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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Gefahren meiner Freunde standen mir lebhaft vor der Seele, und ich fand keine Ruhe vor Selbstvorwürfen, die ich mir machen zu müssen glaubte.

So kam ich zu Johanna und fand sie in der Kinderstube, ihr Jüngstes auf dem Schooße, in Vertretung ihres Mannes mit – der Redaction von Kinkel’s politischer Zeitung beschäftigt. Sie war bleicher, als früher, und hatte ein leidendes und angegriffenes Ansehen, das sich aber bald verlor und jener Spannung aller Fasern Platz machte, die wir bei energischen Staturen selbst noch beim Nahen des Todes nicht selten zu beobachten Gelegenheit haben.

Nach den ersten Begrüßungsworten und nachdem ich ihr mitgetheilt, welcher Zweck mich nach Bonn geführt habe, fragte ich nach Kinkel und erklärte, ihm folgen zu wollen. Ihre Beistimmung, der ich sicher zu sein glaubte, weil es ihr doch nur erwünscht sein konnte, einen Freund an Kinkel’s Seite zu wissen, sollte meinen Entschluß befestigen und mir die Rückkehr in meine friedlichen Arbeitskreise unmöglich machen.

Aber wie sehr hatte ich mich getäuscht! „Junger Mann, versündigen Sie sich nicht an Ihrer Mutter!“ rief Johanna, indem sie aufstand und ihre schönen, großen, unbeschreiblich sprechenden und gedankentiefen Augen auf mich richtete. Kaum je hat ein Blick so zauberhaft und schreckhaft auf mir geruht. „Denken Sie an Ihre Mutter, Freund! Was wollen Sie? Ist es nicht genug, daß wir sehenden Auges dem Abgrunde entgegengehen, der uns bald verschlingen wird? Ist es mit den Opfern nicht genug? Sie meinen, es werde mir eine Freude sein, Sie bei Kinkel zu wissen? O ja, ich leugne nicht, gerade Sie sähe ich gern dort. Er hat viel Gesindel und armselig elend Volk um sich. Aber nein, nein! Gehen Sie hin, woher Sie gekommen sind. Ich will nicht, daß Sie dem Gottfried folgen, denken Sie an Ihre Mutter, Ihre Mutter!“

Unser Gespräch wurde durch Besuche der damaligen Freunde Kinkel’s unterbrochen. Ich trat an’s Fenster und wartete. Bald kam Frau Kinkel wieder zu mir, nahm meine Hand und sagte mit feierlichem Ernste: „Lieber Freund, ich nehme Ihre Hand darauf, daß Sie Kinkel nicht nachreisen wollen, und nun versprechen Sie mir, daß Sie noch heute, gleich diese Stunde, wieder zurückreisen und Ihrem Berufe still weiter leben werden. Es nutzt zu Nichts. Adieu!“ Und damit hatte sie mich halb wider meinen Willen zur Treppe geleitet. „Sie werden vielleicht noch von mir hören,“ sagte sie, als wir schieden, „denn ich habe Sie sehr lieb.“

Ich ging. –

Später in meine trauliche Einsamkeit zurückgekehrt, wieder vor mir die lebendigen Wellen und die Bergrücken und die spärlichen Trümmer des Mittelalters, zu meiner Seite Bücher und angefangene Arbeiten, dahinter Glas und Flasche, mit gutem Sechsundvierziger gefüllt, – saß ich oft genug trauernd, grübelnd da; ich konnte mich nicht mehr, wie früher, mit Arbeitsgedanken umspinnen und abschließen, aber die Zeitungen mit ihren elenden Spiegelfechtereien waren mir ein Gräuel, und so nahm ich die Geschichte der französischen Revolution zur Hand und suchte dort nach Anhaltspunkten zur Erläuterung der Zustände und Vorgänge um mich herum.

Aus meinem Tagebuche flechte ich hier mit wörtlicher Treue das Nachfolgende ein, da es die Verhältnisse, in denen auch Johanna Kinkel lebte, die Anschauungen und Empfindungen der Freunde ihres Kreises in helles Licht setzt:

10. September. Wie oft hat mich neuerer Zeit tiefer Kummer gedrückt, mit welchem unsäglichen Weh habe ich namentlich der vielen Freunde gedenken müssen, welche durch die Revolution dem Tode oder dem Elend zugeführt wurden! Was habe ich gelitten, besonders um Dich, mein Kinkel, Du bester Mensch!

Vor 8–12 Tagen folterte mich die Sorge um Kinkel ganz besonders, und ich dachte daran, ob ich ihm nicht persönlich durch eine Reise nach Rastatt behülflich werden könnte. Schon vorher hatte ich einen Brief an den König von Preußen abgeschickt, den ich um Lebens und um Sterbens willen jetzt hier abschreiben will:

„ Allerdurchlauchtigster etc. etc.
Das Schicksal des Prof. Gottfried Kinkel veranlaßt mich, der ich ihm seit Jahren befreundet bin, aber bereits lange isolirt lebe, mit dem Versuche der Fürsprache Ew. Majestät Throne zu nahen. Von einer entschuldigenden Vertheidigung der Handlungen des Mannes kann nicht gesprochen werden, da dieselbe mit einer rechtfertigenden Beurtheilung der diesen Handlungen zum Grunde liegenden Ansichten beginnen und enden müßte. Es läßt sich aber eine Erklärung dieser Handlungen aus der unbefangenen Betrachtung des Lebensganges und der Charakterentwickelung Kinkel’s schöpfen. Was er war, hatte er selbst aus sich gemacht, meist nach Bekämpfung großer Hindernisse, und so waren alle Lebensgüter Kinkel’s sein selbst- und wohlerworbenes Eigenthum. Darum bebte er, je weiter er wuchs, vor keiner Gefahr zurück und legte gegen jeden zu erringenden Preis seine Existenz auf die andere Schale der Wage. Wie es ihm gelungen war, in privaten Verhältnissen seinen Ideen und Idealen die Wirklichkeit anzupassen und aus jedem Kampfe gerettet und mit Ehren hervorzugehen, so wurde er durch einen mißverstandenen Begriff von Consequenz auch dahin geführt, im Streben für die Menschheit, das kaum in viel Menschen edler glüht, mit aller Energie und unbegrenztem Opfermuthe einen Weg einzuhalten, auf den er durch nicht gewollle Verhältnisse und nicht gesuchte Menschen gedrängt war. Der Wahn, seine Ehre auch in den Augen als incompetent anerkannter Ehrenrichter aufrecht erhalten zu müssen, fesselte ihn an seine Fahne, an die Fahne der philosophisch-freien Menschheit, aber er hatte diese Fahne in andere Hände gegeben.
War er anfänglich nur zur Beantwortung der Handwerkerfrage in ernster Weise thätig und blieb klar und seineigen, so riß den Poeten, den Herrn der Phantasie und ihren Knecht, hernach der Taumel im Chaos fort, und es offenbarte sich an ihm, was er mir vordem bestritten hatte, daß die Ereignisse stärker sind, als die Menschen.
Ob Kinkel’s Einfluß und Wirksamkeit erheblich waren, ist nicht zu erörtern, da er ohne politische Befähigung und ohne einen andern Namen, als den des geistreichen Kunstkritikers, des liebenswürdigen Dichters und Gesellschafters, nur oratorisches Talent und den Zauber eines begeisterten und unmittelbaren Mannes in die insurgirten Lande brachte. Wie er dort verwendet wurde und im Strudel der sich überstürzenden Vorgänge wirkte, ist ihm kaum zuzurechnen, da er Glied in der Kette geworden war.
Sein Fehltritt war, daß er überhaupt nach der Pfalz ging. Aber er ging nur, weil er sich durch Preßvergehen für zu compromittirt wähnte, um im[WS 1] Lande als der fortzubestehen, der er gewesen, und weil es ihm unmöglich schien, zuzugeben, daß der Mensch besser sein könne, als sein Ruf.
Es wäre traurig, wenn um diesen Irrthum und um hervorragendes Talent und um die Fähigkeit, sich für das Höchste nicht nur zu begeistern, sondern auch aufopfern zu können, ein Mann, dem das Leben sich erst eröffnete, dem Leben, seinen zahlreichen auf ihn rechnenden Kindern, einer hochherzigen Frau, einer Reihe von Freunden, die ihn gern zurückgehalten hätten, der Kunst und Wissenschaft, die ihm schon Anerkennenswerthes verdanken, der Gesellschaft, deren Zierde er war, der Menschheit, für die er mehr lebte, als für sich und Einzelne, wenn er dem neu aufgebauten Staate entrissen werden sollte, der solcher Bürger am ersten bedarf, um nicht in Einseitigkeit zu verfallen.
Majestät! Die Todeskugel ist nicht zurückzurufen und ein Wort von Ihnen vermag Alles!“ – – – – – – –

20. September. Ich habe noch einige Notizen und Documente, die meinen unglücklichen Freund Kinkel betreffen, nachzutragen, da ich mit Bestimmtheit voraussetzen darf, daß dieselben dereinst als historisch werthvoll aufgesucht werden.

Zunächst aus Baden-Baden vom 11. August 1849 einen anonymen Brief, dessen Verfasserin ich sofort an der Handschrift auf der Adresse erkannte.

„Lieber Freund! Da ich nicht weiß, wie bald auch ich nicht mehr im Stande sein werde, Ihnen Aufschluß über das Schicksal unseres Freundes zu geben, so schreibe ich Ihnen hier einige unzusammenhängende Notizen, sage Ihnen aber ausdrücklich, daß Sie dieselben jetzt nicht publiciren dürfen, um nicht etwa durch voreiliges Geräusch die Lawine zum Sturz zu bringen, die über unsern Häuptern hängt. Es ist aber gut, daß einige wenige Freunde wissen, wie es steht, damit, wenn ich stürbe oder meiner Freiheit beraubt würde, Licht in ein Gewebe gebracht werden kann, das mich jetzt ohne Hülfe umschnürt. Aus bester Quelle weiß ich, daß das Kriegsgericht nicht auf Tod, sondern auf Gefängniß erkannt hat. Das Urtheil wird aber officiell

Anmerkungen (Wikisource)

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    verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_314.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)