihm auf dem Gesichte geschrieben; seine paar Ideen wußte er aber gut in Ordnung zu halten, und bei passenden Gelegenheiten mit Vortheil an den Mann zu bringen. Der Oberst betrachtete ihn einige Augenblicke mit großer Aufmerksamkeit, und die Abneigung, die er gegen Ausländer hegte, schien unterzugehen in dem Wohlgefallen, welches das militairische Aeußere und die imponirende Haltung des jungen Mannes ihm einflößte. „Sie sind in der Schweiz geboren?“ fragte er mit vieler Zurückhaltung.

„In Bern, Herr Oberst.“

„Und wo haben Sie die zu ihrer jetzigen Carriere erforderliche wissenschaftliche Ausbildung genossen?“

„Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahre besuchte ich die Schulen meiner Vaterstadt, demnächst siedelte meine Mutter nach Preußen über, und ich kam nach D. in die Erziehungsanstalt des Herrn Grafen v. d. R.“

„Habe ich recht gehört?“ schrie der Oberst und sprang auf, als hätte ihn eine Viper gebissen. „In D., in der renommirten Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder, haben Sie den letzten Schliff an Ihre Erziehung gelegt?“

„Der Herr Graf hatten die Gnade, meine wissenschaftliche und sittliche Fortbildung mit besonderer Strenge zu überwachen,“ entgegnete der Bombardier piquirt.

„Und aus Dankbarkeit praktisirten Sie bei ihm den inneren Dienst?“ entgegnete der Oberst, wobei er mit der rechten Hand die Bewegungen des Stiefelputzens nachahmte.

Bei dieser verletzenden Anspielung erbleichte der junge Mann bis unter die Haare der mit Schweiß bedeckten Stirn. Die Blässe nahm jene bleibende Farbe an, die blondhaarigen Personen eigen ist und auf Gemüthserregungen hindeutet, die, wenn sie zum Ausbruche kommen, äußerst gefährlich sind. Doch wagte es der Paroxysmus nicht, die eisernen Fesseln der Disciplin zu durchbrechen, und der Oberst ließ ihn nicht an die Oberfläche kommen, indem er mit seiner gebieterischen Löwenstimme rief: „Fort, auf Ihren Platz! Sonst könnte die Berufung über Sie kommen, uns in einer langathmigen Kapuziner-Predigt abzukanzeln.“

Der mit einer so scharfen Lauge gewaschene Bombardier kehrte mit zornsprühenden Augen nach seinem Sitze zurück. Der Oberst dagegen wandte sich mit folgender Auslassung an die Herren von der Prüfungs-Commission: „Ich achte und ehre die wahre Frömmigkeit, bedaure aber, daß dieses Element im Menschen so häßlicher Verirrung fähig ist und zu so abscheulichen Zwecken gemißbraucht wird. Die Sendlinge, welche die pietistischen Cirkel, diese Lebensverdüsterungs-Anstalten, diese Schulen systematischer Verdummung, über das Land ausspeien, sind zum großen Theil blasirte Menschen, die unter dem Mantel einer gleißnerischen Frömmigkeit die gröbsten Laster verbergen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Lassen Sie sich eine kleine Geschichte erzählen, die meiner Behauptung als Beweis dienen soll.“

Der Oberst brachte sich in eine bequeme Positur und begann darauf: „Im Herbste des vorigen Jahres saß ich an einem kalten, trüben Tage mit vieler Seelenruhe beim Frühstück, ließ mir den Madeira aus meinem Keller gut schmecken und bedauerte nur,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_350.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)