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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

bis zur Grobheit, aber geistig nicht besondern befähigt und ohne tiefe wissenschaftliche Bildung. Der Lieutenant Pohlens war in allen Beziehungen das Widerspiel seines Cameraden. Man nannte ihn einen hochgelehrten Mann, sein Kopf war aber so überfüllt von Wissensschätzen aller Art, daß darin kein Raum mehr vorbanden war, um auch noch die Vorschriften des Dienst-Reglements aufzunehmen. Er war nicht im Stande, seinen Zug richtig zu führen, und beim Exerceiren fiel er regelmäßig vom Pferde. Seine bekannte Gutmüthigkeit ließ uns hoffen, daß er unser Wissen mit Nachsicht beurtheilen werde. Es war eine satirische Natur, die den Kampf mit einem ebenbürtigen Gegner, wenn auch nicht suchte, doch gern aufnahm. Man sagte, daß selbst der Alte seinen ätzenden Humor fürchtete.

Die Stunde, mit welcher das Tentamen beginnen sollte, war bereits lange verstrichen, und der Alte, der sein Erscheinen angemeldet hatte, wollte noch immer nicht eintreffen. Die Herren Examinatoren wurden ungeduldig. Der Hauptmann horchte aufmerksam nach jedem Geräusch und hatte schon zum zehnten Mal die große Tabacksdose, aus welcher er in jeder Minute seiner Nase das gewohnte Futter zuführte, weggesteckt und sich in Positur gesetzt, um den gestrengen Herrn Oberst in militairischer Haltung zu empfangen. Da wurde es endlich laut auf der Treppe. Es stampfte herauf mit Säbelgeklapper und Sporengeklirr, und pustete und stöhnte wie eine überfüllte Dampfmaschine. Die Thür wurde weit aufgerissen, und der Alte erschien im Zimmer mit dem Federhute auf dem Kopfe. Von der Ehrerbietung, mit welcher wir uns bei seinem Eintritte von den Sitzen erhoben, nahm er keine Notiz und auch die Herren Officiere begrüßte er nur mit einem leichten „Guten Morgen“.

Der Herr Oberst schien nicht in der besten Laune zu sein. In seinem Gesichte zuckte es unheimlich durcheinander, seine Augen brannten, der Athem keuchte und durch die Pulse schien es wie Feuer zu ziehen. Brannte die Gluth zu häufiger Libationen, die er beim Frühstück dem Bacchus dargebracht hatte, auf seinen Zügen? Unmöglich! Der Wein hatte keine Macht über ihn; seine starke Natur ließ die Aeußerungen einer auch nur momentanen Weinseligkeit niemals bis an die Oberfläche kommen. Sollte er bereits Kenntniß von dem Gelage der letzten Nacht erhalten haben? Dies war leicht möglich. Es lief uns eiskalt bei dieser Besorgniß, die wir uns leise zuflüsterten, den Rücken herunter. Zu unserer Beruhigung kamen wir darüber bald in’s Klare.

Der Alte riß den Federhut vom Kopfe, warf ihn mit Heftigkeit zur Erde, was stets ein Zeichen der stärksten Erregung war, trat bis auf einen Schritt an den Hauptmann Mühler heran, und mit einer Stimme, welche die Fenster erbeben machte, fuhr er heraus:

„Herr Hauptmann, die Sauereien in Ihrer Compagnie nehmen überhand. Das muß ein Ende haben auf eine oder die andere Weise. Eine längere Nachsicht von meiner Seite wäre ein Verbrechen gegen den Staat. In den Salons unserer Kunstausstellungen sind Sie bestens orientirt, da spüren Sie an den dummen Bildern jeden Fehler, jeden falschen Pinselstrich auf, aber in der Caserne, dem Stall und der Küche Ihrer Compagnie, wo Sie nach Pflicht und Gewissen hingehören, sind Sie eine seltene Erscheinung. Und wenn Sie sich dort wirklich einmal blicken lassen, so sehen Sie auch noch nichts, sonst könnten solche Nichtswürdigkeiten, wie ich heute entdeckt habe, nicht Jahre lang unter Ihren Augen fortbestehen.“

Diese schweren Vorwürfe des erzürnten Brigadiers schienen den armen Hauptmann tief niederzubeugen. Seine kleine Gestalt zog sich noch mehr in sich selbst zusammen, die Stirn triefte von Schweiß, aber über die bebenden Lippen kam kein Wort der Entgegnung. Der Mann schien, wie ein Schneeball an der Sonne, vor den Zornesblicken seines strengen Vorgesetzten hinwegzuschmelzen.

„Ich bin so glücklich, Ihnen die Beweise für meine letzte Behauptung sogleich vor die Augen stellen zu könen,“ fuhr der Oberst fort, wobei er sich nach der Thür wandte und dieselbe weit öffnete. Auf seinen Wink trat ein spindeldürrer Unterofficier, mit Czacko und Säbel bewehrt, in das Zimmer; demselben folgten zwei fettwanstige Kolosse, deren glänzende Feistigkeit mit der verhungerten Gestalt des hageren Corporals einen merkwürdigen Contrast bildete. Die beiden Schmeerbäuche waren in lange Kittel von grauem Zwillich gehüllt, wie sie die Soldaten tragen, die in den Casernen die edle Kochkunst zu üben haben. Die Grundfarbe dieser Bekleidung war nicht mehr zu erkennen. Die Kittel waren mit einer dichten und dicken Fettlage überzogen, an welcher vertrocknete und auch noch blutige Fleischfasern in unappetitlicher Vermischung klebten. Das fetttriefende Haar hing den beiden Gestalten in langen Strähnen um den wulstigen Hals; in den beschmierten fettigen Vollmonds-Visagen waren die Augen aus den Fettwulsten, die sie einrahmten, kaum zu erkennen. In den dicken Fäusten trug eine jede dieser monströsen Figuren eine der Schüsseln, in welchen den casernirten Soldaten das Essen dargereicht wird.

„Sind das nicht prächtige Modelle für den Pinsel eines Meisters der niederländischen Schule?“ fragte der Oberst höhnend den gebeugten Capitain und lud ihn durch eine Handbewegung ein, näher heranzutreten und sich die Leute genau anzusehen. Der Hauptmann hatte in den widrigen Erscheinungen längst die beiden Küchenmeister seiner Compagnie erkannt, und war dadurch so alterirt, daß er kein Wort der Entschuldigung hervorzubringen vermochte.

„Ich muß den Herren nun doch auch erzählen,“ hob der Oberst nach einigen Minuten, in welchen er sich an der Verlegenheit des Capitains geweidet hatte, wieder an, „auf welche Art ich zu diesen beiden Prachtexemplaren militairisch-kulinarischer Erziehung gekommen bin. Der Weg hierher führte mich an der Caserne der zweiten Compagnie vorüber. Ich gehe da nie vorüber, ohne wenigstens für einige Augenblicke hineinzublicken, weil ich schon weiß, daß es dort immer etwas zu rügen und abzustellen gibt. So auch heute. Als ich in den Casernenhof trete, um mich nach dem Stalle zu begeben, duftet mir aus der Küche ein Arom entgegen, was sich unmöglich aus dem Dampfkessel der Menage entwickeln konnte. Ich merkte Unrath und schlich mich deshalb geräuschlos nach der Küche. Mit einer harmlosen Sicherheit, die jede Ueberraschung für unmöglich hielt, saßen diese beiden Stinkthiere am Heerde und löffelten aus jener Schüssel, welche dort das eine in den schmutzigen Pfoten trägt. Auf dem sorglich gedämpften Kohlenfeuer stand eine mächtige Pfanne, in welcher es lustig siedete und brodelte und aus der jene aromatischen Dünste emporstiegen, die mich zum Besuch der Küche veranlaßt hatten. Bei meinem unerwarteten Eintritt flogen die löffelnden Unthiere von ihren Sitzen empor, und der eine Kerl hatte so viel Geistesgegenwart, den Inhalt der Schüssel auf die Erde schütten zu wollen; doch ich war wie ein Blitz bei der Hand, und bevor der Vielfraß sein schlaues Manöver ausführen konnte, streckte ihn ein Schlag meiner Faust zu Boden. Der Andere stand wie ein ertappter Verbrecher mit klappernden Zähnen vor mir. Ich untersuchte den Inhalt der Schüssel und fand zu meinem nicht geringen Aerger in derselben eine Bouillon, nach welcher sich ein Lucullus die Finger lecken würde. Diese kostbare Brühe war sorgfältig bis auf das letzte Fettauge aus dem großen Kessel abgeschöpft, nur die beiden unfläthigen Faulthiere fraßen somit in aller Gemüthsruhe das Fett auf, welches für 150 Kanoniere berechnet war.“

Der Oberst winkte den Einen heran, nahm ihm die Schüssel aus der Hand und stieß ihn darauf, um sich vor jeder Berührung zu sichern, mit der Säbelscheide so heftig von sich, daß er bis an die Thür zurücktaumelte.

„Hier haben Sie die Bescheerung,“ rief er ingrimmig, indem er die Schüssel dem Capitain unter die Nase hielt. „Es ist dies eine Brühe so fett und konsistent, daß sie ein Ei tragen würde. In der Pfanne aber schmorten vier Pfund des schönsten Rindfleisches, was die Hunde nach der Suppe zu verschlingen gedachten, und dem alle diejenigen Ingredienzen zugesetzt waren, welche die Bereitung eines guten Beefsteaks bedingen. Nur bemerkte ich, daß es nicht genug geklopft war, und darum erlaubte ich mir, es aus der Pfanne zu nehmen, und den beiden gierigen Wölfen so lange um die Ohren zu schlagen, bis es so windelweich war, daß ein Kinder-Magen es verdauen kann.“

Auf seinen Befehl hob der dürre Corporal aus der zweiten Schüssel einen halbgebratenen mächtigen Fleischfetzen hervor, der, nur noch mit einzelnen Fasern aneinanderhing.

Der Oberst wandte sich hierauf wieder an den Capitain, indem er sagte: „Ich habe die Leute Ihrer Compagnie bisher in dem schlimmsten Verdacht gehabt. Die Kerle sehen so entkräftet und hohläugig aus, als hätten sie in Sodom und Gomorra in Garnison gelegen und dort die wilden Orgien durchgekostet, von denen die Bibel erzählt. Jetzt freilich bin ich anders belehrt. Die

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