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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Die studirende Jugend nahm die Verleumdungen, mit denen sie überschüttet wurde, nicht ruhig hin. Sie antwortete nach der Weise der Jugend hitzig und etwas grob, es kam sogar ein vereinzelten Verbrechen vor, und sofort setzte der Bund die erste der beiden großen Demagogenhetzen in’s Werk.

Was die Studenten und ihre Lehrer verbrochen hatten, war sehr, sehr wenig. Aus den Freiheitskriegen zurückgekehrt, hatten die Freiwilligen von 1813, 1814 und 1815 von dem schalen und prahlerischen Treiben der alten Studentenwelt sich angewidert gefühlt. Es war ihnen als eine Pflicht erschienen, dem Leben auf den Hochschulen einen tiefern Gehalt zu geben und es so zu gestalten, daß es ein Bild im Kleinen des deutschen Volkslebens sei. Die Trennung nach Landsmannschaften sollte verschwinden und ein einziger Bund, der deshalb die allgemeine Burschenschaft genannt wurde, alle Studenten vereinigen. Jeder Student hatte bei seiner Aufnahme zu geloben, sich sittlich, wissenschaftlich und volksthümlich ausbilden zu wollen. Jeder unsaubere Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht wurde bei Strafe der Ehrlosigkeit verboten und kein Zweikampf erlaubt, bevor ein Ehrengericht ihn genehmigt hatte. Als Abzeichen wählte man die Reichsfarben schwarz, roth und gold. Das waren auch die Farben der Lützower gewesen, und kein geringerer Mann als König Friedrich Wilhelm III. hatte sie für die todesmuthige Freischaar gewählt.

Der Geist dieser ersten Burschenschaft war weit vorwiegend ein nationaler mit stark christlicher Färbung. Das „welsche“ Wesen ganz abzustreifen, auch in den Wörtern und in der Kleidung, deutsch zu denken und deutsch zu fühlen, durch Turnen die Körperkraft der alten Ritter wieder zu erreichen und vorläufig wenigstens in die Ausdrucksweise altdeutsche Markigkeit zu legen, dahin ging das Streben besonders. Um die fromme, häufig mystische Stimmung der Gründer der Burschenschaft zu erkennen, braucht man nur eines der von ihnen geschriebenen Bücher, z. B. Haupt’s „Burschenschaft und Landsmannschaft“, zur Hand zu nehmen. Ob Juden in die Burschenschaft aufgenommen werden dürften, war eine Streitfrage, die nicht überall im Sinne der Duldung und der Menschenliebe beantwortet wurde. Viele Jahre später hat Heubner, der streng kirchliche Lenker des Predigerseminars zu Wittenberg, der verfolgten Verbindung das Zeugniß ausgestellt, „daß Viele durch sie auf Christum hingelenkt worden seien“. Mit der Freisinnigkeit der Burschenschafter war es nicht zum Besten beschaffen. Ihrem ganzen Wesen nach konnten sie mit den modernen Ideen nicht besonders befreundet sein, und überdies versichert Witt von Döring ausdrücklich, manche Landsmannschaft sei viel liberaler gewesen als die Burschenschaft derselben Hochschule. Da er zu den Anklägern, wenn nicht Angebern der Demagogen gehört, so darf man ihm vollen Glauben schenken, wenn er einmal günstig für sie aussagt. Von Geheimbündnerei war die Burschenschaft am weitesten entfernt. Sie hielt ihre Versammlungen öffentlich und trat mit Allem, was sie sagte, schrieb und that, an das vollste Licht heraus.

Am 18. October 1817 veranstalteten die Studenten von Jena und andern Hochschulen auf der Wartburg eine gemeinschaftliche Feier der Leipziger Schlacht und der Reformation. Etwa achthundert Studenten und vier Professoren, Fries, Kiefer, Oken und Schweizer, waren anwesend. Von Jena kam unter andern Heinrich Leo, heute der Liebling der Kreuzzeitung und des Kladderadatsch, damals ein solcher Schwärmer, daß er die Fahne der Jenaer Burschenschaft von Jena bis Eisenach mit entblößtem Haupte trug. Auf der Wartburg wechselten mit Reden Gesänge von Kirchenliedern, und in der Stadt unten wurde ein feierlicher Gottesdienst gehalten. Am Abend zündete man auf dem nahen Wartenberge ein Freudenfeuer an, in das die aufgeregte Jugend einen hessischen Zopf, einen österreichischen Corporalstock, eine Schnürbrust und andere Herrlichkeiten mehr warf. Gegen diesen Studentenspaß richteten sich die wüthendsten Anklagen, und schon jetzt hatte die Reaction den Stab über die Burschenschaft gebrochen. Dann kam Kotzebue’s Ermordung durch Sand. Der Mörder war ein Burschenschafter, und nur dieses Eine sah man. Für uns kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Motive der Unthat mit der liberalen Zeitrichtung keinen Zusammenhang hatten, sondern ganz wo anders lagen. Sand war in erster Linie ein Religionsschwärmer, in zweiter ein Deutschthümler, und er wollte in Kotzebue nicht den Reactionair treffen, sondern den Verleumder des deutschen Volks und den frivolen Dichter, von dem er in den Verhören sagte: „seine Lustspiele hätten ihm das Leben so verbittert, daß er durch sie mehr als einmal geistig getödtet worden sei.“

Die Reaction beeilte sich, Sand’s Verbrechen auszubeuten. Kurze Zeit darauf wurden in Karlsbad Ministerconferenzen abgehalten, welche die Preßfreiheit beschränkten, Maßregeln wider die „Gebrechen“ der Hochschulen, Gymnasien und Schulen trafen, und die Niedersetzung einer Centralcommission zu Mainz für Untersuchung demagogischer Umtriebe und revolutionairer Verbindungen beschlossen. Die Bundesversammlung genehmigte am 20. September 1819 alle Karlsbader Verabredungen, aber nicht alle Regierungen, sondern blos Oesterreich, Preußen, Hannover, Baden, Hessen-Darmstadt und Nassau wählten die Mitglieder der Untersuchungs-Commission. Die Befugnisse derselben wurden weit gesteckt, weiter, als sich mit der Selbstständigkeit der einzelnen Regierungen vertrug. Nicht genug, daß die Regierungen verpflichtet wurden, der Mainzer Commission alle Acten der einschlagenden Untersuchungen schleunigst einzusenden, allen an sie gelangenden Requisitionen vollständigst zu willfahren und mit Verhaftung der Inculpaten vorzuschreiten, wurde der Commission das Recht beigelegt, Verdächtige selbst verhaften und unter sicherer Bedeckung nach Mainz abführen zu lassen.

Es gab nun eine Bundesbehörde, die nicht unter, sondern neben dem Bundestage bestand, und auf deren Mitglieder blos die Regierungen Einfluß übten, welche die Commission gebildet hatten. In einem jüngst erschienenen Werke des Marburger Professors Ilse, Geschichte der politischen Untersuchungen etc., dessen Verfasser Zutritt zu den geheimen Acten hatte, wird der Nachweis geführt, daß mehrere Regierungen das unabhängige, selbst rücksichtslose Auftreten der Commission rügten. Die letztere kümmerte sich nämlich um den Bundestag gar nicht und ließ über ein Jahr verstreichen, ohne daß sie es der Mühe werth hielt, über ihre Thätigkeit zu berichten. Als eine directe Aufforderung ebenfalls nicht die Wirkung, hatte, einen Bericht zu Tage zu fördern, entstand eine Verstimmung, die sich sogar über zwei der bei der Commission betheiligten Regierungen erstreckte und einen energischen Antrag auf die Auflösung der Commission hervorrief (14. März 1822). Für diesen Antrag stimmten die Gesandten von Würtemberg, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Luxemburg, der großherzoglich und herzoglich sächsischen Häuser und beider Mecklenburg. Jetzt schickte die Commission ihren Bericht an den Bundestag ein (1. Mai 1822).

Eine größere Beleidigung, als in diesem Aktenstücke, ist einem Volke nie geboten worden. Alles, was von 1806 bis 1813 zur Hebung des deutschen Geistes geschah, Alles, was von da an bis 1819 unternommen wurde, um das durch die Freiheitskriege geweckte Leben nicht wieder versumpfen zu lassen, wird von dem Bericht der Commission für Demagogie erklärt. Der Tugendbund, den Friedrich Wilhelm III. persönlich ermunterte, erscheint hier als ein revolutionairer Geheimbund gefährlichster Art, und Schill hat 1809 dasselbe Beispiel eigenmächtiger Schilderhebung der bewaffneten Macht gegeben, das die spanischen, neapolitanischen und piemontesischen Soldaten bei ihren Revolutionen von 1820 und 1821 wiederholt haben. Fichte’s Reden an die deutsche Nation, in denen der glühendste Zorn über die Erniedrigung Deutschlands schäumt, verrathen Hinneigung zur Republik; Schleiermacher und Reimer, Gruner, Jahn und Arndt haben Alle zur Weckung des bösen Geistes beigetragen, der, in Lützow’s schwarzer Schaar bedenklich fortgebildet, auf den Hochschulen fortwucherte und eine allgemeine Unzufriedenheit hervorzurufen beflissen war. Auch Stein wurde, wenn auch nicht im Berichte, wohl aber in vertraulichen Eröffnungen mit der „Revolution“ in Verbindung gebracht. Er schreibt darüber an Gagern, er staune „über eine solche viehische Dummheit, oder eine solche teufelische Bosheit, oder einen solchen nichtswürdigen und aus einem durchaus verfaulten Herzen entstehenden Leichtsinn.“ (Pertz, Leben Steins, V. 424).

Wie konnte ein preußischer Staatsmann seinen Namen unter einen Bericht setzen, in dem fast alle die Triebfedern, welche die große Erhebung von 1813 herbeigeführt hatten, als staatsgefährliche und verbrecherische Motive aufgefaßt wurden? Um das zu begreifen, müssen wir uns erinnern, daß die Reaction in Berlin damals den vollständigsten Sieg errungen hatte. Die Wittgenstein und Schuckmann, die Kamptz und Nagler hatten die Macht in den Händen, und in ihren Augen hatten die Kämpfer von der Katzbach und von Großbeeren nicht mehr gethan, „als eine Spritzenmannschaft thut, die zum Feuerlöschen befehligt wird“.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_318.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)