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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

mit schwarzen, blitzenden Augen, kurzem schwarzen Haar und blassem, regelmäßigen Gesicht. Alles gar nicht seemännisch; aber er sagte, daß er Capitain eines Schiffes sei, das „Palmöl“ von der afrikanischen Westküste holen wolle. Er brauche Mannschaften, besonders einen Dolmetscher, der Spanisch und Portugiesisch verstehe. Er habe gehört, das könne ich, und deshalb biete er mir eine gute Stelle an.

Ich sah ihm scharf in’s Gesicht und fragte ihn, ob unter „Palmöl“ etwas Anderes verstanden werden müsse. Er war ehrlich genug, Ja zu sagen. Nach einigem Bedenken ging ich auf sein glänzendes Anerbieten ein, denn ich brauchte Geld und hoffte auf Abenteuer. Wir accordirten, und ich fand mich am folgenden Morgen auf seiner Barke, genannt Flora, ein. Ein langes, niedriges, schwarzes Schiff von 460 Tonnen, mit Bark-Takelage und scharfem Schnabel. Das Zwischendeck lag ganz unten wie Ballast in numerirten Stücken. Auch waren die Vorräthe von Lebensmitteln und die Ladung ganz merkwürdig arrangirt und verpackt.

Nach zwei Tagen segelten wir ab, um zunächst St. Paul de Loando, 8° 48’ südlicher Breite, 13° 8’ östlicher Länge, zu erreichen – den „Windwärts-Eingang“ zu dem großen Congo-Flusse, 5° 39’ s. Breite, 12° 9’ östliche Länge, der Hauptstraße für den Sclavenhandel. Auf der Reise von 71 Tagen fiel nichts Abenteuerliches vor. Durchsuchungen von Beamten eines amerikanischen Kriegsschiffs „Marion“ und des englischen „Triton“ machten uns vollkommen verdächtig, aber sie konnten uns nichts anhaben, sodaß wir ungestört etwa 40 englische Meilen stromaufwärts bis zu der Handelsstation O’Lonia fuhren, einigen Waarenlagern der Portugiesen, Spanier und Amerikaner.

Congo, das Land oder Unter-Guinea, besteht aus den Neger-Königreichen Loango, Congo, Angola, Matamba und Benguela, hat viele Wüsten, ist aber am Flusse und unzähligen Nebenflüssen und Einbuchten voller Wald und Wild: luxuriöse Fülle, natürliche Fruchtbarkeit und üppiger Baumwollenwuchs mit deliciösen Blumen und Früchten, Papageien, Affen und tausenderlei Arten von kriechendem, fliegendem und kletterndem, buntem Gethier. Die menschlichen Bewohner laufen nackt umher und beten Sonne, Mond und Sterne an. Portugiesische Missionaire haben Manchen derselben zu beweisen gesucht, daß dies eine Sünde sei und man dafür etwas Unsichtbares, Unbegreifliches anbeten und glauben müsse, aber die Meisten bleiben bei ihrer ihnen ganz aus dem Herzen und der unmittelbaren Begreiflichkeit wachsenden Naturreligion. Doch für Branntwein und sonstige Culturproducte thun sie Alles, auch in Sachen des Glaubens. –

Nachdem wir unsere Ladung gelöscht und der Capitain mit verschiedenen Agenten und schwarzen Königen unterhandelt, schlichen wir uns den Congo hinunter, weit hinaus auf den Ocean, wo wir sofort anfingen, das Schiff für „lebendige Fracht“ total umzuwandeln. Alle Legitimations und sonstige Papiere wurden verbrannt, Jeder von uns nahm einen andern Namen an, auch das Schiff, das deshalb mitten auf dem Meere ganz neu beölt und gestrichen ward, sodaß weder Flaggen noch Namen den amerikanischen Ursprung verrathen konnten. Die Lebensmittel wurden leicht zugänglich placirt. Hierauf construirten wir aus den numerirten Stücken unten das Zwischendeck, das vorher zu verdächtig ausgesehen haben würde. Zuletzt wurden vier Sechspfünder, zwei lange Achtzehnpfünder, vier Zwölfpfünder und ein guter Vorrath von Waffen, Pulver und Kugeln auf dem oberen Deck „fertig“ gemacht, sodaß uns kein Kriegsschiff so leicht durch Boote hätte bewältigen können. Freilich sie selbst fahren mit Dampf, der auf Sclavenschiffen noch keine Dienste thun kann, weil dies einfach zu kostspielig sein würde, da das Sclavenschiff nach glücklich vollbrachtem Geschäft in der Regel verbrannt werden muß, damit hinterher Neu- und Wißbegierige nichts finden.

Während dieser Vorbereitungen auf hoher See waren wir der Insel Ascension auf etwa 70 Meilen nahe gekommen. Von jetzt an kehrten wir wieder um, den „Bestimmungsort“, oberhalb des Congo, 50 Meilen von St. Paul de Loando, zu erreichen. Hier umher warten, lungern und verstecken sich Sclavenschiffe oft Vierteljahre lang, ehe genug „Ladung“ für sie im Innern gesammelt wird. Wir kamen glücklich mit einem Monate weg.

Der Grund, weshalb wir weit hinaus in’s offene Meer geflohen waren, war der „Triton“, der, wie wir von unsern Agenten erfahren hatten, auf uns wartete und uns an der buchtenreichen Küste, wo andere Sclavenschiffe sich oft verbergen oder einzelne Partien Sclaven einnehmen, auszuspüren suchte. Unser Capitain verstand’s besser. Er war eine „alte Hand“ in seinem Fache und wußte, daß der Triton durch unsere Flucht auf das offene Meer „unsern Geruch“ verloren hatte. Im Angesichte der Küste von St. Paul de Loando segelten wir mit dem Passatwinde südöstlich entlang, bis wir in der Nähe des Ortes Ambriz durch Privatsignale erfuhren, daß Alles bereit sei.

Wir ankerten. Unsere Agenten waren sofort mit ihren Leichterbooten, deren jedes etwa 200 Schwarze brachte, bei der Hand. Die „Waare“ wurde in „Bündeln“ geliefert, in Partien von etwa je 20, die mit Kuhhautriemen fest an einander geschnürt waren. In solchen Bündeln kletterten sie herauf und wurden, wie sie kamen, in’s Zwischendeck hinunter transportirt. Im Ganzen erhielten wir 811 Schwarze der verschiedensten Stämme, mit denen wir dann sofort vollsegelig das hohe Meer suchten. Wir Alle waren gut bewaffnet und bewachten und warteten unsere kostbaren Schätze in militairischer Ordnung und sorgfältig. Es war keine Kleinigkeit, sie in Ordnung zu halten. Bei der geringsten Veranlassung fielen die verschiedenen, feindlichen Stämme mit Zähnen und Nägeln über einander her, sodaß der Wachmann nicht selten unter sie springen und sie auseinander reißen und schlagen mußte.

Von Ascension steuerten wir über 2000 Meilen gerade westwärts, um ganz aus der „Schiffsstraße“ zu kommen, die nach Westindien führt. Hernach segelten wir südlich um Jamaica und die Fichteninsel.

Unsere fünfunddreißig Matrosen etc. hatten stets vollauf zu thun in streng zugemessenen Pflichten. Ich war im Departement der Pflege und hatte speciell die weiblichen Sclaven unter meiner Obhut. Eine gewissenhaftere Pflege und ängstlichere Reinlichkeit habe ich selten auf Schiffen gesehen. Freie, weiße Auswanderer sind schon zu Tausenden durch Schmutz und Pestluft, Mangel an Nahrung ober bestialische Kost auf „christlichen“ Schiffen umgebracht worden. Unsere Sclaven hatten großen „Werth“ und wurden danach behandelt. Jeden Morgen um fünf Uhr wurden sie alle auf’s Oberdeck getrieben und beinahe wie Schafe im Mai, ehe sie geschoren werden, gewaschen. Sie mußten sich in Partieen von 15–20 um große mit Seewasser gefüllte Fässer kauern, aus denen sie wiederholt tüchtig mit vollen Eimern übergossen wurden. Triefend machten sie Andern für dieselbe Behandlung Platz und wurden mit grobem Segeltuch abgerieben, gestriegelt und gescheuert. Dann kam das Zähneputzen mit Essig und Seewasser. Sie mußten die Zähne reiben und raspeln und sich wiederholt die weiten Rachen ausspülen. Darauf ward mit ganz besonderer Strenge gehalten, da Vernachlässigung des Mundes und der Zähne bei den Afrikanern tödtlicher ist, als irgend etwas. Es setzt sich dann eine gelbe Substanz an Gaumen und Zähne an, die bald zu vollständigem Gifte wird. Es bilden sich Geschwüre, die den so Heimgesuchten leicht tödten, und wenn er einen Andern beißt, was keineswegs selten ist, entzündet sich die Wunde und kann ebenfalls zum Tode führen. Ich schlug blos einmal einen Neger mit der Hand auf das Maul, wobei sie mit dessen Zähnen in Berührung kam. In Folge davon konnte ich sie vor Schmerz und Lähmung mehrere Tage gar nicht brauchen.

Diese Reinlichkeits-Operationen beschäftigten uns täglich von 5 bis 8 oder 9 Uhr. Hierauf bekamen sie Schiffs-Biscuits mit Rum und Wasser, um 11 Uhr ein warmes Frühstück, gemischt aus Biscuits, Bohnen, Reis, Graupen und gesalzenem Fleisch, verdickt mit Mehl und Fett. Es ward in Trögen auf dem Deck entlang, für jeden „Stamm“ besonders, aufgetragen. Dabei kamen sie doch nicht selten in Zank und Schlägerei, die nur durch tüchtigeres Dareinschlagen von unserer Seite zu schlichten war.

Bei aller Pflege verloren wir doch während der Reise vierundneunzig Sclaven – ein ungewöhnlicher Lohn unserer Sorgfalt. Andere Sclavenschiffe bringen oft kaum die Hälfte bis an Ort und Stelle. – Freilich unsere Medicamente beschränkten sich auf Essig (äußerlich) und innerlich Schießpulver.

Nach dem Frühstücke mußten sie ihre Lager und das Schiff reinigen. Die, welche etwas Portugiesisch und Spanisch verstanden, wurden zu Aufsehern gemacht und zu diesem Zweck mit einem Hemd und alten Hosen versehen, wodurch sie sofort ganz bureaukratisch stolz und von den nackten Unterthanen beneidet wurden. Ein Stückchen Tau in ihrer Hand bildete ihre Bewaffnung, mit der sie bald wie ein Berliner Constabler 1848 ganz virtuosisch umzugehen verstanden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_327.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)