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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

geisterhafte, weißgraue, über und über mit Ketten behangene Gestalt dicht an der einen Mauer des etwa zehn Schuh im Quadrat haltenden Raumes stehn.

Die Gestalt sah ihn mit großen, weit offenen Augen an; sie stand trotz ihrer Kettenlast hoch aufgerichtet, fast drohend da. Frohn erfaßte ein unwillkürlicher Schauder bei dem Anblick. „Zum Teufel, in welche Galeere bin ich da gerathen?“ fragte er sich halblaut – „das muß ein Wahnsinniger sein, einen vernünftigen Menschen braucht man nicht so mit Ketten zu behängen!“ Er stand einen Augenblick unentschlossen da, einen Augenblick, in welchem er seinen Gefährten Auerhuber in der Gegend seiner Beine anlangen und sich jetzt ebenfalls halb aufrichten fühlte. Dann flüsterte er: „Gut Freund, Camerad!“

Die weißgraue Gestalt streckte ihm jetzt mit starkem Kettenklirren die Arme entgegen und antwortete eben so leise: „Wer ist Er? – was will Er?“

„Was ich will? – nun, Ihm einen Besuch machen, wie Er sieht …“

„Er ist kein Scherge, kein Verräther?“

Frohn wollte, bevor er antwortete, sich in die Höhe schwingen und aus seinem Loch emporsteigen, in der menschenfreundlichen Absicht, seinem Auerhuber Raum zu machen und ihn heranzulassen; aber der Mann in Ketten flüsterte heftig und gebieterisch: „Bleib’ Er, wo Er ist!“

„Will Er mich hindern?“ fragte Frohn ruhig, indem er mit einem Sprunge sich so weit in die Höhe schnellte, um sich auf den von den ausgeschnittenen Dielen gebildeten Rand des Loches setzen zu können.

„Meint Er etwa, die Ketten hielten mich ab, Ihm den Schädel einzuschlagen?“ sagte der Andere. Zugleich begann er mit einer unglaublichen Schnelligkeit eine dicke Kette, die an seinem Fuße befestigt war, zu lösen, dann die Hände aus zwei schweren, durch eine Stange mit einander verbundenen Handschellen zu befreien, eine andere Kette, die von einem breiten Halsring niederhing, abzulösen – und nach wenig Augenblicken stand er von allen Fesseln bis auf das breite eiserne Halsband befreit da, in seiner Rechten die Stange mit den Handfesseln haltend, die in seiner kräftigen Faust keine zu verachtende Waffe war. Er richtete jetzt auf den fremden Eindringling einen triumphirenden Blick, der offenbar die Bewunderung desselben herausforderte.

„Ich sehe, daß Er wahr machen könnte, was Er sagt,“ bemerkte Frohn erstaunt – „wie Teufel hat Er das angefangen?“

Der Andere lachte höhnisch auf.

„Ein Mann, wie ich, wird mit Allem fertig,“ sagte er. „Aber erst will ich wissen, wer Er ist, und wie Er in meinen Gang gerathen ist!“

„Ich bin ein österreichischer Kriegsgefangener,“ versetzte Frohn, „nenne mich von Frohn und stehe bei Prohasca-Dragonern. Ich habe in der Casematte drüben, wo ich eingesperrt bin, Sein Arbeiten und Wühlen unter dem Boden gehört, und habe Ihm den Gefallen thun wollen, Ihm die Sache zu erleichtern, indem ich Ihm entgegenkam.“

Der Gefangene schwieg eine Weile. Dann sagte er: „Wir wollen uns erst mehr Licht verschaffen, damit wir uns besser sehen können.“

Mit diesen Worten holte er aus einer Ecke ein halb niedergebranntes Talglicht auf einem niedrigen Blechleuchter hervor, zündete es an Frohn’s Laterne an und stellte es auf einen aus Steinen aufgemauerten Tisch, der sich in der Mitte der einen Wand befand, dicht neben dem schweren eingemauerten Ringe, von welchem die Ketten niederhingen. Zur Seite des Tisches, gerade unter dem Ringe, lag auf dem Boden ein Strohsack mit einer Decke; der Gefangene hatte, als Frohn ihn zuerst erblickte, darauf gestanden, was seine Gestalt um so größer und seine ganze Erscheinung um so gespensterhafter gemacht hatte.

„Nun, kommen Sie nur aus dem Loche heraus, Herr Camerad, und der da unter Ihnen krabbelt, auch,“ sagte der Gefangene, und indem er sich so stellte, daß das volle Licht auf seine Züge und seine Gestalt fallen mußte, fuhr er mit einem gewissen Pathos fort: „Ich bin der kaiserlich königliche Rittmeister Freiherr von der Trenck!“

„Von der Trenck?“ antwortete Frohn verwundert.

„Von dem Sie gehört haben werden,“ sagte der Gefangene mit stolzem Selbstgefühl.

Frohn schüttelte den Kopf. „Von dem Oberst von der Trenck, der die Panduren …“

„Das ist mein Vetter! Ich bin der Rittmeister von der Trenck, vom Regiment Cordua-Dragoner.“

„Also auch Kriegsgefangener – und man behandelt Sie auf solche Weise?“ fiel der Lieutenant von Frohn ein.

„Wo haben Sie denn gesteckt in der Welt,“ fragte der Andere, „daß Sie von dem Rittmeister von der Trenck nichts gehört haben, von dem doch, mein’ ich, alle Welt weiß? Ich kriegsgefangen? Nein, Herr Camerad, ich bin ein Vogel, den man um anderer Dinge willen in diesen Käfig gesteckt und, weil er durchaus nicht darin bleiben wollte, endlich mit 68pfündigen Ehrenketten behängt hat, um ihn zu bewegen, es sich hier als Gast des großen Friedrich auf längere Zeit gefallen zu lassen. Aber ich kehr’ mich wenig an die Ketten, und werde mich in den nächsten Tagen bei Seiner Majestät beurlauben!“

„Weshalb legt denn der König so großen Werth auf Ihr Hierbleiben, wenn ich fragen darf, Herr Camerad?“

„Das sind Familienverhältnisse,“ entgegnete Trenck lächelnd; „Geheimnisse zwischen mir und meinem Herrn Schwager. Nehmen Sie, um die Sache in einem romantischen Lichte zu sehen, an, es hätte uns ein und dieselbe Dame nahe gestanden, aber mit verschiedenen Gefühlen freilich – auf seiner Seite seien mehr die schwesterlichen in’s Spiel gekommen …“

Frohn blickte überrascht den mit einem eigenthümlichen Tone von Renommisterei sprechenden Gefangenen an. War der Mensch am Ende doch ein Wahnsinniger? Aber nein, er fuhr mit vollständiger Ruhe und Klarheit zu reden fort: „Glauben Sie etwa, ich sei ein Aufschneider? Nun, es steht bei Ihnen. Ich wüßte nicht, weshalb ich mich darum ereifern sollte. Ich bin der beste Soldat im Heere des Königs gewesen. Jetzt sorgt der große Friedrich, der ja ein leidenschaftlicher Liebhaber der Philosophie und der Philosophen ist, dafür, daß ich mich hier auch zu einem Weltweisen wie Sokrates ausbilde. Gewiß, um mich dann zum Präsidenten seiner Akademie zu machen. In der That, wenn dies seine Absicht ist, so habe ich in den neun Jahren, die ich hier zugebracht, derselben glänzend entsprochen. Ich kann Ihnen meine Schriften zeigen, meine Gedichte, alle mit meinem Blut geschrieben … sie werden mehrere Foliobände füllen – aber davon ein andermal, in diesem Augenblicke wollte ich Ihnen nur andeuten, daß meine Philosophie darüber erhaben, was ein kaiserlich königlicher Lieutenant von Prohasca-Dragonern von mir denken mag!“

„Weshalb sollte ich Ihnen nicht glauben, Herr Camerad?“ antwortete Frohn auf diesen Erguß – „daß man auf Ihre Person einen besonderen Nachdruck legt, zeigen diese schweren Ketten, die Sie mit einer mir ganz unerklärlichen Leichtigkeit abgestreift haben.“

„Wollen Sie sehen, wie ich es mache?“ fragte von der Trenck, ganz begierig, wie es schien, das Staunen seines Gastes noch einmal zu genießen.

Frohn trat näher zu ihm heran; während des Vorigen hatte Auerhuber sich auf den Rand der Grube gesetzt und glotzte jetzt mit derselben Verwunderung, wie vorher sein Lieutenant, den Gefangenen an.

„Sie haben da eine Escorte bei sich,“ sagte dieser, den Menschen in’s Auge fassend – „kann man sich auf ihn verlassen?“

Frohn nickte mit dem Kopfe. „Ich stehe für ihn ein,“ antwortete er.

Von der Trenck zeigte nun, wie leicht er seine Fesseln löste: zunächst die Handschellen, die sehr weit waren. „Sie waren ursprünglich schlimmer,“ bemerkte er dabei; „es war eine Höllenpein, heraus und hinein zu kommen; später jedoch fand ich einen guten Freund unter den Officieren, der mir ein Paar weitere machen ließ. Für eine Hand voll Gold bekommt man eben Alles. Mit Gold macht man sich sogar Fesseln und Ketten bequem!“

„Gold? – und haben Sie das? – hat man es Ihnen gelassen?“

Der gefangene Freiherr antwortete nicht; er fuhr fort, seine Ketten zu zeigen, wie er hier durch sorgsames Ausfeilen der Nietungen, dort durch Aufbiegung von Haken, durch Lücken, die nachher mit schwarzem Brode verstrichen wurden, es dahin gebracht hatte, die ganze Last nach Belieben abwerfen und, wenn sein Kerker inspicirt wurde, was, wie er sagte, täglich ein Mal, um Mittag, geschah, wieder anlegen zu können.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_306.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)